Im Herbst 2019 erschien der Artikel „Entstehung, Entwicklung und gegenwärtiger Stand der Spendersamenbehandlung in Deutschland“ im Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie. Autor des Aufsatzes ist der Reproduktionsmediziner Prof. Dr. Thomas Katzorke, einer der Inhaber der Essener Fortpflanzungspraxis „Novum – Zentrum für Fortpflanzungsmedizin und Endokrinologie“, von der über ein Viertel unserer Vereinsmitglieder stammen. Im letzten Jahr stellte sich heraus, dass Thomas Katzorke bei mindestens einer Patientin entschieden hat, ohne deren Wissen seinen eigenen Samen einzusetzen. Herr Prof. Dr. Katzorke hat sich in der Vergangenheit stets für die Anonymität von sogenannten Samenspendern ausgesprochen. Seine Meinung erscheint in anderem Licht, wenn man berücksichtigt, dass es dabei immer auch um ihn persönlich ging.
Verschweigen
wesentlicher Interessenkonflikte Katzorkes widerspricht guter
wissenschaftlicher Praxis
Der Verein Spenderkinder kritisiert, dass der Beitrag, in dem Herr Prof. Dr. Katzorke auch auf die angebliche Schutzwürdigkeit der sogenannten Samenspender hinweist, unkritisch veröffentlicht wurde, ohne kenntlich zu machen, dass der Autor selbst heimlich als „Samenspender“ tätig war. Vor diesem Hintergrund ist er eindeutig befangen, mögliche Regelungen zu den Rechten und der Verantwortung von „Spendern“ (genetischen Elternteilen) sowie der Bedeutung von sozialer und genetischer Elternschaft zu diskutieren.
Als „Interessenkonflikt“ wird lediglich erwähnt, dass Herr
Prof. Dr. Katzorke in der Vergangenheit an Gerichtsverfahren beteiligt war, in
denen es um Auskunft über die genetischen Väter von Spenderkindern ging.
Tatsächlich ist Katzorke aber weiterhin an laufenden gerichtlichen
Auskunftsverfahren beteiligt, weil er sich nach wie vor weigert, Spenderkindern
Informationen preiszugeben, obwohl er zu deren Herausgabe bereits verurteilt
wurde. Eindeutige Interessenkonflikte nicht zu benennen, verstößt gegen die
Regeln guter wissenschaftlicher Praxis.
„Nur“ Unwissen in der
Reproduktionsmedizin oder Versuch der Rehabilitation Katzorkes?
Der Verein Spenderkinder hat die Herausgeber des Journals für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie auf diese Umstände aufmerksam gemacht und um eine eigene öffentliche Stellungnahme sowie um eine entsprechende Erweiterung des deklarierten Interessenkonfliktes gebeten. Die Schriftleitung hat bislang lediglich verhalten-rechtfertigend reagiert. Statt den Hinweis aufzugreifen und auf den Interessenkonflikt entsprechend hinzuweisen, verwies die Schriftleitung auf den formellen Begutachtungsprozess, mit dem sichergestellt werde, dass die veröffentlichten Artikel aktuellem wissenschaftlichen Standard entsprächen. Es ist kaum zu glauben, dass weder die reproduktionsmedizinischen Gutachter noch die Herausgeber der reproduktionsmedizinischen Fachzeitschrift über Herrn Prof. Dr. Katzorkes persönliche Betroffenheit informiert waren. Immerhin gab es 2019 mehrere Medienberichte dazu, z. B. in der ZEIT. Sogar der Arbeitskreis donogene Insemination, dessen Vorsitzender Katzorke seit 1996 war, distanzierte sich in einer kritischen Stellungnahme von Katzorkes Verhalten und er selbst trat als Vorsitzender zurück.
Insgesamt war die Resonanz und Empörung in den Fachkreisen der Reproduktionsmedizin nach Aufdeckung der ethische Grenzen überschreitenden Praktik jedoch beschämend gering. Das Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie bietet Herrn Katzorke nun eine Plattform, sein Wirken als Reproduktionsmediziner und seine persönliche Meinung als heimlicher genetischer Vater einseitig und unkritisch darzulegen.
So erwähnt Katzorke eingangs, dass eine frühzeitige Aufklärung der durch Samenvermittlung gezeugten Kinder heutzutage generell empfohlen werde, begründet das jedoch lediglich mit der leichten Verfügbarkeit von DNA-Analysen. Unerwähnt bleibt, dass Herrn Prof. Dr. Katzorkes heimliche Vaterschaft selbst über eine DNA-Datenbank aufgedeckt wurde. Eine Auseinandersetzung mit ethisch-moralischen, entwicklungspsychologischen, psychosozialen, rechtlichen oder medizinischen Argumenten findet im Artikel nicht statt.
Mit der unreflektierten Veröffentlichung des Artikels
erkennt der Herausgeber Herrn Katzorkes Handlungen an, bietet die Möglichkeit
der persönlichen Rehabilitation und lässt darüber hinaus Herrn Katzorkes Wirken
und das anderer früher Reproduktionsmediziner unkritisch und unreflektiert in
eine Entwicklung bis in die Gegenwart einreihen, die sozial- und medizinhistorisch
sehr einseitig und damit grundsätzlich infrage zu stellen ist.
Historiografische
Unzulänglichkeiten des Artikels
Der Artikel beansprucht einen chronologischen Abriss über die Entwicklung der ärztlichen Samenvermittlung in Deutschland aufzuzeigen. Dass dies nicht gelingt, macht bereits der Gesamtheitsanspruch des Aufsatztitels deutlich, eine Entwicklung in „Deutschland“ zu beschreiben Zur Geschichte von Samenvermittlung in der DDR verliert Katzorke auf zwölf Seiten lediglich drei Sätze. Das ist knapp, berücksichtigt man, dass DDR-Mediziner hinsichtlich ihrer Methoden (Kryokonservierung, Embryotransfers etc.) und Erfolgsquoten mit der Bundesrepublik gleichauf, teilweise sogar erfolgreicher waren, obwohl es fundamentale Unterschiede in der sozialen und finanziellen Abwicklung der „Behandlungen“ im Vergleich zur Bundesrepublik gab. So war in der DDR beispielsweise die „Behandlung“ kostenfrei für die Wunscheltern. Es ist unzutreffend, dass in der DDR die „Behandlung“ rechtlich geregelt war. Die Mediziner agierten ebenso wie ihre bundesdeutschen Kollegen in einer rechtlichen Grauzone, was so gut wie allen bewusst war, wie zahlreiche zeitgenössische Veröffentlichungen zwischen Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre von DDR-Juristen und -Medizinern belegen. Es gab kein Gesetz, das die reproduktionsmedizinischen Praktiken regelte. Jeder Arzt, jede Klinik hatte gewissermaßen eine eigene Auslegung der rechtlichen Situation und ethischen Fragen. Manche Mediziner vermittelten sogar an alleinstehende Frauen mit Kinderwunsch, andere hingegen nur an über mehrere Jahre verheiratete Paare. Andere wiederum hörten in den 1980er Jahren trotz medizinischer Erfolge mit der Kinderwunscherfüllung mittels Samenvermittlung auf, weil sie befürchteten, gerichtlich als Väter festgestellt werden zu können, da sie die Zeugung der Kinder zu verantworten hätten. In Herrn Prof. Dr. Katzorkes Aufsatz fehlt zudem die Berücksichtigung jüngster Gerichtsurteile, die auf die Rechtssituation in der DDR Bezug nehmen.
Der Aufsatz lässt eine ausführliche Kontextualisierung der Samenvermittlungspraxis innerhalb der jeweiligen Machtblöcke im Osten wie im Westen vermissen. Ohne die Entwicklungen in den USA und in anderen westlichen Staaten zu berücksichtigen, kann die Geschichte der Samenvermittlungspraxis in der Bundesrepublik nicht geschrieben werden, da Mediziner auf ausländisches Fachwissen zurückgriffen. Gleiches gilt für die historische Einordnung innerhalb der DDR, da auch in anderen Ostblockstaaten, insbesondere der Sowjetunion, Entwicklungen in diesem medizinischen Sektor stattfanden. Die jeweiligen grundverschiedenen politischen Systeme und Ideologien brachten jeweils ganz eigene Gesellschafts- und damit Familienbilder mit jeweils unterschiedlichen Rollenverständnissen von Frauen, insbesondere Männern und Kindern mit sich. Diese Einbettung wäre für ein Grundverständnis der historischen Entwicklungen wichtig, ebenso wie auch die seit den 1970er Jahren existierenden Verschränkungen zwischen Ost- wie Westdeutschland: Ärzte beider deutscher Staaten trafen sich auf internationalen Fachtagungen und tauschten sich über ihre Forschungsergebnisse aus. Bis heute fehlt eine Aufarbeitung der reproduktionsmedizinischen Praktiken in der DDR, obwohl – zwischen Mitte der 1970er Jahre bis 1989/90 mehrere tausend Menschen nach Samenvermittlung gezeugt wurden (1985 waren es laut einer von DDR Medizinern erstellten Studie mindestens 1590 Kinder). Die Verfehlungen mancher der damaligen Akteure, die Repressionen gegenüber zahlreichen Eltern und die bis heute restriktive Informationspolitik der Rechtsnachfolgeeinrichtungen gegenüber Spenderkindern erwähnt Herr Prof. Dr. Katzorke nicht.
Historisch-kritische
Auseinandersetzung mit ethischen und menschenrechtlichen Implikationen fehlt
Abgesehen von dieser einseitigen Sicht als westdeutscher Mediziner und heimlicher „Samenspender“, fehlen auch in anderer Hinsicht wesentliche Fakten. In dem knappen Abriss zur künstlichen Befruchtung während des Nationalsozialismus bezieht sich Katzorke einzig auf den Aspekt der SS-Organisation „Lebensborn“, ordnet diesen angesichts des dahinterstehenden völkisch-rassisch und rassistischen Gedankengutes recht unkritisch ein und geht überhaupt nicht auf Forschungen von einzelnen Ärzten oder Kliniken im „Dritten Reich“ ein, obwohl bspw. Herrmann Görings Ehefrau Emmy erst durch künstliche Befruchtung schwanger wurde. Die nationalsozialistische Ideologie attestierte Menschen mit bestimmten äußeren Merkmalen einen Überlegenheitsanspruch, was sich in der nationalsozialistischen Rassenhygiene als eine radikale Variante der Eugenik in der Praxis widerspiegelte und zu Eheverboten, Zwangssterilisationen und -abtreibungen, zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ und zur sogenannten „Kinder-Euthanasie“ führte.
Damals missachtete ethische und menschenrechtliche
Implikationen und argumentative Traditionslinien waren später in der
Bundesrepublik wie in der DDR im reproduktionsmedizinischen Diskurs
wiederzufinden – und sind es bis heute, vor allem wenn es um die Auswahl der
genetischen Väter geht, deren Zuordnung zu den Wunscheltern, der Familienbilder
oder der Rolle des Staates hinsichtlich assistierter Familiengründungen. Weder
an dieser Stelle, noch in Herrn Prof. Dr. Katzorkes Aufsatz wäre der
entsprechende Raum, dies alles differenziert und angemessen zu diskutieren.
Katzorke aber lässt das in seinem Beitrag komplett unerwähnt.
Fazit
Wer eine Übersicht über die historische Entwicklung der Samenvermittlungspraxis in Deutschland oder auch innerhalb Europas lesen wollte – in medizinischer, sozialer, ethischer und rechtlicher Perspektive –, konnte dies bereits in „Kinder machen. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie“ von Andreas Bernard (Frankfurt am Main, 2014) tun. Neueres ist in Katzorkes Aufsatz nicht zu finden. Stattdessen wirkt es so, als arbeite er am eigenen Mythos, indem er sich und andere frühere westdeutsche Reproduktionsmedizinier wie Schaad, Ockel, Mutke unkritisch gewissermaßen als “Pioniere während dieser Zeit“ (S.155) stilisiert, denen Berufsverbot drohte, während sie märtyrergleich dennoch weitermachten. Diese Männer sind es jedoch, die geradezu selbstgerecht das Recht der entstehenden Kinder missachtet haben und mit deren Dokumentationssäumigkeit sich Spenderkinder jetzt auseinandersetzen müssen.
Im Sinne guter Wissenschaftlichkeit täte für die Aufarbeitung und Geschichtsschreibung der Reproduktionsmedizin ein weniger persönlich verstrickter Blick von Dritten gut – oder zumindest eine transparente, selbstkritische persönliche Darstellung.
Ausblick
Die Hintergründe der Veröffentlichung dieses Artikels in dem renommierten Fachjournal sind uns nicht bekannt. Bleibt nur zu hoffen, dass dadurch keine Rehabilitation von Herrn Prof. Dr. Katzorkes Fehlverhalten beabsichtigt war und ihm auch nicht die Deutungshoheit über die Geschichte der deutschen Reproduktionsmedizin zuerkannt werden sollte. Vielleicht gelingt es den gegenwärtigen VertreterInnen der Reproduktionsmedizin, den Artikel als Einstieg in eine kritische Diskussion zu nutzen, vor allem innerhalb der ärztlichen Fachverbände und Arbeitskreise (wie sie bspw. die Reproduktionsmedizinerin und Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft der Ärztinnen in der Reproduktionsmedizin und Endokrinologie Julia Bartley fordert. Akteure mit einer moralischen Haltung wie jener Katzorkes schaden eher dem Ansehen dieses medizinischen Zweiges. Der Verein Spenderkinder hofft weiterhin, dass Herr Prof. Dr. Katzorke (und andere Reproduktionsmediziner) eines Tages Verantwortung für ihre Grenzüberschreitungen in der Vergangenheit übernehmen und zumindest heute die Rechte von Spenderkindern anerkennen.
Autor: Sven