Bericht des Arbeitskreises Abstammung

Am 4. Juli 2017 hat der Arbeitskreis Abstammungsrecht seinen Abschlussbericht an den Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas offiziell übergeben und anschließend auch veröffentlicht. Der Arbeitskreis wurde im Februar 2015 eingesetzt, um Reformbedarf im Abstammungsrecht angesichts Entwicklungen der Reproduktionsmedizin zu prüfen.

Der Arbeitskreis war interdisziplinär zusammengesetzt (Liste der Teilnehmenden). Allerdings konnte man an der Vorauswahl mancher Expertinnen und Experten schon vermuten, dass der Bericht eher in die Richtung gehen sollte, dass das Abstammungsrecht die Entwicklungen der Reproduktionsmedizin und die Bedeutung sozialer Elternschaft stärker berücksichtigen sollte. Die Veröffentlichungen einiger Experten und Expertinnen im Vorfeld ließen leider bereits vermuten, dass die Interessen von Spenderkindern stark verkürzt gesehen wurden und sich der wahrgenommene Reformbedarf eher an den Interessen der Wunscheltern orientiert.

Kernthesen des Berichts

Der Bericht schlägt eine moderate Fortentwicklung der bisherigen Regelungen vor.

  • Anstelle des Begriffs „Abstammung“ sollte zukünftig der Begriff „rechtliche Eltern-Kind- Zuordnung“ verwendet werden, da der Begriff „Abstammung“ zu Unrecht suggeriere, es gehe hierbei allein um Personen, die genetisch miteinander verwandt sind.
  • Bei einer ärztlich assistierten Fortpflanzung mit Spendersamen soll derjenige zweiter Elternteil werden, der gemeinsam mit der Mutter in die ärztlich assistierte Fortpflanzung eingewilligt hat, sofern der Spender auf die Elternschaft verzichtet hat. Entsprechendes gilt bei der Embryospende.
  • Jeder Mensch soll ein Recht darauf haben, seine genetische Abstammung „statusunabhängig“ gerichtlich klären zu lassen, also ohne dadurch zugleich die Zuordnung zu seinen rechtlichen Eltern zu verändern.
  • Für Fälle der ärztlich assistierten Fortpflanzung unter Verwendung von Spendersamen und für Fälle der Embryospende soll ein zentrales Spenderregister eingerichtet werden, bei dem jeder so gezeugte Mensch Auskunft über die Identität seiner genetischen Eltern erhalten kann.
  • Die Möglichkeiten der späteren Korrektur der Eltern-Kind-Zuordnung durch Anfechtung der Elternschaft sollen im Übrigen eingeschränkt werden.

Bewertung der Vorschläge

Insgesamt enthält der Bericht viele gute Vorschläge zur Modernisierung des Abstammungsrechts unter Beibehaltung altbewährter Prinzipien. Auch aus der Sicht von Spenderkindern ist zu begrüßen, dass der Begriff des Abstammungsrechts durch den treffenderen Begriff der Eltern-Kind-Zuordnung ersetzt wird und dass ein Kind von Geburt an auf Grund einer entsprechenden Willenserklärung einem zweiten (auch gleichgeschlechtlichen) Elternteil zugeordnet werden kann. Das würde die im Moment bestehende Rechtslücke schließen, dass  ein nicht mit der Mutter verheirateter Mann zwar in die Samenspende einwilligt, aber dann die Vaterschaft nicht anerkennt bzw. bei lesbischen Paaren die Partnerin der Mutter in die Samenspende einwilligt, das Kind aber nicht adoptiert.

Anspruch auf statusunabhängige gerichtliche Abstammungsklärung

Der Bericht betont die herausragende Bedeutung der Kenntnis von der Abstammung und fordert daher ein Recht zur statusunabhängigen gerichtlichen Klärung der Abstammung (S. 83). Ein solcher Anspruch würde auch vielen Spenderkindern zu Gute kommen, da es Fälle gab, in denen auf Grund von unsauberer Dokumentation der beteiligten Ärzte unklar war, ob der Spender auch der genetische Vater ist. Momentan gibt es lediglich einen Anspruch auf eine außergerichtliche Klärung der Abstammung von den rechtlichen Eltern in § 1598a BGB. Positiv ist, dass nach Ansicht des Berichts in Fällen der Leihmutterschaft auch die Kenntnis über die Geburtsmutter zur Abstammung zählt.

Schaffung eines staatlichen Registers für Spenderkinder

Für durch Samen- und Embryonenspende gezeugte Menschen fordert der Bericht außerdem die Schaffung eines staatlichen Registers zur Dokumentation und Auskunftserteilung. Diese Forderung wird für durch Samenspende gezeugte Menschen grundsätzlich bereits durch das „Gesetz zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen“ verwirklicht, das vom Bundestag am 18. Mail 2017 beschlossen wurde und voraussichtlich bald verkündet wird.1 Der Bericht fordert zusätzlich die Möglichkeit einer freiwilligen Registrierung von Altfällen sowie dass der Spender Auskunft über die Zahl der durch ihn gezeugten Kinder erlangen kann, was das Gesetz nicht vorsieht.2 Ebenfalls erfreut nahmen wir zur Kenntnis, dass offenbar Einigkeit über die Notwendigkeit einer psychosozialen Beratung vor einer ärztlich-vermittelten Samenspende besteht (S.58). Bedauerlich ist, dass die Idee noch nicht einmal diskutiert wird, den genetischen Vater in das Personenstandsregister einzutragen.

Forderung nach Einschränkung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft nicht nachvollziehbar

Sehr kritisch sehen wird jedoch die Forderung, das Recht des Kindes zur Anfechtung der Vaterschaft einzuschränken (S. 50). Positiv im Vergleich zu vorher erhobenen Forderungen der einzelnen Mitglieder des Arbeitskreises ist allerdings herauszuheben, dass die Einschränkung für alle Kinder gelten sollen (und nicht nur für Spenderkinder) und es nicht vollständig abgeschafft werden soll, sondern nur bei Vorliegen besonderer Umstände erlaubt sein soll wie

  • wenn der Vater gestorben ist,
  • wenn der Vater eine schwere Verfehlung gegenüber dem Kind begangen hat,
  • wenn der Vater einverstanden ist oder
  • wenn keine gefestigte sozial-familiäre Beziehung zum Vater entstanden ist.

Einige Mitglieder des Vereins Spenderkinder haben die Vaterschaft ihres nur-sozialen Vaters angefochten. Diese Fälle würden vermutlich alle unter einen der Ausnahmegründe fallen, insbesondere weil eine gefestigte sozial-familiäre Beziehung zum Vater oft nicht bestand, weil die Eltern bereits seit längerem geschieden waren.

Verfassungsrechtlich wäre eine Einschränkung des Anfechtungsrechts möglich,  wenn wie vom Arbeitskreis vorgeschlagen parallel die Möglichkeit zur gerichtlichen Abstammungsklärung eingeführt wird.3 Trotzdem stellt sich die Frage, weswegen das Anfechtungsrecht des Kindes eingeschränkt werden soll. Der Bericht argumentiert, dass die Einschränkung von Anfechtungsmöglichkeiten die bestehende Eltern-Kind-Zuordnung und die daran anknüpfenden sozial-familiären Beziehungen stärken würde. Das ist nicht überzeugend. Wenn das Kind die Vaterschaft anfechten möchte, ist fraglich, ob die Zuordnung und die daran anknüpfenden sozial-familiären Beziehungen überhaupt gestärkt werden sollen. Eine Einschränkung des Anfechtungsrechts dient einzig und alleine dem Sicherheitswunsch der Wunscheltern. Wenn das Kind die Vaterschaft des sozialen Vaters nur anfechten kann, wenn dieser einverstanden oder gestorben ist, eine schwere Verfehlung gegenüber dem Kind begangen hat oder wenn keine gefestigte sozial-familiäre Beziehung entstanden ist, so kann dies als Schonung des sozialen Vaters verstanden werden. Wird das Kind idealerweise früh über seine Entstehungsweise aufgeklärt und hat die Gelegenheit auch seinen genetischen Vater kennenzulernen, wäre es dem Kind zu wünschen, dass es auch zu diesem Mann eine positive soziale und emotionale Beziehung entwickelt. In diesem Fall wäre es nicht im Sinne des Kindes, eine rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung zum Wunschvater zwangsweise aufrechtzuerhalten, wenn der genetische Vater und das Kind eine rechtliche Vater-Kind-Zuordnung wünschen. Zwar kann sich ein Kind Eltern nicht aussuchen. Es sollte aber nicht möglich sein, dass sich Menschen eine Elternschaft für einen anderen Menschen frei wählen können.

Besonders ärgerlich ist der vom Bericht zur Rechtfertigung bemühte Vergleich zur Adoption, die nur unter engen Voraussetzungen aufgehoben werden könne. Zwischen einer Adoption und einer Samenspende bestehen jedoch deutliche Unterschiede. Der wohl größte Unterschied ist, dass eine Adoption nur auf Grund einer Gerichtsentscheidung möglich ist, die eine positive Kindeswohlprüfung voraussetzt. Bei Samenspenden und anderen Fällen, in denen ein Mann zum Beispiel die Vaterschaft wahrheitswidrig anerkennt, wird das Kind lediglich in die Familie hineingeboren. Bei einer Adoption wird zudem ein Kind aus einer äußeren Not heraus rechtlichen Eltern zugeordnet, in der Regel weil die genetischen Eltern ihre Verantwortung nicht wahrnehmen können. Bei einer Samenspende wird ein Kind rechtlichen Eltern zugeordnet, weil diese ein Kind haben, bzw. Eltern sein möchten.

Der Bericht verweist außerdem darauf, dass dem Bedürfnis nach Kenntnis der eigenen (genetischen) Abstammung durch erweiterte Möglichkeiten der isolierten, statusunabhängigen gerichtlichen Klärung entsprochen werden könne. Das ist jedoch nicht gleichbedeutend und verkennt, dass die Zuordnung zu einem Mann, mit dem das Kind genetisch nicht verwandt ist, unter Umständen eine deutliche psychische Belastung für das Kind darstellen kann. Tröstlich ist allerdings, dass die Entscheidung für diese Empfehlung mit 6 Ja- bei 4 Nein-Stimmen und einer Enthaltung relativ knapp ausfiel und der Bericht auch die Argumente der Gegenmeinung darstellt (S. 51, die aber teilweise eine Ausschlussregelung nur für durch Samenspende gezeugte Menschen forderten, hierzu S. 63).

Elternzentrierte und unkritische Wortwahl des Berichts

Die Wortwahl im Bericht veranschaulicht, dass der Arbeitskreis die von der Reproduktionsmedizin verwendeten technischen, elternzentrierten Konstrukte unkritisch übernommen hat: So wird das Konstrukt der beziehungslosen und verantwortungsfreien Vaterschaft bei der Samenspende unkritisch als gegeben gesetzt. Aus dieser Perspektive der elterlichen Absprachen wird dargestellt, dass der Samenspender auf die Übernahme von Elternverantwortung „verzichte“ (S.58). Der aus Elternperspektive positiv erscheinende Verzicht bedeutet aus Kinderperspektive jedoch gleichzeitig ein mehr oder weniger ausgeprägtes Desinteresse des genetischen Vaters am Kind als Person, wenn Verantwortungsübernahme und eine soziale Beziehung abgelehnt werden. Es wäre wünschenswert, die rechtliche Absicherung des Wunsches nach beziehungsloser genetischer Vaterschaft aus Perspektive des Kindes zu hinterfragen. Zumindest könnte durch eine personifizierende Wortwahl (z.B. „genetischer Vater“ statt „Spender“/“Spendermaterial“) verdeutlicht werden, dass Keimzellen nicht isoliert für sich verfügbar sind, sondern dass durch die Zeugung genetischer Elternteil und genetisches Kind miteinander in Beziehung stehen – ob dies gewünscht wird, oder nicht. Dem elterlichen Wunsch entsprechend wird zudem der „intendierte Vater“ zum „richtigen Vater“ des Kindes erklärt (S.61). Die Entscheidung, welchen Vater das Kind als „richtigen“ ansieht, bleibt jedoch letztlich immer beim Kind – egal welcher Mann rechtlich als dessen Vater eingetragen ist.

Interessen von Spenderkindern spielen keine Rolle bei dem meisten persönlichen Leitlinien der Mitglieder des Arbeitskreises

Insbesondere bei den persönlichen Leitlinien der Mitglieder fällt auf, dass die Interessen der durch Reproduktionsmedizin gezeugten Kinder bei der Neuordnung des Abstammungsrechts kaum angesprochen werden. Wenn überhaupt, soll es nach Meinung der meisten Mitglieder ausreichen, dass sie Kenntnis über ihre genetische Abstammung erlangen oder diese gerichtlich feststellen lassen können. Dass sich das Interesse aber auch darauf richten kann, auch rechtlich dem genetischen Elternteil zugeordnet zu werden oder zumindest eine der Abstammung entsprechende rechtliche Zuordnung selbst herbeiführen zu können, sehen nur wenige.

Dabei irritiert vor allem, dass manche Experten die Familie als Schicksalsgemeinschaft betonen, um zu rechtfertigen, dass die Kinder die Elternschaft des nicht-genetischen Elternteils nicht anfechten können sollen. Das einzige, was in diesem Bereich aber schicksalshaft gegeben ist, ist die genetische Abstammung. Dieser kann sich tatsächlich niemand entziehen, sozialen Beziehungen dagegen sehr wohl. Es ist widersprüchlich zu fordern, dass soziale Elternschaft oder Elternschaft auf Grund von Willenserklärungen anerkannt wird und diese Anerkennung dann gleichzeitig als schicksalhaft darzustellen.

Was passiert mit dem Bericht?

Der Bericht ist ein unverbindlicher Ratschlag von Expertinnen und Experten. Da im September Bundestagswahlen sind, kann dieses Jahr nichts mehr passieren. Inwiefern der nächste Deutsche Bundestag und ein womöglich anderer Justizminister oder eine andere Justiziministerin die Vorschläge aufgreift, ist offen.

  1. Zum Stand des Gesetzgebungsverfahrens siehe http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP18/788/78824.html []
  2. Zur Kritik des Vereins Spenderkinder an dem Gesetz siehe http://www.spenderkinder.de/gesetz-zur-regelung-des-rechts-auf-kenntnis-der-abstammung-bei-heterologer-verwendung-von-samen-am-18-mai-2017-vom-deutschen-bundestag-verabschiedet/ []
  3. vgl. Motejl, FamRZ 2017, Heft 5, 345 – 350. []