Kommissionsdokument COM(2022) 695 final (Interinstitutionelles Dossier 2022/0402 (CNS))
vom 7. Dezember 2022
Stellungnahme am 22. Februar 2023 an das Bundesministerium der Justiz übermittelt
Der Verein Spenderkinder bedankt sich für die Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem Vorschlag für die Verordnung des Rates.
I. Der Verein Spenderkinder
Der Verein Spenderkinder wurde im Jahr 2009 gegründet und arbeitet rein ehrenamtlich. Er vertritt die Interessen von durch Samen“spende“ gezeugten Menschen in Deutschland. Dabei repräsentiert er die Sicht der betroffenen Kinder auf Samenspende und andere Formen der Familiengründung mit den Geschlechtszellen einer dritten Person wie Eizellspende, Embryonenadoption und Leihmutterschaft. Zu den Zielen gehört insbesondere, andere Spenderkinder, Menschen mit Kinderwunsch und Spender über die rechtlichen Rahmenbedingungen und psychologischen Herausforderungen dieser Arten der Familiengründung sowie über den aus Sicht des Vereins bestehenden rechtlichen Handlungsbedarf zu informieren.
II. Verordnungsvorschlag
Der
Verein Spenderkinder sieht die im Verordnungsvorschlag vorgesehene
Anerkennung der in einem Mitgliedstaat wirksam anerkannten
Elternschaft in anderen Mitgliedstaaten sowie die vorgesehenen
Bestimmungen über das anzuwendende Recht bei der Begründung von
Elternschaft in grenzüberschreitenden Fällen kritisch. Zwar wird
das im Vorschlag geäußerte Anliegen begrüßt, eine Gleichstellung
von LGBTIQ-Personen und insbesondere von Eltern gleichen Geschlechts
(zum Beispiel durch eine innerstaatliche Adoption) zu erreichen. Dies
sollte jedoch nicht dadurch erreicht werden, dass die Interessen und
Rechte der Kinder übergegangen werden, indem alle Formen der
Begründung von Elternschaft gleich behandelt werden. Aus Sicht des
Vereins Spenderkinder dient die Anerkennung der Elternschaft zwischen
den Mitgliedstaaten nicht den Interessen und Rechten des Kindes,
sondern viel mehr den Interessen der Eltern. Das zeigt sich auch
darin, dass die EU-weite Anerkennung der in einem Mitgliedstaat
begründeten Elternschaft vor allem als Schlüsselmaßnahme für die
Gleichstellung von LGBTIQ-Personen wahrgenommen wird.1
Zudem zeigt auch die Einführung eines als „Elternschaftszertifikat“
bezeichneten Dokuments, dass der Verordnungsvorschlag auf eine
Absicherung der Rechte der Eltern abzielt. Die Bezeichnung zeigt,
dass es nicht in erster Linie um die Rechte des Kindes geht, sondern
um die der „Wunscheltern“.
Mit
dem Vorschlag für eine Verordnung sollen Vorschriften des
internationalen Privatrechts in Bezug auf die Anerkennung von
Elternschaft in den Mitgliedstaaten harmonisiert werden. Als
vorrangiges Ziel des Vorschlages wird der Schutz der Grundrechte und
anderer Rechte von Kindern in grenzüberschreitenden Situationen
genannt. Aus Sicht des Vereins Spenderkinder werden die Rechte des
Kindes durch die Bestimmungen des Verordnungsvorschlags jedoch nicht
ausreichend gewürdigt. Bei dem Vorschlag stehen nicht die Rechte des
Kindes im Vordergrund, sondern die Rechte der Eltern, die eine
Anerkennung ihrer Elternschaft ohne erheblichen Aufwand in den
Mitgliedstaaten der EU unabhängig von divergierenden Regelungen in
den einzelnen Mitgliedstaaten erreichen können sollen. Dadurch
besteht die Gefahr, dass innerstaatliche Verbote und Regulierungen
umgangen werden können.
Der Vorschlag setzt sich aus Sicht des Vereins Spenderkinder nicht vertieft mit den Rechten der Kinder auseinander, die mithilfe von reproduktionstechnischen Maßnahmen entstanden sind und nimmt keine Unterscheidungen zwischen verschiedenen Konstellationen von Elternschaft vor. Er unterscheidet nicht zwischen genetischer Elternschaft, Eltern, die ein Kind innerstaatlich adoptiert haben und zwischen Eltern, die ein Kind mittels Eizellspende oder Leihmutterschaft erhalten haben. Insbesondere werden die Schwierigkeiten nicht adressiert, die sich aus einer solchen Zeugungsart und der Anerkennung der Elternschaft für die Kinder ergeben. Damit genügt die Kommission ihren eigenen Anforderungen an eine „gute Gesetzgebung“, die empirische Evidenz für Gesetzesvorhaben verlangt, nicht. Der Verein Spenderkinder steht insbesondere der Eizellspende und der Leihmutterschaft aufgrund der Verletzung des Kindeswohls und der Rechte der Person, die ihre Eizellen abgibt bzw. das Kind zur Welt bringt, äußerst kritisch gegenüber (siehe Position des Vereins Spenderkinder zur Leihmutterschaft).
Eine
unterschiedslose Regulierung von allen Formen der Elternschaft, ist
nach der Ansicht des Vereins Spenderkinder abzulehnen. Sie dient
nicht dem Interesse des Kindes, sondern führt zur Anerkennung von
Praktiken, die von einzelnen Mitgliedstaaten bewusst abgelehnt
werden. Dies führt dazu, dass Elternschaften anerkannt werden
müssen, die in einem anderen Mitgliedstaat gerade aufgrund der
Verletzung des Kindeswohls sowie der Grundrechte von anderen in den
Vorgang der Zeugung involvierten Personen verhindert werden sollen.
Der vorgegebene Zweck des Verordnungsvorschlags würde damit in sein
Gegenteil verkehrt. Die Europäische Union muss im Hinblick auf den
Subsidiaritätsgrundsatz und der Verfassungsautonomie der
Mitgliedstaaten, unterschiedliche Praktiken in den Mitgliedstaaten
beachten.
III.
Im Einzelnen
1.
Die Vermeidung von zeit- und kostenaufwendigen Gerichtsverfahren zur
Anerkennung von Elternschaft ist nicht im Interesse des Kindes
Der
Vorschlag soll auch zu Rechtssicherheit und Berechenbarkeit bezüglich
der Begründung von Elternschaft in grenzüberschreitenden Fällen
und der Anerkennung der Elternschaft beitragen und die Gerichtskosten
für die Mitgliedstaaten und Familien in Zusammenhang mit
gerichtlichen Verfahren zur Anerkennung der Elternschaft in einem
anderen Mitgliedstaat senken. Zeit- und kostenaufwendige
Gerichtsverfahren zur Anerkennung der Elternschaft sollen verhindert
werden. Diesbezüglich stellt sich aus Sicht des Vereins
Spenderkinder wiederum die Problematik der mangelnden Unterscheidung
zwischen den verschiedenen Formen der Begründung von Elternschaft.
Insbesondere können Samen-, Eizell-, Embryonen“spende“ und
Leihmutterschaft zu erheblichen Identitätskonflikten für das Kind
führen. Das gilt insbesondere dann, wenn die „Spende“ primär
finanziell motiviert ist und die Kinder kein Recht haben zu erfahren,
von wem sie genetisch abstammen.
Im
Fall der Inanspruchnahme von assistierter Reproduktion (insbesondere
der Inanspruchnahme einer Keimzellen“spende“ oder einer
Leihmutterschaft) kann gerade die Aussicht auf ein erforderliches
Gerichtsverfahren zur Anerkennung der Elternschaft in anderen
Mitgliedstaaten dazu führen, dass sich „Wunscheltern“ intensiv
mit dieser Art der Familiengründung auseinandersetzen, sich über
alternative Methoden der Kinderwunscherfüllung informieren und das
Kindeswohl in den Mittelpunkt ihrer Entscheidung stellen. Eine
Anerkennung jeglicher Form von Elternschaft in grenzüberschreitenden
Fällen ohne erheblichen Aufwand für die „Wunscheltern“ kann
dagegen dazu führen, dass diese die medizinischen, psychologischen
und ethischen Bedenken hinsichtlich der einzelnen
Reproduktionsmaßnahmen weniger in ihre Entscheidung miteinbeziehen
und die Rechte des Kindes nicht ausreichend würdigen.
2.
Unionsweite Anerkennung der in einem Mitgliedstaat begründeten
Elternschaft ist nicht im Interesse und zum Wohl des Kindes
Wie
der Verordnungsvorschlag ausführt, sind die Mitgliedstaaten bereits
verpflichtet, die in einem anderen Mitgliedstaat begründete
Elternschaft für die Zwecke der Ausübung von aus dem Unionsrecht
hergeleiteten Rechte anzuerkennen. So hat der Gerichtshof der
Europäischen Union entschieden, dass jeder Mitgliedstaat das
Eltern-Kind-Verhältnis anerkennen muss, damit das Kind mit jedem
Elternteil das in Art. 21 Abs. 1 AEUV garantierte Recht, sich im
Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten,
uneingeschränkt ausüben kann und darüber hinaus auch alle Rechte
ausüben kann, die das Kind aus dem Unionsrecht erlangt.2
Mit dem Vorschlag wird darüber hinaus eine Anerkennung der
Elternschaft für alle Zwecke beabsichtigt. Hierbei soll die
unionsweite Anerkennung der Elternschaft auch zur Durchsetzung der
Rechte führen, die sich aus nationalem Recht herleiten. In seinen
Erwägungsgründen beruft sich der Verordnungsvorschlag auf das
Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes.3
Demnach ziele der Verordnungsvorschlag darauf ab, das Recht des
Kindes auf Identität (Art. 8 UN-Übereinkommen über die Rechte des
Kindes), Nichtdiskriminierung (Art. 2 UN-Übereinkommen über die
Rechte des Kindes) und auf Privat- und Familienleben (Art. 9
UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes) zu wahren.
Aus
Sicht des Vereins Spenderkinder verkennt der Verordnungsvorschlag
hierbei, dass es gerade im Interesse des Kindes ist, die Abstammung
zu seinen genetischen Eltern zu kennen und zu diesen auch Kontakt
pflegen zu können. Die genetische Abstammung macht einen
wesentlichen Teil der Identität jedes Kindes aus und einer gezielten
Spaltung von genetischer und sozialer Elternschaft durch die
Inanspruchnahme von Reproduktionstechniken steht der Verein der
Spenderkinder kritisch gegenüber. Diese Rechte der Kinder klammert
der Verordnungsvorschlag jedoch vollständig aus. Aus Sicht des
Vereins Spenderkinder ist eine unterschiedslose Behandlung von
unterschiedlichen Formen der Begründung von Elternschaft (genetische
Elternschaft, Elternschaft durch innerstaatliche Adoption,
Elternschaft durch Verwendung von Keimzellen“spenden“ oder
Leihmüttern) nicht gerechtfertigt.
Aus
Sicht des Vereins Spenderkinder verspüren bei einer
unterschiedlichen Anerkennung von Elternschaft in
grenzüberschreitenden Fällen primär die Eltern Nachteile. Der
Verordnungsvorschlag setzt sich nicht vertieft mit den möglichen
negativen Auswirkungen für die Kinder auseinander. Vielmehr wird
unterstellt, dass die Nachteile für die Eltern gleichzeitig
Nachteile für die Kinder darstellen. Er geht nicht darauf ein, ob
die mit dem Vorschlag verbundenen Vorteile die mit ihm verbundenen
Nachteile überwiegen. Die Wahrung der Rechte des Kindes kann auch
durch andere Regelungen sichergestellt werden. Eine unionsweite
Anerkennung jeglicher Form von Elternschaft ist hierzu nicht im
Interesse des Kindes und auch nicht erforderlich.
3.
Eine unionsweite Anerkennung von Elternschaften führt auch zur
Anerkennung von Elternschaften, die zum Schutz des Kindes und der
Person, die das Kind zur Welt bringt, in anderen Mitgliedstaaten
verboten sind
Besonders
problematisch sind aus Sicht des Vereins Spenderkinder die Regelungen
des Kapitel III über das anzuwendende Recht. Art. 17 Abs. 1 des
VO-Vorschlags bestimmt, dass auf die Begründung der Elternschaft das
Recht des Staates anzuwenden ist, in dem die gebärende Person zum
Zeitpunkt der Niederkunft ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder
subsidiär das Recht des Staates, in dem das Kind geboren wurde. Bei
einer Leihmutter wäre dies der Staat, in dem Leihmutterschaft
zulässig ist und die Regelung müsste in anderen Mitgliedsstaaten
anerkannt werden. Diese Vorschrift kann bereits dazu führen, dass
Formen der Begründung von Elternschaft, die durch den Verein
Spenderkind deutlich abgelehnt werden4,
unionsweit anerkannt werden müssen.
Die
Regelungen im Bereich der Reproduktionsmedizin divergieren stark
zwischen den Ländern. Insbesondere die Leihmutterschaft ist in
vielen Mitgliedstaaten verboten, weil sie Kinder zu handelbaren
Objekten macht und Schwangerschaft als Dienstleistung
kommerzialisiert. Wie der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte feststellte, berühren reproduktionsmedizinische
Techniken schwierige Fragen der Moral und Ethik und betreffen damit
einen Bereich, in denen es keine gemeinsame Vorstellung der
Konventionsstaaten gibt.5
Die Regelungen eines Mitgliedstaates zur Begründung von Elternschaft
in den Fällen der Erzeugung eines Kindes mithilfe
reproduktionsmedizinischer Techniken berühren das Grundverständnis
jedes einzelnen Mitgliedstaates und aufgrund des engen Bezugs zur
Menschenwürde gleichzeitig die Verfassungsautonomie und -identität.
Sie spiegeln damit einen gesellschaftlichen Konsens über höchst
komplexe und kulturell-, sozial- und politisch-verwurzelte Fragen der
Bioethik wieder. Ein solcher Konsens über bestimmte Fragen der
rechtlichen und ethischen Bewertung der Reproduktionsmedizin ist
bereits innerhalb einzelner Mitgliedstaaten fraglich. Der
Verordnungsvorschlag führt in seiner Begründung aus, dass das
gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, dass alle
Mitgliedstaaten die in Art. 2 EUV festgelegten Werte
teilen, eine Anerkennung der in einem Mitgliedstaat begründeten
Elternschaft in einem anderen Mitgliedstaat rechtfertige.6
Damit schreitet die Kommission in ihrem Weg voran, Art. 2 EUV als
föderale Homogenitätsklausel umzudeuten.7
Ein solches Verständnis von Art. 2 EUV beraubt die Mitgliedstaaten
ihre genuine, in ihrer Staatlichkeit angelegte Verfassungsautonomie.
In
einigen Mitgliedstaaten werden entgegen des Interesses des zu
zeugenden Kindes Ei- und Samenzellen kommerziell und anonym
gehandelt, die betroffenen Kinder haben kein Recht, Informationen
über ihre genetische Eltern zu erhalten. In anderen Mitgliedsstaaten
wie z. B. Griechenland dürfen sind „altruistische“
Leihmutterschaften zulässig, die Voraussetzungen werden Berichten
zufolge jedoch kaum kontrolliert, so dass sich de facto doch eine
Kommerzialisierung entwickelt hat.8
Durch den Verordnungsvorschlag müssten auch diese Begründungen von
Elternschaften, die in einem anderen Mitgliedstaat bewusst abgelehnt
werden, dort anerkannt werden. Aus Sicht des Vereins Spenderkinder
ergeben sich hieraus erhebliche Bedenken in Bezug auf den
Subsidiaritätsgrundsatz und den Grundsatz der begrenzten
Einzelermächtigung sowie die Verfassungsautonomie und -identität
der Mitgliedstaaten. Die Anerkennung der Souveränität der
Mitgliedstaaten wird durch die Forderung einer Anerkennung von
materiell-rechtlichen Regelungen über die Begründung von
Elternschaft in Frage gestellt, wenn in grenzüberschreitenden Fällen
eine fragwürdige – und nach Verständnis des Mitgliedstaates
rechtswidrigen – Gesetzgebung im Bereich des Familienrechts den
anderen Mitgliedstaaten aufgedrängt wird.
4.
Universelle Anwendung des Rechts führt zu Anerkennung von
Elternschaften, die mit den Grundsätzen des EU-Rechts nicht
vereinbar sind
Verschärft
wird das unter III. 2. dargelegte Problem dadurch, dass Art. 16 des
VO-Vorschlags vorsieht, dass das nach dem Verordnungsvorschlag als
anzuwendende Recht bezeichnete Recht auch dann anzuwenden ist, wenn
es sich um das Recht eines Drittstaates handelt (Universelle
Anwendung des Rechts). Demnach betrifft dies auch das Verfahren, nach
dem Leihmutterschaften in Nicht-EU-Staaten anerkannt werden können.
In der EU ist gemäß der Geweberichtline von 20049
ein Handel mit Gewebe und Organen nicht zulässig. Damit ist jede
Form des kommerziellen Handels mit Ei- und Samenzellen untersagt. Die
Regelungen eines Drittstaates über die Begründung von Elternschaft
sind gemäß dem Verordnungsvorschlag jedoch anzuerkennen, selbst
wenn ein Handel mit Ei- und Samenzellen stattgefunden hat. Da der
gewöhnliche Aufenthaltsort der gebärenden Person für das
anzuwendende Recht ausschlaggebend ist, muss auch eine
Leihmutterschaft, die in einem Drittstaat durchgeführt worden ist,
anerkannt werden. Dies steht in einem erheblichen Konflikt zu den
Grundsätzen der EU und führt de facto dazu , dass Verfahren
anerkannt werden, die die zMenschenwürde (Art. 1 GRCh,
Art. 1 Abs. 1 GG) verletzen, weil Kinder als
handelbare Objekte behandelt werden und Schwangerschaft als
Dienstleistung. s
5.
Unionsweite Anerkennung von Elternschaft führt zu einer Steigerung
des globalen „Reproduktionstourismus“
Der
Verordnungsvorschlag kann dazu führen, dass der sogenannte
„Reproduktionstourismus“ in der EU noch weiter gesteigert wird
und „Wunscheltern“ für die Verwirklichung ihres Kinderwunsches
mittels reproduktionsmedizinischer Maßnahmen in EU-Mitgliedstaaten
reisen, die schwächere Regulierungen zum Schutz des Kindes
aufweisen, um eine unionsweite Anerkennung ihrer Elternschaft
sicherzustellen – und damit auch in dem Staat, in dem sie
eigentlich ansässig sind. Dies würde zu einem „race to the
bottom“-Effekt auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin führen.
Aufgrund
der Anwendung des Rechts von Drittstaaten kann der
Verordnungsvorschlag sogar dazu führen, dass der sogenannte
„Reproduktionstourismus“ weltweit noch gesteigert wird und
„Wunscheltern“ in Drittstaaten reisen, in denen
Reproduktionsmedizin völlig unreguliert stattfindet und die Rechte
der Kinder nicht geschützt werden und die Personen, die die Kinder
zur Welt bringen, ausgebeutet werden. Auch auf globaler Ebene könnten
die vorgeschlagenen Regelungen zu einem „race-to-the-bottom“-Effekt
im Bereich der Regulierungen der Reproduktionsmedizin führen.
6.
Ausschlussgründe vage und rechtsunsicher
Der
Verordnungsvorschlag sieht eine Möglichkeit vor, die Anwendung einer
Vorschrift des nach der Verordnung bestimmten Rechts zu versagen,
wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre
public)
des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist
(Art. 22 Abs. 1 des VO-Vorschlags). Diese Ausnahme von der Anwendung
des Rechts eines anderen Mitgliedstaates ist aber äußerst vage und
unbestimmt. Der Vorschlag sieht hingegen vor, dass Mitgliedstaaten
eine Ausnahme nicht anwenden können, um das Recht eines anderen
Staates unangewendet zu lassen, wenn dies gegen die Charta verstößt
(Art. 22 Abs. 2 des VO-Vorschlags). In der Begründung heißt es,
dass die Ausnahme nicht gilt, um eine Rechtsvorschrift eines anderen
Staates abzulehnen, in dem eine Elternschaft von zwei
gleichgeschlechtlichen Eltern möglich ist (Seite 18 der Begründung).
Darüber hinaus schweigt der Vorschlag über die Möglichkeiten von
Ausnahmen.
Aus
Sicht des Vereins Spenderkinder ist die Regelung des Art. 22
VO-Vorschlags zur Ausnahme aufgrund eines offensichtlichen Verstoßes
gegen die öffentliche Ordnung zu vage. Es bleibt unklar, wann eine
Ausnahme eingreifen kann und wann sich ein Mitgliedstaat nicht auf
einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung berufen kann. Daher
sollte das Verbot von Leihmutterschaft hier zumindest ausdrücklich
als ein Grund aufgenommen werden, auf den sich die Mitgliedsstaaten
als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung berufen können.
7.
Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, öffentlicher Urkunden mit
verbindlicher Rechtswirkung, die Annahme öffentlicher Urkunden ohne
verbindliche Rechtswirkung und die Einführung eines Europäischen
Elternschaftszertifikats bergen dieselben Problematiken
Aus
Sicht des Vereins Spenderkinder sind die weiteren Regelungen zu einer
unionsweiten Anerkennung von Elternschaft ebenfalls fragwürdig. Auch
eine Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen und von
öffentlichen Urkunden durch einen Mitgliedstaat, mit denen die
Elternschaft in einem anderen Mitgliedstaat begründet wird, führt
dazu, dass Formen von Elternschaften anerkannt werden müssen, die in
einem anderen Mitgliedstaat bewusst zum Wohl des Kindes abgelehnt
werden. Wiederum ist laut Verordnungsvorschlag eine Versagung der
Anerkennung nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung (ordre
public)
möglich, die jedoch nur ausnahmsweise und unter Berücksichtigung
der Umstände des Einzelfalls erfolgen darf und nicht unter
abstrakten Gesichtspunkten (vgl. S. 19 der Begründung des
Verordnungsvorschlages).
8.
Allgemeine Bemerkungen
In
einigen Mitgliedsstaaten wie z. B. Spanien, Dänemark und Tschechien
sind anonyme Samen- und Eizellenspenden nach wie vor zulässig und
werden recht offensichtlich kommerzialisiert. Daher verwundert es
doch stark, dass die Kommission nur einen Vorschlag über eine
unionsweite Anerkennung solcher Praktiken vorlegt und nicht
wenigstens gleichzeitig sicherstellt, dass durch Samen- und
Eizellspenden gezeugte Menschen ihr Recht auf Kenntnis der
Abstammung, das auch durch die Europäische Menschenrechtskonvention
geschützt wird, auch tatsächlich verwirklichen können. Diesen
Aspekt sollte die Bundesregierung daher bei den Verhandlungen zu dem
Verordnungsvorschlag einbringen.
Die
Bundesregierung sollte sich außerdem bemühen, dass der
Leihmutterschaftstourismus in Drittstaaten unterbunden wird, in denen
Leihmutterschaft kommerzialisiert durchgeführt wird und die Rechte
der Kinder und Leihmütter nicht ausreichend geschützt werden. Die
derzeitige Haltung beschränkt sich leider allgemein auf den Hinweis,
dass man Wunscheltern entsprechende Verträge im Ausland nicht
verbieten könne – und wenn das Kind geboren wurde darauf, dass man
das Kind schützen müsse und daher eine Anerkennung zumindest dann
zulässig sein müsse, wenn es sich um eine mit einer
Gerichtsentscheidung begründeten Elternschaft handelt. Damit wird
jedoch eine Situation geschaffen, in der man einen Rechtsbruch für
diejenigen Wunscheltern in Deutschland legalisiert, die genug Geld
und Zeit investieren. Das wird dann wiederum als Begründung
herangezogen, warum Leihmutterschaft (zumindest „altruistisch“)
auch in Deutschland erlaubt werden sollte. Die Bundesregierung sollte
daher von den Staaten fordern, die derzeit die Hotspots des
Leihmutterschaftstourismus darstellen, dass sie ihre „Leistungen“
nur noch an im Inland ansässige Personen vermitteln. Kinder und
Schwangerschaft sollten kein Exportgut sein.
1
Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung von
LGBTIQ-Personen 2020-2025 (COM(2020) 698 final), S. 21.
2VO-Vorschlag,
Erwägungsgrund 2.
3Position
des Vereins Spenderkinder zu Leihmutterschaft:
https://www.spenderkinder.de/leihmutterschaft/
4
EGMR (Große Kammer), Urt. v. 3. 11. 2011 – 57813/00 (S.
H. u. a. / Österreich).
5
VO-Vorschlag, Erwägungsgründe Ziff. 21.
6
Nettesheim, EuR 2022, 525 (533 ff.).
7
EG-Richtlinie 2004/23/EG.
8Vgl.
Zeit Online vom 24. Mai 2019: Das ist nicht ihr Baby,
https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-05/leihmuetter-griechenland-babys-kinderlose-paare-deutschland/komplettansicht
9Urteil
des Gerichtshofs vom 14. Dezember 2021, V.M.S./Stolincha obshtina,
C-490/20, ECLI:EU:C:2021:1008.