Leni

Gerne erzähle ich euch meine Geschichte und freue mich, wenn ihr mir zu dem Tag folgt, an dem ich die Wahrheit über meine Herkunft erfahren sollte.

Die Wahrheit sucht sich ihren Weg

Es war an einem Freitag im Frühjahr des Jahres 2011 als ich die Wahrheit über meine Herkunft erfahren sollte. Zu diesem Zeitpunkt war ich eine bereits 23 jährige Studentin der Medizin. Ich ging an diesem Tag nichts ahnend in die Uni und wurde dort in Humangenetik und Neurologie mit zwei Dingen konfrontiert, die mir den Boden unter den Füßen wegziehen sollten.

Seit seinem 25. Lebensjahr sitzt mein Vater nach einem Unfall, der ihm den 4.Halswirbel brach, im Rollstuhl. Als mein Vater 34 Jahre alt war, erblickte ich das Licht der Welt. Ich- das heißt ein hellhäutiges blauäugiges Baby mit blonden Haaren. Und hier haben wir die 2 Dinge, die mein bisheriges Leben und das noch folgende in einem anderen Licht erscheinen lassen sollten. Bei genauer Betrachtung sind die Augen meiner Mutter eher grün, die meines Vaters dunkelbraun wie konnten meine dann blau sein? Zudem kann ein Mann, der halsabwärts gelähmt ist, in aller Regel keine Kinder zeugen.

Diese Erkenntnis verdaute ich indem ich einen Professor befragte, der sich mit beiden Thematiken auszukennen schien. Er wand sich etwas unter meinen Fragen, weil er wohl merkte, dass es bei diesem Gespräch um meine eigene Geschichte ging. Schlussendlich aber bekräftigte er mich in 3 Punkten:
Es ist nicht unmöglich aber eher unwahrscheinlich, dass aus grünen und braunen Augen leuchtend blaue herauskommen (ich bekam hierbei noch einen Vortrag über Genpools aus früheren Generationen etc. gehalten, dem ich aber aufgrund der 2. Tatsache nicht mehr lauschte) Denn 2. sind Hodenpunktionen erst zu einem späteren Zeitpunkt, als dem Tag meiner Erzeugung, erfolgreich durchgeführt worden. Ich rechnete eins und eins zusammen, erhielt 2 und beschloss: ICH BIN ADOPTIERT!

Die Familienlüge

Mit dieser Erkenntnis bewaffnet bestieg ich mein Auto und raste förmlich die 75km zu meinen Eltern. Dort riss ich die Haustür auf, stürzte in die Küche wo ich meine Mutter fand, setze mich, und erzählte, was ich erfahren hatte. Meine Mutter wurde stiller und stiller, stand schließlich auf und ging ins Schlafzimmer, in dem mein Vater ein Mittagsschläfchen hielt. Dort sprach sie die Worte „Jetzt müssen wir es ihnen sagen!“

Für mich war klar, dass mit IHNEN auch meine Schwester gemeint war und wir riefen meine Schwester an, damit sie vorbei kommt. 10 Minuten später (ich scharrte bereits zum gefühlten 100ten Mal mit dem Fuß über den Boden, denn mein Vater weigerte sich mir auch nur ein kleines Wort zu verraten)betrat meine ahnungslose Schwester das Haus meiner Eltern. Sie begrüßte meine Eltern und stutzte dann, als sie die angespannte Atmosphäre bemerkte.

Nun begann mein sonst so stiller Vater an mich gewandt zu sprechen. Ich unterbrach ihn kurzerhand, denn er kam mir nicht schnell genug zum Punkt und sagte: „jetzt sag es schon, ich weiß ja eh, dass ich nicht euer Kind bin“.
Die Antwort meines Vaters war die, dass er sagte „es stimmt, dass du nicht MEIN Kind bist“. Jetzt mischte sich meine Schwester ein, und brachte einen Satz hervor, den sie schon mehrfach in meiner Kindheit gesagt hatte( oftmals bezogen auf meine helle Hautfarbe und die blauen Augen, die mich als Außenseiterin in der Familie kennzeichneten). „Also bist du, (an mich gewandt) echt VOM POSTBOTEN“.

Wenn Schwestern zur Hälfte zu Fremden werden

Bis hierhin reichte meine Fassungslosigkeit so weit, dass ich kaum ein Wort mehr herausbrachte. Sollte meine Mutter mich in einer Affäre mit einem anderen Mann gezeugt haben? „Super!“, dachte ich mir, dann weiß ich wenigstens wieso ich so anders bin und kann den Mann wenigstens einmal kennen lernen, von dem ich einige Eigenschaften augenscheinlich habe.
Mir schwirrte der Kopf, doch da hörte ich Worte, die mich noch mehr verwirren und zum Schluss meine Illusionen vom Kennen lernen meines Vaters vollkommen zunichte machen sollte. „Nein“ sagte mein Vater (an meine Schwester gewandt) nicht nur deine Schwester ist VOM POSTBOTEN sondern auch DU“ Bums! Das hatte gesessen! Meine sonst so selbstbewusste Schwester war sprachlos, wurde weiß wie die Wand und begann meiner hellen Hautfarbe wahre Konkurrenz zu machen.

Diese Information ließ nun wieder mich aufhorchen. Das ergab doch alles keinen Sinn- wir sollten nicht Papas Kinder sein, aber Mamas. Wir waren beide von dem gleichen großen Unbekannten und sollten doch so unterschiedlich sein? War meine Mutter vielleicht von zwei verschiedenen Männern schwanger geworden? Oder waren wir nun doch adoptiert? Mensch verdammt was war hier los? Plötzlich hörte ich mich selber sagen „Und von wem bin ich nun?“

Die Wahrheit wirft viele Fragen auf

Die Antwort kam prompt: Von einem Samenspender!

Diese drei Worte hallten ganz schön lange nach und mein Kopf wollte das Ganze nicht so wirklich verarbeiten. Von nun an brach es aus meiner Schwester heraus. Sie stellte einige kurze Fragen,
Wo habt ihr es machen lassen? Welcher Arzt hat es getan?
Meine Eltern gaben ihr hierauf umgehend Antwort.
Doch dann kam die entscheidende Frage:
WIE KANN ICH DEN MANN KENNEN LERNEN?
Die Worte meiner Eltern darauf waren einfach und ebenso grausam. Wir haben uns für eine anonyme Spende entschieden. Uns wurde gesagt, dies sei der sauberste und diskreteste Weg.

SAUBER- das klang wie eine Hygienevorschrift aus der Uni,
DISKRET- das klang wie, „es darf auf keinen Fall jemand erfahren“.
Meine Schwester fasste das Ganze treffend zusammen und sagte:
„Also ihr habt uns quasi ein Leben lang verschwiegen, dass Leni und ich Halbgeschwister sind, weil wir an unterschiedlichen Instituten gezeugt wurden und wir werden nie erfahren, wer der Spender ist!“

Der Verlust und viele Erkenntnisse:

Es herrschte kurze Stille bevor ich hörte wie meine Schwester sagte
„ich muss erst mal mit meinem Mann darüber sprechen und diese Wahrheit verdauen“ Kurz darauf verschwand sie zur Tür hinaus. Da stand ich nun, bei meinen vermeintlichen ELTERN, den Menschen, denen ich ein Leben lang vertraut hatte, und fühlte mich betrogen, leer und allein. Binnen kürzester Zeit hatte ich meinen Erzeuger, meine Schwester zur Hälfte und mein Vertrauen in meine Eltern verloren.

Was hiervon am schlimmsten war, konnte ich gar nicht so genau sagen. Aber eines wusste ich genau „Hatte ich es doch geahnt!“ Irgendwie hatte ich schon mit 3 Jahren ein Gefühl gehabt adoptiert zu sein, aber da dies normal zu sein schien (da auch andere meiner Freundinnen dieses Gefühl beschrieben) begrub ich das Misstrauen wieder. Mit 7 Jahren hatte ich in der Schule wieder einmal das Gefühl und fragte meine Mutter auch frei heraus ob ich adoptiert sei. Meine Mutter sagte mir, dass dies nicht der Fall sei und ich IHR Kind wäre (nicht gelogen, die Chance zur Klarstellung der Wahrheit ließ meine Mutter jedoch verstreichen).

Dann kam die Pubertät in der man als Heranwachsende so ziemlich alles in Frage stellt und ich verdrängte, dass ich stetig an meiner Herkunft zweifelte.
Während der Abiturzeit entwickelten sich schließlich große Probleme mit meinem Vater, weil dieser nicht verstand, wieso ich seine Denkweise (vor allem bezogen auf Mathematik) nicht nachvollziehen konnte. Oft fragte ich mich „Wieso versteht mein Vater nicht wie ich denke?“ oder ich fragte andersherum „Wieso bin ich so dumm, dass ich meinen Vater nicht verstehe?“ Auch in emotionalen Dingen verstanden mein Vater und ich uns leider nicht sehr gut.
Bis heute ist mir ein Rätsel wieso ich um 10 Ecken denke und in vielen Dingen so sensibel und emotional bin…..denn das habe ich sicher nicht von meinen Eltern. Für mich wurde in dem Moment der Wahrheitsverkündung klar: Anscheinend gibt’s da noch eine andere Seite- vielleicht meinen Spender?

Gedanken und Gefühle eines Spenderkindes:

Ich begann von nun an erst einmal das Thema zu bearbeiten, indem ich meine Mutter zu dem befragte, was sie noch wusste. So erfuhr ich meinen Zeugungsort, die Methode der Zeugung mit gefrorenem Sperma und dass ich keinerlei Anspruch auf die Kenntnis meiner eigenen Abstammung haben sollte.

Na DAS wollten wir doch erst mal sehen! Ein Hoch auf das Internet, denn ich traf auf genau die Seite, die ich nun mit meiner Geschichte erweitere. SPENDERKINDER

Was für eine Bezeichnung! Was bedeutet dieses Wort nun? Gibt es denn so viele Menschen wie mich? Bin ich vielleicht gar nichts Besonderes? Welche Bürde wurde mir doch mit diesem Wort auferlegt.

Mit der Zeit lernte ich hier auf dieser Seite und durch Befragung meiner Eltern einiges über die Dinge, die man als Spenderkind ertragen muss: Meine Mutter hatte viele Fehlgeburten und sie musste viel durchleiden um mich zu bekommen, was nicht spurlos an ihr vorüber ging. Den Mann, der mir anscheinend meine Haar- und Augenfarbe sowie Hautfarbe gab, werde ich wohl nie kennen lernen. Wenn ich einmal eine Organtransplantation brauche, so kommen wohl nicht viele Menschen in Frage (hier soll es ja Ausnahmen geben, aber wer möchte denn unter solchen Bedingungen seinen Erzeuger kennen lernen – ICH NICHT!).

Oft frage ich mich auch welche Erkrankungen ich vielleicht in mir trage(für mich als angehende Medizinerin ist dies sehr wichtig) Außerdem bin ich persönlich schon in eine Situation geraten, die ich im Nachhinein als sehr brenzlig ansehe.
Mit 16 verliebte ich mich in einen jungen Mann aus exakt der Stadt, in der ich gezeugt wurde. Auch wenn wir anscheinend keine Halbgeschwister sind (da er 5 Jahre älter ist als ich), so ist auch er ein Spenderkind. Ich weiß, dass nun sicher von Seiten der Ärzte der Spruch angebracht wird: Dies sei ja sehr unwahrscheinlich, aber verdammt noch mal das ist es anscheinend NICHT!
(entschuldigt, dass ich fluche)

Ich zumindest lebe in einem Ballungsgebiet für Samenbanken und wer weiß, ob nicht ein Spender von einer Bank zur nächsten hüpft und schließlich doch 100 statt nur 10 oder 20 Kinder entstehen. Wissen tut dies niemand und verhindern kann das bisher auch keiner. Oft frage ich mich, was geschehen wäre, wenn ich diesen Mann geheiratet hätte und er wäre mein Halbbruder: Ich hätte ein Kind gebären können, das schwer behindert ist, weil bei mir und meinem Halbbruder eine rezessive Erbkrankheit in reiner und damit schlimmster Form weitervererbt würde. Dies empfände ich, abgesehen von einer gesetzlichen Strafe wegen Inzest, auch als eine persönliche Strafe. (An dieser Stelle möchte ich jedoch herausstellen, dass ich hier die Existenz von behinderten Menschen auf keinen Fall als nicht lebenswert darstellen möchte. Die Zeiten dass solche Menschen kein Lebensrecht hatten, sind zum Glück vorbei. Nur wieso sollte man es forcieren? ) Es ist doch so einfach dies in meinem Fall zu verhindern.

Meine Bitten

Liebe Eltern, sagt euren Kindern die WAHRHEIT! Hier gilt in der Regel: Je früher desto einfacher für beide Parteien! Eure Kinder vertrauen euch, missbraucht dies bitte nicht! Liebe Ärzte, tut das, wozu ihr euch verpflichtet habt, klärt auf und schützt dadurch werdendes Leben! Denn würdet ihr dies tun, so müsste sich kein Kind die Frage stellen, die mir tagein und tagaus im Kopf herumschwirrt: Wer ist dieser „Postbote?“

Mit diesen Worten möchte ich meine Geschichte an dieser Stelle (vorerst) beenden, denn die letztgenannten zwei Dinge, sind mir am wichtigsten.
Ich lehne Samenspende generell nicht ab, da ich sehr froh bin zu leben.
Dennoch lehne ich die Art und Weise der anonymen Samenspende strikt ab.
Meines Erachtens hat jeder Mensch ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, auch wenn es mit noch so großen Opfern für die Spender einhergeht.

Jeder Mann, der Samen spendet sollte sich bewusst sein, dass er Leben erzeugt.
Das heißt nicht nur kleine niedliche Babies, die noch keinen eigenen Kopf besitzen. Sondern Menschen, die eines Tages auch erwachsen werden, denken und Antworten auf ihre Fragen suchen.