Sibylle

Ich habe mit 32 Jahren eher zufällig durch eine Blutgruppenabgleichung erfahren, dass ich mit einer Samenspende gezeugt wurde. Als mir der Mutterpass in meiner Frühschwangerschaft Anfang 2005 ausgehändigt wurde, sah ich, dass meine Blutgruppe die in Deutschland seltenste
ist, nämlich AB. Ich verdrängte das Thema, da ich zunächst zu sehr mit meiner Schwangerschaft und meinem Kind beschäftigt war. Als mein Sohn ein knappes Jahr alt war, fiel mir wieder ein, dass etwas nicht stimmen konnte. Meine Mutter hatte Blutgtuppe A, mein „Vater“ 0, ich selbst AB! Mein Vater wurde jedoch zur selben Zeit herzkrank und bekam
in allerletzter Sekunde 3 Bypässe gelegt. Damit war mein – vermutliches – Vorhaben, zuerst einmal ihn damit zu konfrontieren, wieder vom Tisch – bis zum Frühjahr 2007. Da habe ich Blutgruppenvererbung bei Google gesucht und schwarz auf weiß gesehen, was ich jahrelang mit mir herumgetragen hatte, A und 0 kann nie AB geben!

Ich versuchte wochenlang vergeblich, meine Eltern telefonisch und per SMS dazu zu bewegen, mir mitzuteilen, was mir da verschweigen wurde, aber keiner der beiden war annähernd gesprächsbereit. Unser Verhältnis damals allerdings schon lange mehr als angespannt. Sie beendeten das Telefonat plötzlich, meinten, es gäbe nichts zu bereden, was ich Ihnen!! angetan hätte … Ich merkte nach ca. 3 Wochen, dass ich nur juristisch weiterkommen würde und suchte mir einen Anwalt, der einen Brief aufsetzte, meine Eltern seien verpflichtet, mir meine biologische Herkunft zu erklären. Ich würde keinerlei Streit, sondern
eine gütliche Einigung suchen, sie mögen mir bitte fernmündlich mitteilen, woher ich zur Hälfte abstamme. Dann wieder 2 Wochen Schweigen…schließlich ein Brief eines Rechtsanwalts aus meinem Heimatort, kurz und „schmerzlos“:
Der Kinderwunsch der Mandantschaft war auf natürlichem Wege nicht realisierbar, daher wurde in München der Gynäkologe Dr. med. Hans Guido Mutke aufgesucht, der eine künstliche Befruchtung mittels anonymer Samenspende vornahm. Es existieren keinerlei Unterlagen, weshalb auch nicht beurteilt werden kann, ob der Arzt überhaupt noch am Leben ist. Damit ist meine Mandantschaft dem sogenannten
Feststellungsinteresse der Tochter ausreichend und umfassend
nachgekommen. Peng!!

Meine erste Reaktion war, dass ich wie betäubt war. Ich hörte, sah minutenlang gar nichts mehr…das Gefühl, ich versinke in mir, werde unsichtbar oder der Wunsch, es möge sich ein Loch auftun, in dem ich versinken kann. Es hätte eine Bombe neben mir hochgehen können und ich hätte dies nicht einmal registriert; ich war wie betäubt…dann
schockiert, traurig, wütend, ABER: auch erleichtert! das Jahrzehnte alte Gefühl „Bei uns daheim stimmt etwas nicht!“ hatte sich bewahrheitet. Nicht ich war ein undankbares Kind, das den Eltern immer emotionale Distanz, von Leistung abhängige Liebe und völliges Unverständnis für die Tochter als Person generell vorwarf, seit sie in der Pubertät war, sondern es gab plötzlich einen Grund! Wie ein Kreis,
der sich für mich schloss… etwas wie Genugtuung allen Leuten gegenüber, die mir nie glaubten, dass ich immer wieder das Gefühl hatte, fremd in meiner Familie zu sein, mich zu fühlen, als hätten mich andere Menschen dort „abgegeben“, vergessen oder Ähnliches …all das fühlte ich, seit ich ca. 5 Jahre alt war, ein ganz ekelhaftes und
schreckliches Gefühl, das über 25 Jahre lang immer wieder so
omnipräsent wurde, dass ich alles andere vergaß und grübelte und mir oft tagelang den Kopf zerbrach, WAS genau „NICHT STIMMEN“ bedeuten könnte…

Auch nach knapp zwei Jahren ergebnisloser Suche nach meinem
genetischen Vater kreisen meine Gedanken immer wieder um dieses eine Thema, es ist sehr schwer, sich davon abzugrenzen… In meinen Alltag steht natürlich mein Sohn an allererster Stelle und hat absolute Priorität, aber seit ich weiß, was ich heute weiß, ist nichts mehr wie vorher und auch ich bin nicht mehr die selbe Person – positiv wie auch negativ! Viele meiner „Lücken“ habe ich nun mit der Erklärung, die Hälfte von mir stammt von einem Unbekannten, einer völlig fremden und namenlosen Person ab, schließen können. Andrerseits bin ich nun umhergetrieben von dem ständigen Wunsch, diesen einen Mann zu finden, vielleicht kennenlernen zu dürfen. Vorerst würde mir schon ein Passbild genügen, ich bin sicher, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben, äußerlich wie auch charakterlich. Dann habe ich manchmal Angst, dass mein Erzeuger doch ganz anders als ich sein könnte. Ich müsste mir dann eingestehen, dass alles, was nicht zu meinen Eltern und auch
nicht zu diesem Unbekannten passt, ich mir offenbar selbst anerzogen habe oder ich stark geprägt von meinem sozialen Umfeld außerhalb der Familie wurde, weshalb ich eben anders als leibliche Mutter und leiblicher Vater sein würde. Aber auch das wäre befreiend, eine Erleichterung… dann könnte ich eben auch sagen, so ist es, so bin ich und ich weiß nun endlich, warum ich ICH bin mit meinen ganzen Schwächen und Stärken. Noch bin ich meilenweit hiervon entfernt! Wer bin ich, nach wie vor keine Antwort hierauf, vielleicht niemals eine zu bekommen, das ist eine schwere Last.

Die Entscheidung meiner Eltern für die Samenspende kann ich
mittlerweile nachvollziehen, aber nicht den Umgang damit. Erst recht nicht, als ich bereits dahintergekommen war und sie jegliche Kooperation verweigerten, jegliches klärende Gespräch ablehnten! Vor allem meinem Vater war es absolut wichtig, dass NIEMALS jemand von seiner Zeugungsunfähigkeit erfährt. Bekannte meiner Eltern, ca. im selben Alter, haben wenige Monate vor meiner Geburt ein Mädchen, wenige Wochen alt, adoptiert. Das finde ich schöner, ehrlicher, für
mich eher geprägt vom unbedingten Wunsch, Eltern zu sein und werden, da nicht die Weitergabe der Gene nur eines Elternteiles oberste Priorität hat! Für mich ad absurdum: wenn die Gene der Mutter so wichtig für die spätere Bindung sind, wäre ja von vornherein ausgeschlossen, dass das DI-Kind jemals eine Bindung mit dem nicht genetisch verwandten Elternteil, dem sozialen Vater, eingehen kann. Es
wird den hilfesuchenden Paaren in meinen Augen hier vieles erzählt, was gesunden Menschenverstand vermissen lässt. Es geht um wirtschaftliche Aspekte, denn eine Adoption, zu der ein Reproduktionsmediziner raten würde, brächte ihm ja keine Cent! Meine Eltern haben Anfang ’74 Herrn Dr. Mutke, der damals im gesamten süd- und mitteldeutschen Raum der einzige Frauenarzt war, der donogen inseminierte, über 5000 DM bezahlt, ein damaliges halbes Jahresgehalt. Für mich – damals zumindest – ganz „schmuddeliges“ Business…

Die Beziehung zu meinen Eltern war immer geprägt von gegenseitigem Unverständnis, meiner vermutlichen latenten Abwehrhaltung schon als Kind beiden Elternteilen, v. a. aber der Mutter gegenüber. Ich war zwar ein Papakind, habe aber auch meinem sozialen Vater bei weitem meinen Patenonkel, meiner Mutter meine Patentante vorgezogen (die
beiden hatten keine Kinder) und mich seit jeher dort aufgehoben und ehrlich geliebt gefühlt. Das blieb bis heute so. Seit ich von der Samenspende weiß, verstehe ich die in meinen Augen desolate Ehe meiner Eltern besser, warum mein Vater sich alles bieten ließ. Als ich von der Zeugungsunfähigkeit erfuhr, erkannte ich, warum sich wer wie in dieser ungleichberechtigten Partnerschaft verhielt bzw. bis heute verhält. Die Beziehung ist heute noch komplizierter, da es meinen Eltern am liebsten wäre, „dieser eine Mann da“ wäre mir egal, ich würde nicht über ihn nachdenken, nicht intensiv nach ihm suchen etc. Es kam immer wieder zu Querelen, wenn ich nur vorsichtig das Thema
Erzeugersuche anschnitt, deshalb rede ich nicht mehr mit ihnen darüber… Es liegt ständig etwas in der Luft zwischen uns, seit ich von meiner Art der Entstehung weiß, und etwas ist irreparabel zerbrochen und wird auch nie mehr ganz oder heil werden.

Ich möchte unbedingt wissen, wer mein biologischer Vater ist. Leider gestaltet sich die Suche äußerst kompliziert, da der behandelnde Arzt meiner Mutter vor knapp 5 Jahren verstarb und alle Unterlagen vernichtet sind. Das „Fatale“ ist, dass die halbe Familie, u. a. auch díe Ex-Sprechstundehilfe u.a. denken, Dr. Mutke hätte in meinem Fall ein Familienmitglied spenden lassen, da ich der Familie unglaublich ähnel soll. Ich denke aber, dass die angebliche Ähnlichkeit doch nur Zufall ist. Meine Vermutung ist, dass der Spender aus den Reihen des Flugmedizinischen Institutes in FFB bei München kam, wo alle Bundeswehr-Piloten einmal pro Jahr durchgecheckt wurden. Herr Dr. Mutke soll abends nach Einbruch der Dunkelheit des Öfteren mit seiner Privat-Maschine dort gelandet sein und „vertrauliche“ Gespräche mit den jungen BW-Piloten geführt haben. Leider sind ausgerechnet die Jahrgangsbücher von Ende 1960er bis Mitte 1970er „verschollen“, wurde mir mitgeteilt, als ich vor Ort danach suchte, was mir sehr spanisch vorkam! Es wäre ein Skandal, wenn sich ausgerechnet Bundeswehr-Soldaten illegal mit Samenspenden saftiges Geld dazuverdient hätten, daher hüllen sich alle dort in FFB in seltsames Schweigen, ich komme einfach nicht weiter mit meiner Suche.

Würde ich meinen bilogischen Vater treffen, würde ich ihn zunächst Dinge fragen, die zunächst relativ banal erscheinen mögen: Lieblingsautor, -buch, -politiker, -schauspieler, -sänger, -komponist, -essen. Was war das für ihn wichtigste Ereignis in Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter. Was war sein Berufswunsch und welchen Beruf hat er tatsächlich gewählt. Welche Partei er wählt, Freizeitgestaltung, welche Priorität zwischenmenschliche, immaterielle und moralische Werte für ihn haben…ob er sich vielleicht über seinen-materiellen-Besitz definiert (im Gegensatz zu mir) oder ob ihm Dinge wichtig sind, die man nur durch hohen persönlichen Ehrgeiz und Einsatz erreichen kann…ob er zäh, entschlossen, stur, gerechtigkeitsliebend, eine „harte Nuss“ ist wie ich (manchmal) oder das genaue Gegenteil…mir würden 1000 Fragen auf einmal einfallen, aber vor lauter Nervosität käme mir womöglich keine über die Lippen-ich hätte einen Riesenbammel vor dem eventuellen ersten Date mit meinem Erzeuger!

Ich denke, ob die Entscheidung für eine Samenspende vernünftig ist, hängt ganz vom Ehepaar ab. Zum Glück haben heute alle Kinderwunschpraxen und Reproduktionskliniken zahlreiche Psychologen und Psychotherapeuten vor Ort, die die Paare vor der Insemination gründlich „durchchecken“, auch überprüfen, wie stabil die Ehe oder Partnerschaft ist, wie die Vita der kinderlosen Paare ist. All das wurde zu Zeiten meiner Zeugung völlig übergangen, der Arzt fragte nur, ob meine Eltern arbeiten würden und einen festen Wohnsitz hätten – das wars! Vor allem sollte nicht jedem Paar sofort zugestanden werden, einfach so und schnell an ein Kind zu kommen wie damals meine Eltern, die ja bis zum heutigen Tage mit der ganzen Sache und deren Umgang
offensichtlich heillos überfordert sind. Eine Leihmutterschaft lehne
ich aus vielerlei Gründen ab. Ich persönlich würde in jedem Fall die
für mich wesentlich aufrichtigere und „elegantere“ Methode der
Adoption wählen! Für mich wäre eine Samenspende nie in Betracht
gekommen, um schwanger zu werden. Ich finde den Gedanken, 9 Monate das
Kind eines Mannes zu tragen, den ich nie sah, dessen Namen ich nie
erfahren werde und der mir im „normalen“ Leben weder begegnet und
vielleicht nicht einmal attraktiv erschienen wäre, unerträglich.

Bei der Frage, ob man seinem Kind von der Samenspende erzählen sollte
und wann, würde ich ganz auf die Ratschläge von Frau Dr. Thorn und ihr
für mich absolut einfühlsames und gelungenes Buch vertrauen, das
bereits für Kinder ab 5 Jahren geeignet ist, spielerisch mit ganz
tollen Bildern nachvollziehen zu können, wie sie zustande kamen und
warum. Das beste Alter ist demnach zwischen 5 und 10 Jahren, da bleibt
am wenigsten Negatives „zurück“. Später kommt die Pubertät, da halte
ich es grundsätzlich für problematisch, da der Jugendliche sowieso
gerade den natürlichen Abnabelungsprozess mit deutlichem Abgrenzen
auch 2 leiblichen Elternteilen gegenüber durchlebt. Das
Erwachsenenalter ist zu spät, wie zahlreiche Studien aus den USA und
Australien belegen. Je älter, desto größer der Schock, das völlige aus
der Bahn geworfen werden beim DI-Kind!