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Rezension: The Lost Family von Libby Copeland

Das englischsprachige Buch „The Lost Family“ von Libby Copeland ist ein faszinierendes Buch über DNA-Datenbanken (wie Ancestry, Family Finder, 23andme und MyHeritageDNA) und wie diese Familienbeziehungen auf eine bislang unbekannte Art auf den Kopf stellen. Indem die Tests ihren Teilnehmern bislang unbekannte Informationen über die eigene Abstammung zeigen, werden auch Geheimnisse enthüllt wie Unfruchtbarkeit, unehelich zur Welt gebrachte Kinder, uneheliche Beziehungen, sexuelle Gewalt oder eine geheim gehaltene ethnische Zugehörigkeit.

Anhand der Geschichte von Alice Plebusch, einer siebzigjährigen Frau, die mit Erstaunen feststellte, dass Ancestry ihr einen beträchtlichen Anteil jüdischer DNA auswies,1 werden verschiedene, mit DNA-Datenbanken verbundene Themen diskutiert und anhand weiterer persönlicher Geschichten illustriert – von Adoptierten, Findelkindern, Kuckuckskindern, Spenderkindern und andere Menschen die einen anderen Elternteil hatten als sie annahmen (auf englisch wird dies als NPE beschrieben – „Not Parent Expected“).

Die Suchenden, die Unwissenden und die Gefundenen

Libby Copeland teilt die von den Tests betroffenen Menschen in 3 Gruppen ein: Genealogiker, Suchende (Adoptierte, Spenderkinder, Kuckuckskinder und andere Personen, die Zweifel an ihrer Abstammung haben) und bislang Unwissende. Die letzte Gruppe nimmt an den DNA-Tests oft teil, weil sie diese als Geschenk erhält oder denkt, dass sich die Tests interessant anhören, weil man damit Informationen über ihre allgemeine ethnische Abstammung erhält – zum Beispiel, welcher Anteil der eigenen Vorfahren aus Irland kommt oder ob die Familiengeschichten über indianische Vorfahren stimmen. Das Interesse hieran ist insbesondere in den USA sehr groß, da die USA eine Einwanderungsgesellschaft sind und die Zugehörigkeit zu den verschiedenen Einwanderergruppen und Subkulturen eine große Bedeutung besitzt.

Vielen Unwissenden ist dabei nicht bewusst, dass sie über den Test auch nähere Verwandte finden können oder von ihnen gefunden werden können – und wer weiß schon Bescheid, ob der Vater früher seinen Samen verkauft hat oder eine Affäre hatte? Inzwischen warnen die DNA-Datenbanken sogar ausdrücklich vor diesen Folgen – aber vermutlich denkt niemand, dass sie selbst davon betroffen sein könnten. Ancestry hat in den USA daher ein Team, dass sich besonders um Menschen kümmert, die ein unerwartetes Testergebnis erhalten. Da Kunden mit unerwarteten Testergebnissen den Test oft für falsch halten, bietet FamilyTreeDNA standardmäßig einen zweiten Test für die Hälfte des Geldes an und verspricht, das Geld zurückzuerstatten, wenn der erste Test falsch war. Es komme fast nie vor, dass der Test fehlerhaft sei.

Manche der Unwissenden forschen nach, andere lassen die Testergebnisse „wie eine zufällig am Strand entdeckte Granate“ liegen. Die Testergebnisse führen zum Teil dazu, dass Menschen mit lange zurückliegenden Ereignissen und damit verbundenen schmerzhaften Gefühlen konfrontiert werden oder diese erst entdecken. Vielen Spenderkindern, Adoptierten und Kuckuckskindern wurde nicht die Wahrheit über ihre Entstehungsweise gesagt. Einige Männer erfahren als Sechzigjährige, dass sie als junge Männer ein Kind gezeugt haben und fühlen sich, als hätten sie ihr Kind verlassen. Ehemalige Samen“spender“ entdecken, dass sehr viele Kinder mit ihrem Samen gezeugt wurden, manche Spenderkinder erfahren, dass sie möglicherweise mehr als 100 Halbgeschwister haben. Fünfzigjährige müssen sich damit auseinandersetzen, dass ihre bereits verstorbene Mutter ein Kind ausgesetzt oder zur Adoption freigegeben hat. Andere fanden schmerzhafte Erklärungen für ihre Abstammung wie Inzest oder Vergewaltigung. Von diesen Informationen betroffen sind meistens nicht nur die unmittelbaren Verwandten, sondern ihre ganze Familie. Erfährt ein Mann, dass er vor Jahrzehnten ein Kind in einer Affäre gezeugt hat, wird vermutlich auch seine Frau von der Untreue erfahren wird und seine ehelichen Kinder, weil sie Halbgeschwister haben.

Ob die Gefundenen offen oder mit Zurückweisung reagieren, kann nicht vorhergesagt werden. Mache reagieren abweisend und sehen die neuen Verwandten als Eindringlinge, andere Gefundene freuen sich dagegen, weil für sie mehr Verwandte mehr Liebe bedeuten. Eine Betroffene vergleicht es mit russischem Roulette, eine andere rät: Rechne mit dem Schlimmsten und hoffe auf das Beste! Für viele Suchende, die sich falsch in ihrer Familie gefühlt haben, kann Desinteresse oder Zurückweisung ihrer genetischen Verwandten sehr schmerzhaft sein. Das Buch erzählt Geschichten von Zurückweisung, bei denen man die Betroffenen am liebsten in den Arm nehmen möchte – und von herzlichen Aufnahmen, die einem Tränen der Rührung in die Augen steigen lassen. Genauso berührend sind die Geschichten, bei denen die Tests enthüllten, dass die Betroffenen entgegen ihrer vorherigen Annahme nicht verwandt waren – und dennoch entschieden, sich emotional weiterhin als Verwandte zu sehen. Wie eine Betroffene meint: DNA ist nicht Liebe.

Auch bei gegenseitiger Freude über die Familienerweiterung wird teilweise von Schmerz darüber begleitet, dass man viele Jahre in Unwissenheit lebte und diese Zeit nicht miteinander verbringen konnte. Manche Verwandte wuchsen wenige Kilometer voneinander entfernt auf. Vielen stellt sich die Frage: wäre ich ein anderer Mensch, wenn ich es früher gewusst hätte?

Die Datenbanken

Da der Verein Spenderkinder den Test Family Finder von Family Tree DNA zur Verwandtensuche nutzt, aber die Registrierung in allen großen Datenbanken empfiehlt, fand ich die Interviews mit den Gründern bzw. Leitern der Tests besonders spannend.

Family Tree DNA wurde primär aus genealogischem Interesse im Jahr 2000 gegründet. Mit nur rund 150 Angestellten ist das in Houston sitzende Unternehmen immer noch relativ klein. Bei den autosomalen DNA-Tests handelte es sich zunächst um ein Nischenprodukt, erst im Jahr 2013 wurde die Marke von mehr als einer Million verkaufter Tests überschritten. Bereits in der Testphase vor Verkaufsbeginn fanden die Testpersonen unerwartete Ergebnisse in ihrer Abstammung – man wusste also, was passieren könnte. Gründer Bennett Greenspan sagt dazu, er sei kein Ethiker, es würde immer jemand verletzt werden – der Suchende, dem Informationen über seine Abstammung vorenthalten werden, oder dem Gefundenen, der möglicherweise nicht gefunden werden möchte. Er bezeichnet den Begriff „anonymer Samenspender“ als Oxymoron wie „Jumbo Shrimp“ und rät scherzhaft Großeltern, ihren Enkelsöhnen Geld für Bier zu schicken, damit die jungen Männer von heute nicht ihr Sperma verkaufen müssten, damit nicht in zwanzig Jahren jemand an ihre Tür klopft und sie „Dad“ nennt.

23andme wurde im Jahr 2006 gegründet. Die Erfolgsgeschichte des Unternehmens begann mit dem Angebot des ersten autosomalen DNA-Tests im Jahr 2009, der damals noch stolze 999 USD kostete. Die Datenbank ist auf die DNA-Analyse von Gesundheitsanlagen spezialisiert (die aber überwiegend nur auf Vermutungen beruhen, da der Einfluss der Gene auf viele Krankheiten noch nicht ausreichend geklärt ist). Daher hat das Unternehmen Forschungskooperationen mit mehreren Unternehmen, die Zugriff auf anonymisierte DNA-Daten haben. Die Kunden können sich gegen eine Teilnahme entscheiden oder aber durch zusätzliche Informationen über ihre Gesundheit die Kooperationen fördern.

Ancestry sitzt in Lehi, Utah und ist inzwischen die größte DNA-Datenbank. Das im Jahr 1996 gegründete Unternehmen bot zunächst lediglich den Zugang zu historischen Dokumenten für die Ahnenforschung an. Erst ab 2012 wurden zusätzlich autosomale DNA-Tests aufgenommen. Das Geschäftsmodell ist (wie bei MyHeritageDNA) die Kombination von autosomalen DNA Tests und Abonnements für Datenbanken mit historischen Dokumenten. Inzwischen ist es mit mehr als 15 Millionen Teilnehmern die größte DNA-Datenbank.

Zusammensetzung der Abstammung

Alle großen DNA-Datenbanken bieten die Funktion an, die Zusammensetzung der Abstammung einzuschätzen (in Form der regionalen Herkunft). Während die Einschätzung noch 2012 auf einer relativ geringen Datenbasis erfolgte, ist sie inzwischen manchmal sehr genau.2 Allerdings kommt es sehr auf die Größe der jeweiligen Referenzgruppe bei der jeweiligen Datenbank an. So konnte die regionale Abstammung aus Afrika lange nur sehr ungenau zugewiesen werden. Die Resultate können sich zwischen den Datenbanken zudem erheblich unterscheiden, da jede Datenbank einen anderen Algorithmus verwendet.

Die Abstammungsschätzung ist eine sehr beliebte Funktion und wird daher als Werbung verwendet: So warb 23andme bei der Fußball WM, dass man anhand der eigenen ethischen Herkunft ein Team unterstützen sollte (Root for your roots). Um die Olympischen Winterspiele 2018 herum warb Ancestry mit einer Eiskunstläuferin, bei der ihre ethnische Abstammung mit kulturellen Stereotypen in Zusammenhang gebracht wurde (48 % Skandinavien für die Präzision, 27 % Zentralasien für die Grazie, 21 % Großbritannien für ihren Ehrgeiz).

Diese Funktion wird zum Teil kritisiert, da es bei Menschen die Vorstellung hervorrufen oder verstärken könnte, dass Rassen oder Ethnien genetisch bedingt sind und zu erheblichen Unterschieden führen, während die Wissenschaft Ethnie vor allem als soziales oder gesellschaftliches Konzept sieht. Andere erhoffen eine gegenteilige Wirkung: weil die meisten Menschen von verschiedenen Orten in der ganzen Welt abstammen, könnten sie sehen, dass Rassismus keine wissenschaftliche Basis besitzt.

Ein anderer Kritikpunkt ist, dass die Teilnehmer die Schätzung oft falsch verstehen oder als die Antwort für Fragen nach ihrer Identität werten. Aber nur weil die DNA zu 5 % auf Irland zurückverfolgt werden kann, bedeutet dies nicht, dass die näheren Vorfahren aus Irland kamen. Interessant ist, dass die Ergebnisse oft selektiv interpretiert werden: vor allem weiße Teilnehmer empfinden einen geringen Teil nicht-europäischer Abstammung als positiv.

Und manchmal erschüttern die Ergebnisse der Ethnizitätsschätzung die Identität: Libby Copeland erzählt die Geschichte von einem Mann, der mit einem DNA Test feststellte, dass sein eher dunkles Aussehen nicht wie gedacht auf eine südeuropäische Abstammung zurückzuführen ist, sondern dass seine Mutter einen afro-amerikanischen Vater hatte und sie aus einer verbotenen gemischten Beziehung stammte. Bei Afro-Amerikanern kommt es vor, dass sie einen Teil europäischer DNA entdecken (oder Weiße als entfernte Verwandte), weil Sklavenhalter nicht selten ihre Sklavinnen vergewaltigten.

Bei vielen Ethnien oder Gruppen stellt sich zudem die Frage, ob diese genetisch oder kulturell begründet sind und was eine Zugehörigkeit der DNA zu diesen Gruppen bedeutet. Wenn jemand in dem Glauben aufwächst, italienischer Abstammung zu sein, aber tatsächlich afro-amerikanischer Abstammung ist, was ist dann „echt“? Kann man sich jüdisch fühlen, wenn man nicht mit der Kultur aufgewachsen ist? Kann man sich „schwarz“ fühlen, wenn man nie die Erfahrung der entsprechenden Diskriminierung gemacht hat? Und wer entscheidet dies? So sehen es wohl insbesondere die amerikanischen Ureinwohner kritisch, wenn sich Menschen auf Grund indianischer DNA als „Native Americans“ bezeichnen.3.

Datenschutz

Da DNA-Daten Auskunft über Verwandtschaftsbeziehungen und Krankheitsanlagen geben können, sind sie natürlich besonders sensibel. Daher bestehen Bedenken, dass die DNA-Datenbanken als private Unternehmen über solche Daten verfügen oder dass Dritte Zugriff auf diese Daten erhalten könnten. So gab es im Jahr 2018 eine Sicherheitslücke bei MyHeritageDNA, bei der viele Kundendaten entwendet wurde, allerdings keine DNA-Daten. Bedenken bestehen insbesondere, dass Menschen bei Bekanntwerden bestimmter Krankheitsanlagen keine Versicherungen mehr erhalten könnten.4 Andere meinen dagegen, dass Informationen, die viele Menschen über soziale Netzwerke wie Facebook oder Kundenkarten weitergeben, mehr über sie verraten als ihre DNA.

Kritisch wird bei den DNA-Datenbanken gesehen, dass die Daten teilweise anonymisiert für Forschungskooperationen mit Unternehmen verwendet werden. Manche begrüßen diesen Aspekt auf der anderen Seite und helfen den Unternehmen durch zusätzliche Auskünfte über ihren Gesundheitszustand bei der Interpretation der DNA-Daten.

Dass die Daten in zunehmendem Maße zur Identifikation Dritter verwendet werden, ist nicht nur für Menschen nützlich, die Familienmitglieder aus emotionalen Gründen suchen, sondern auch für Strafverfolger. Nach einem Paper von Yaniv Erlich u.a. ist es mit den genetischen Daten von 1,28 Millionen Menschen möglich, für 60 % der Amerikaner mit europäischen Wurzeln einen Cousin dritten Grades oder näher zu finden.5 Ancestry hat im Jahr 2020 schon mehr als 15 Millionen Teilnehmer. Das bedeutet, dass inzwischen alle Amerikaner potentiell mit ein bisschen Recherche identifiziert werden können. Das nutzen inzwischen auch Strafverfolgungsbehörden wie das FBI, die hierdurch einige Jahrzehnte lang ungelöste Mordserien aufklären konnten.6 Das bedeutet, dass man durch die eigene Registrierung möglicherweise seine Angehörigen dem Risiko der Strafverfolgung aussetzt. Auch dieser Aspekt wird von anderen begrüßt, wenn er sich auf schwere Verbrechen bezieht. Trotzdem stellt sich natürlich die Frage, was unterdrückerische Regimes mit diesen Daten anfangen könnten. Es gibt daher bereits Vermutungen, dass die Nachfrage nach DNA-Test wegen Datenschutzbedenken nachlässt.

Unbedingt lesen!

Jeder, der sich für die Entwicklung von Verwandtensuche und die soziale Bedeutung von DNA-Datenbanken interessiert, sollte das Buch unbedingt lesen. Es enthält eine beeindruckende Mischung aus Fakten und emotional berührenden Geschichten und war auch beim zweiten Lesen für diese Besprechung immer noch faszinierend.

Obwohl nur wenige Geschichten von Spenderkindern vorkommen, berühren viele der Fragen und Themen auch unsere eigenen Erfahrungen und zeigen, dass wir damit nicht alleine sind.

Leider gibt es das Buch derzeit noch nicht als deutsche Übersetzung. Da die DNA-Datenbanken jedoch auch in Deutschland immer mehr Teilnehmer bekommen, wird sich das Bedürfnis nach einem Buch, das diese Geschichten erzählt und Themen diskutiert, sehr bald auch in Deutschland zeigen.

  1. ich möchte an dieser Stelle nicht spoilern, aber eine Kurzfassung ihrer faszinierenden Geschichte hat Libby Copeland 2017 in einem Washington Post Artikel veröffentlicht, der derzeit leider nicht zugänglich ist. Eine Nacherzählung der Geschichte erschien in der Irish Times. []
  2. In meinen 23andme Resultaten werden zum Beispiel die Gegenden in Polen angezeigt, von denen ich weiß, dass dort meine Großväter geboren wurden. []
  3. So geschehen bei der demokratischen Senatorin und Präsidentschaftskandidatur-Bewerberin Elizabeth Warren []
  4. Die Bedenken scheinen mir aber eher nur auf die USA zuzutreffen: in Europa dürften Unternehmen solche illegal erhaltenen Daten nicht nutzen. []
  5. Yaniv Erlich, Tal Shor, Itsik Pe’er, Shai Carmi: Identity inference of genomic data using long-range familial searches, Science 09 Nov 2018: Vol. 362, Issue 6415, pp. 690-694. []
  6. Wie z. B. Den Fall des Golden State Killers, der über eine Recherche bei GEDmatch gelöst wurde. []

Pressemitteilung: Spenderkinder starten SocialMedia-Kampagne, um ihre genetischen Väter zu finden

Der Verein Spenderkinder startet am 1. März 2020 eine SocialMedia-Kampagne, um auf den Wunsch vieler durch „Samenspende“ gezeugter Menschen hinzuweisen, ihre leiblichen Väter zu kennen. Unter dem Hashtag #zeigedich werden in den nächsten Wochen regelmäßig unvollständige Bilder der Vereinsmitglieder auf Instagram, Twitter und Facebook gepostet. „Wir hoffen, dass wir mit den Bildern ehemalige „Samenspender“ erreichen“, beschreibt Anne Meier-Credner, Vorstandsmitglied des Vereins, das Ziel der Kampagne. Es ist das erste Mal, dass sich so viele Spenderkinder mit einem Foto zeigen.

In Deutschland haben alle Menschen – auch Kinder eines „Samenspenders“ – ein Recht darauf, zu erfahren, wer ihre leiblichen Eltern sind. Das war Reproduktionsmedizinern bereits in den 70er Jahren bekannt.[1] Dennoch haben viele den „Samenspendern“ Anonymität versprochen. „Wir haben über 10 Jahre lang an die Reproduktionsmedizin appelliert, Verantwortung zu übernehmen und uns bei der Rekonstruktion zu helfen. Jetzt wenden wir uns direkt an unsere genetischen Väter und hoffen, dort auf mehr Verantwortungsbewusstsein zu treffen“, so Meier-Credner, „Spenderkinder wünschen sich einen genetischen Vater, der seine Vergangenheit als ‚Spender‘ nicht verleugnet. Es ist stark, Verantwortung zu übernehmen und zu seinen Kindern zu stehen.“

Viele Spenderkinder sind in den großen DNA-Datenbanken Ancestry, 23andMe, FamilyTreeDNA und MyHeritage registriert, um genetische Verwandte zu finden. Der Verein Spenderkinder freut sich sehr, dass sich bereits einige ehemalige „Spender“ aus eigener Initiative bei DNA-Portalen registrieren lassen und möchte dazu weiter ermuntern. Je mehr Menschen sich in DNA-Datenbanken registrieren lassen, desto mehr Chancen haben Spenderkinder, ihre genetischen Väter auch über andere Verwandte zu finden.

Wer Spenderkinder bei der Suche unterstützen möchte, kann die Suchprofile z.B. über Twitter teilen und möglichst viele Menschen darauf aufmerksam machen. Männer, die ihren Samen über Samenbanken haben vermitteln lassen, werden gebeten, sich beim Verein Spenderkinder zu melden (info@spenderkinder.de).


[1] 1970 erklärte der damalige Justiziar Dr. Arnold Hess auf dem Deutschen Ärztetag, dass der Arzt dem Kind Auskunft geben müsse, wenn er nicht schadensersatzpflichtig werden wolle (DtÄbl 1970, 1982). 1985 bestätigten zwei Essener Reproduktionsmediziner: „Ein wesentliches juristisches Problem dieser Behandlungsmethode ergibt sich aus der bewussten Verletzung des im Grundgesetz verankerten Rechtes auf Kenntnis der biologischen Abstammung. Juristisch spricht man von der planmäßigen Vereitelung der Abstammung, die missbilligt wird“. (Katzorke, K. & Propping, D.; 1985. Voraussetzungen und Ergebnisse der heterologen (donogenen) Inseminationsbehandlung. Pro Familia Magazin, Schwerpunktthema: Kinderwunsch und Reproduktionsmedizin. S. 20-22.)

Vererbung dringend gesucht – Reproduktionsmedizin wirbt mit Epigenetik

Die Reproduktionsmedizin rechtfertigt den Einsatz von Samen- und Eizellen Dritter zur Erfüllung des Kinderwunsches mit der primären Bedeutung sozialer Beziehungen vor genetischer Verwandtschaft. Logisch beeinträchtigt wurde dies seit jeher dadurch, dass zur weiteren Rechtfertigung auch darauf hingewiesen wurde, dass wenigstens einer der Elternteile mit dem Kind verwandt sein sollte. Außerdem wurde relativ großen Wert darauf gelegt, dass die genetischen Elternteile gut überprüft werden, manche Praxen äußerten gegenüber den Wunscheltern, dass sie nur Akademiker akzeptieren würden. Damit wurde (für die Wunschelternseite!) anerkannt, dass genetische Verwandtschaft Bedeutung besitzt. Nur für die Kinder sollte sie das nicht. Die fehlende genetische Verwandtschaft des nur-sozialen Elternteils bleibt aber eine Schwachstelle in der Familie, die mit einem weiteren genetischen Elternteil entsteht.1

„Liebe lässt sich vererben“

Einige Reproduktionsmediziner verweisen daher auf Epigenetik, um zu suggerieren, dass auch der nicht genetische Elternteil das Erbgut des Kindes beeinflussen könne. So hielt Frau Constanze Bleichrodt, die Geschäftsführerin der Samenbank Cryobank-München und derzeit zweite Vorsitzende des Arbeitskreises Donogene Insemination, auf der Herbsttagung des Beratungsnetzwerks Kinderwunsch Deutschland (BKiD) im letzten Jahr einen Vortrag mit dem Titel „Liebe lässt sich vererben – die epigenetische Prägung des Kindes insbesondere auch im Hinblick auf die Familiengründung mit Gametenspende„.

Den Inhalt des Vortrags von Frau Bleichrodt kenne ich nicht, der Titel orientiert sich offensichtlich an dem populärwissenschaftlichen Buch über Epigenetik „Liebe lässt sich vererben“ von Prof. Dr. Johannes Huber. Allerdings legt der Titel den – nicht zutreffenden – Schluss nahe, dass Eltern Kindern etwas von der eigenen DNA mitgeben könnten, auch wenn sie genetisch nicht verwandt sind. Einen Einblick auf den Inhalt des Vortrags geben möglicherweise zwei andere Quellen: Auf der Internetseite der Cryobank München wird in einem Eingangsgespräch auch informiert „.. über die neuesten Erkenntnisse der Epigenetik und darüber, dass Sie auch „von außen“ durch Liebe und Fürsorge Einfluss auf die Gene Ihres Kindes nehmen können.

Bei der Ablehnung der Bitte eines unserer Mitglieder nach Auskunft über den genetischen Vater verwies Herr Dr. med. Wulf Bleichrodt, Reproduktionsmediziner und Frau Bleichrodts Vater, auf die Forschungen zu Epigenetik und behauptete, das genetische Erbe von Vater und Mutter und deren Familien würde ein Kind nur zu höchsten 10 % „prägen“.2 Dabei entfielen 5 % auf die mütterliche und 5 % auf die väterliche Genetik. Mehr als 90 % würde ein Kind zu dem, was es ist, durch den Einfluss seiner innersten und nächsten Umgebung, in die es hineinwachse. Damit entschieden die Eltern, was aus ihrem Kind im Erwachsenenalter werde. Die Forschung zu Epigenetik wird also auch dazu bemüht, Spenderkindern zu sagen, dass ihre genetische Abstammung nicht wichtig sein sollte.

Was ist Epigenetik?

Epigenetik ist noch ein relativ junger Forschungszweig, der davon ausgeht, dass Umweltbedingungen, wie zum Beispiel intensiver Stress, zu vererbbaren Modifikationen an der DNA führen können, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern. 3 So soll zum Beispiel eine Hungersnot in der Generation der Großeltern noch die Gesundheit der Generation der Enkelkinder beeinflussen.4 Durch die Umwelteinflüsse wird nicht der genetische Code der DNA verändert, sondern die nur die Ableserate von bestimmten Genen. Man kann es mit einem Buch vergleichen: mit der Epigenetik wird ausgewählt, welche Seiten jemand liest oder lesen kann. Es können aber nur die Seiten aufgeschlagen werden, die sich im jeweiligen Buch befinden – es kommt also nichts Neues dazu.

Allerdings sind die Ergebnisse epigenetischer Forschung bei Säugetieren durchaus umstritten, weil die Studien oft klein sind, die Ergebnisse oft nicht in Folgestudien repliziert werden konnten und unklar ist, ob die Auswirkungen tatsächlich wie behauptet über mehrere Generationen hinweg vererbt werden können.5

Vor allem populärwissenschaftliche Bücher über Epigenetik bemühen gerne einen bisher angeblich vorherrschenden Determinismus, dass die Gene alles bestimmen. Zur Erschütterung verweisen sie auf die (natürlich bewiesenen) Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf Gesundheit und Wohlbefinden. Damit werden aber die epigenetischen Veränderungen eines Menschen gleichgesetzt mit Vererbung über mehrere Generationen hinweg.

Außerdem stützen sich die mir bekannten epigenetische Studien auf traumatische Ereignisse und nicht auf positive Ereignisse. Möglicherweise ist der Einfluss positiver Effekte daher „nur“, dass die DNA nicht negativ beeinflusst wird.

Vererbung durch soziale Einflüsse soll das Kind ein bisschen mehr zum „Eigenen“ machen

Klar und unbestritten ist: die Erfahrungen, die ein Kind mit seinen engen Bezugspersonen macht, bestimmen stark sein späteres Wesen und Selbstwertgefühl.6 Ein Mensch, dessen Grundbedürfnisse als Kind erfüllt wurden, wird auch als Erwachsener mit höherer Wahrscheinlichkeit selbstbewusst und zufrieden sein. Für diesen (natürlich absolut wichtigen!) Einfluss aber Genetik und Vererbung zu bemühen, weist darauf hin, dass vielen Wunscheltern die genetische Verbindung zum Kind wichtig ist und sie das Fehlen dieser Verbindung zu einem Elternteil als Verlust empfinden.

Mit der Behauptung, dass Erziehung sich auch genetisch auswirke, wird der Wunsch ausgedrückt, das Kind möge doch ein bisschen mehr das „eigene“ werden, nämlich auch über Einwirkung auf die (fremden) Gene, als es das tatsächlich ist. Das ist aber irreführend und wäre im Kontext von Werbung unzulässig. Nach den Berufsordnungen der Ärzte ist anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung berufswidrig.7 Diese Verschleierung des fremden Anteils im Kind ist außerdem aus psychologischer Sicht langfristig nicht hilfreich, weil sie verhindert, dass sich die Wunscheltern mit der fremden und nicht so erwünschten Herkunft des Kindes auseinandersetzen und diese Anteile in ihre Familie integrieren.

Nature or Nurture Debatte in neuem Gewand

In der Argumentation von Herrn Dr. Bleichrodt gegenüber einem unserer Mitglieder scheint außerdem die alte „Nature or Nurture“ Debatte wieder auf – die Herr Dr. Bleichrodt mit der Behauptung, dass 90 % der Anlagen auf dem Einfluss der nächsten Umgebung beruhen würden, eindrucksvoll für „Nurture“ entscheidet. Das ist natürlich ein erfreuliches Ergebnis für Wunscheltern, weil es bedeuten würde, dass der fremde genetische Elternteil nur 5 % der Anlagen des Kindes ausmache. Mit dieser Haltung liegt der Schluss nah, dass man diesen vermeintlich so unbedeutenden genetischen Elternteil des Kindes nach der Zeugung ruhig vergessen darf.

Letztlich lässt sich vielleicht auch gar nicht wissenschaftlich eindeutig aufklären, was an einem Menschen auf Vererbung und was auf sozialen und anderen Umwelteinflüssen beruht. Es erscheint unmöglich, dies bei jedem einzelnen Wesenszug oder Interesse eines Menschen objektiv zu klären. Daher kommt es entscheidend auf das Selbstverständnis jedes Einzelnen an – was ihm oder ihr in dem eigenen Leben als einflussreicher erscheint.

Auch in unserem Verein haben Mitglieder dazu unterschiedliche Meinungen: Manche haben sich immer fremd in ihrer Familie gefühlt und führen das auf ihre Abstammung von einem anderen Mann zurück. Manche haben viele Ähnlichkeiten zu ihrem genetischen Vater entdeckt, wenn sie ihn kennenlernen konnten. Es gibt aber auch Mitglieder unter uns, die sagen, dass sie sich auch ihrem sozialen Elternteil sehr nahe fühlen und vieles von ihm gelernt und übernommen haben. Solche Gefühle können nicht richtig oder falsch sein, sie sind einfach da.

Da aber jahrelang Reproduktionsmediziner das Recht von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Herkunft verletzt haben, weil sie entschieden haben, dass die genetische Herkunft für Spenderkinder nicht wichtig sein soll, ist es besonders bevormundend, weiterhin die Bedeutung des genetischen Elternteils zu marginalisieren, obwohl mittlerweile hinreichend bekannt sein sollte, dass niemand für einen anderen Menschen die Bedeutung der genetischen Elternteile vorgeben kann.

Eltern sollten nicht erwarten, sich in Ihren Kindern verewigen zu können

Den Vortragstitel finde ich aber auch in zwei weiteren Aspekten ziemlich ärgerlich.

Mit „Liebe lässt sich vererben“ wird quasi vorausgesetzt, dass Spenderkinder in liebevollen Familien aufwachsen. Dahinter steht die altbekannte Erwartung: Du bist ein Wunschkind – dann hast Du es doch besonders gut. Ein Satz, der viele Spenderkinder regelmäßig nervt. Viele Eltern lieben ihr Kind und sind trotzdem nicht fähig, gute Jeden-Tag-Eltern zu sein. Und manchmal merken die nur-sozialen Elternteile leider auch, dass es ihnen schwerer fällt als geplant, das nicht von ihnen abstammende Kind anzunehmen.

Ich finde es außerdem schwierig, wenn Eltern versuchen, ihre Kinder zu „prägen“, sich in ihren Kindern zu verewigen, etwas zu hinterlassen, sie zu beeinflussen. Das sind (recht egoistische) Interessen der Eltern. Diese Wünsche können durchaus enttäuscht werden, selbst wenn beide Eltern genetisch mit dem Kind verwandt sind. Je nach Zusammensetzung der Gene kann ein Kind den Eltern ähnlich oder auch ziemlich verschieden von ihnen sein.8 Das gilt sowohl für äußere Ähnlichkeiten als auch für Wesen und Interessen. Schon zwischen Geschwistern bestehen oft erhebliche Unterschiede. Sollte es nicht die Aufgabe von Eltern sein, die Individualität ihres Kindes zu akzeptieren und zu fördern und nicht, Ähnlichkeit zu einem selbst zu erwarten?

Das gilt besonders für eine Familiengründung mit einer oder einem Dritten als genetischem Elternteil des Kindes. Wie bei allen anderen Eltern auch, kann das Kind dem unbekannten genetischen Elternteil ähnlich sein. Es ist wichtig, dass das Kind dann nicht von den Eltern das Gefühl vermittelt bekommt, dass diese Ausprägungen unerwünscht sind, weil sie am liebsten vergessen möchten, dass sie ihre Familie mit einem dritten Menschen gegründet haben.

  1. Sie schafft ein Ungleichgewicht zwischen den Wunscheltern und auch gegenüber dem Kind. Studien zufolge reagiert der nicht-genetische Elternteil wesentlich sensibler, wenn das Kind nach seinen genetischen Verwandten sucht – Scheib J, Riordan M, Rubin S (2005) Adolescents with open-identity sperm donors: reports from 12–17 year olds. Human Reproduction (1) 20, S. 239–252, S. 249; Isaksson S et al. (2011) Two decades after legislation on identifiable donors in Sweden: are recipient couples ready to be open about using gamete donation? Human Reproduction, (4) 26 S. 853–860, S. 855. []
  2. „Prägung“ ist in diesem Zusammenhang inhaltlich eigentlich nicht passend, weil es eine Form des Lernens beschreibt, bei der die Reaktion auf einen bestimmten Reiz der Umwelt derart dauerhaft ins Verhaltensrepertoire aufgenommen, dass diese Reaktion wie angeboren erscheint und daher nichts mit Epigenetik zu tun hat: Die genetisch begründete Form des „Imprinting“ (die auf Deutsch manchmal irreführenderweise mit „Prägung“ übersetzt wird) hat auch nichts mit Epigenetik zu tun. []
  3. z. B. Venney u.a., DNA Methylation Profiles Suggest Intergenerational Transfer of Maternal Effects,
    Mol Biol Evol. 2020 Feb 1;37(2):540-548. []
  4. Die sogenannte Överkalix Studie: Bygren, Lars O. et al.: Change in Paternal Grandtmothers‘ Early Food Supply Influenced Cardiovascular Mortality of the Female Grandchildren, BMC Genetics 15 (2014), S. 12 ff., Eine Folgestudie aus dem Jahr 2018 bestätigte einen Teil der Ergebnisse: Vågerö u. a., Paternal grandfather’s access to food predicts all-cause and cancer mortality in grandsons, Nature Communications volume 9, Article number: 5124 (2018). []
  5. Edith Heard and Robert A. Martienssen, Transgenerational Epigenetic Inheritance: myths and mechanisms https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4020004/; Carl Zimmer, She has her mother’s laugh. The Power, perversions, and Potential of Heredity. Picador 2018, S. 434; SWR2 Verändert der Lebensstil die Vererbung? []
  6. z. B. Stefanie Stahl, Das Kind in dir muss Heimat finden, 9. Aufl., Kailash 2015, S. 14. []
  7. Unser Verein hat sich bereits bei einer Ärztekammer wegen irreführender und anpreisender Werbung für „Samenspende“ beschwert. []
  8. Largo, Kinderjahre – die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung, S. 68. []

VICE berichtet am 29. Januar 2020 über Britta und Dietrich

Das Online-Magazin der VICE berichtete am 29. Januar 2020 unter dem Titel „Samenspende: Wie Britta ihren Vater kennenlernte“ über die Geschichte von Britta und Dietrich.

Spenderkinder-Mitglied Britta identifizierte ihren Vater DIetrich im Mai 2019 über eine DNA-Datenbank. Beide haben sich über den Treffer gefreut, auch Dietrichs Frau wusste von Anfang an Bescheid und unterstützte das Kennenlernen der Beiden. Beste Voraussetzungen also auf allen Seiten.

In dem Artikel beschreiben Britta und Dietrich sehr ehrlich ihre Gedanken und Gefühle, von der Entscheidung „Samen zu spenden“ bis zu ihrem Kennenlernen und der großen Herausforderung, die gefundenen Verbindungen in den Alltag zu integrieren.

Der Artikel widmet sich damit einem Thema, das Spenderkinder und ihre Verwandten zunehmend beschäftigt: Wie geht es weiter, wenn der genetische Vater und Halbgeschwister gefunden wurden? Wie entwickeln sich die emotionalen Beziehungen zueinander weiter? Welcher Platz ist im Alltag füreinander?

Wenn die Wahrheit ans Licht kommt: acht Ratschläge für Eltern von durch Samenspende gezeugten Erwachsenen

Viele Eltern von durch „Samenspende“ gezeugten Kindern sagen ihren Kindern bis ins Erwachsenenalter nicht die Wahrheit über ihre Zeugungsart. Mit zunehmendem Alter steigt aber auch die Gefahr einer zufälligen Entdeckung durch das Kind selbst, insbesondere durch einen DNA-Test, den inzwischen viele Menschen aus allgemeinem Interesse an ihrem genetischen Erbe machen. Wendy Kramer ist Mutter eines mit „Samenspende“ gezeugten Sohnes und hat das Donor Sibling Registry gegründet, über das man nach genetischen Verwandten suchen kann. Auf ihrem Blog hat sie Ratschläge für Eltern für ein Aufklärungsgespräch mit erwachsenen Spenderkindern veröffentlicht, die wir vollends unterstützen. Viele unserer Mitglieder halten insbesondere eine Entschuldigung für das lange Verschweigen und die Unterstützung bei der Suche nach Verwandten für wichtig. Mit Wendys freundlichem Einverständnis hat Veronika Somnitz für den Verein Spenderkinder ihren Text auf Deutsch übersetzt. Wer Wendy direkt anschreiben möchte, kann Sie unter wendy@donorsiblingregistry.com erreichen.


Sind Sie ein Elternteil eines durch Samenspende gezeugten erwachsenen Kindes, das erst jetzt die Wahrheit über seine Zeugung erfährt – weil Sie das aufklärende Gespräch darüber immer wieder aufgeschoben haben oder weil es die Wahrheit alleine herausgefunden hat? Wenn Sie ängstlich sind und nicht wissen, wie Sie dieses heikle Gespräch mit Ihrem Kind in Angriff nehmen sollen, können Ihnen folgende Ratschläge bei der Führung dieses Gesprächs helfen.


Acht Ratschläge, falls Sie eine baldige Aussprache planen…

“Es gibt keine größere Qual, als eine unerzählte Geschichte in dir herumzutragen.“ – Maya Angelou

1.Wann ist der beste Zeitpunkt? Jetzt.

Es steht Ihnen nicht zu, dieses Geheimnis weiter mit sich herumzutragen. Es wird niemals den „perfekten“ Zeitpunkt geben. Daher gilt für Sie das Motto: je eher desto besser. Stellen Sie sicher, dass Sie sich vorher psychologisch darauf vorbereitet haben, um dazu in der Lage zu sein, dieses Gespräch zu führen, z. B. mit Hilfe eines Therapeuten oder durch Ihre eigene seelische Auseinandersetzung mit dem Thema. Atmen Sie mehrmals tief durch und versuchen Sie, sich zu entspannen. Es haben schon viele Menschen vor Ihnen diesen Pfad beschritten und sie haben alle überlebt!

2. Erzählen Sie ein wenig von Ihrer Geschichte und wie Sie dazu kamen, einen Samenspender zu wählen.

Sie geben den Tonfall im Gespräch an. Versuchen Sie, das Gespräch leicht zu halten und flechten Sie wenn möglich etwas Humor ein. Sie müssen für dieses Gespräch so gut wie möglich geerdet sein und es besonnen angehen, da es die Grundlage für alle künftigen Gespräche schafft.

3. Erklären Sie sehr ehrlich, warum Sie es erst jetzt erzählen.

Gehen Sie nicht in die Defensive und verwenden Sie Ihre Geschichte nicht, um sich zu rechtfertigen. „Wir haben es vergessen“ ist keine gute Entschuldigung. Ihr Kind möchte das Gefühl hinter dem Grund dafür hören, warum Sie es ihm nicht gesagt haben. Wovor hatten Sie und Ihr(e) Partner(in) Angst? Das kann Ihrem Kind dabei helfen, seine eigenen Gefühle besser zu verarbeiten. Dazu können Wut, Trauer, Verwirrung oder auch Erleichterung gehören.

4. Lassen Sie Ihr Kind wissen, dass Sie mit den Informationen, die Sie damals hatten, die bestmögliche Entscheidung getroffen hatten.

Erklären Sie, was Ihnen Ihr behandelnder Arzt erzählt hat, einschließlich aller etwaigen Informationen zum Spender. Sagen Sie Ihrem Kind, wie es sich anfühlte, diese Informationen geheim zu halten. Erzählen Sie ihm, was Sie vor Kurzem im Hinblick auf die Wichtigkeit der Ehrlichkeit gegenüber dem Kind erfahren haben. Sagen Sie ihm, wer sonst noch davon weiß.

5. Ganz wichtig: Entschuldigen Sie sich. Übernehmen Sie die Verantwortung.

Diese Informationen standen Ihrem Kind zu und Sie haben sie ihm vorenthalten. Entschuldigen Sie sich immer wieder. Dies erlaubt es Ihrem Kind, alle Emotionen zu durchleben, ohne in der Wut stecken zu bleiben. Fordern Sie es nicht dazu auf, das „Geheimnis“ weiterhin zu wahren, da eine Geheimhaltung Scham impliziert. Die Scham über die Unfruchtbarkeit sollte nicht als eine Scham über die Zeugung durch Samenspende auf Ihr Kind übertragen werden.

6. Bleiben Sie offen für eine spätere Fortführung des Gesprächs.

Es handelt sich nicht um ein einmaliges Gespräch. Es ist äußerst wichtig, dass Ihr Kind weiß, dass es sich um ein willkommenes, fortlaufendes Gespräch handelt und dass Sie es unterstützen werden, während es diese neuen Informationen verarbeitet, Familie und Freunden davon erzählt und dieses Wissen in seine Identität integriert. Stoßen Sie das Thema sanft an, wenn Ihr Kind nicht von allein erneut auf Sie zukommt, sodass es weiß, dass Sie da sind, um ihm zu helfen zu verstehen, was diese neue Information für es und sein Leben bedeutet.

7. Erzählen ist nur der erste Schritt.

Stellen Sie sicher, dass Ihr Kind weiß, dass all seine Neugier bezüglich seiner Halbgeschwister und/oder seines unbekannten biologischen Elternteils, seiner Abstammung und seiner medizinischen Vorgeschichte normal und zu erwarten ist. Wenn Sie sich damit nicht vollständig wohl fühlen, ist es wichtig, dass Sie den Grund dafür verstehen, damit Sie sich in diesem Bereich weiter entwickeln können. Seien Sie ehrlich, wenn Sie mit Ihrem Kind darüber sprechen.

8. Wenn Ihr Kind neugierig ist …

Wenn Ihr Kind mehr über seine Abstammung wissen will, bieten Sie ihm an, diesen Weg gemeinsam mit ihm zu beschreiten, um die Informationen und genetischen Verwandten zu finden, von denen es der Ansicht ist, dass es sie kennen muss. Stellen Sie sicher, dass es weiß, dass seine Neugier in keiner Weise einen Verrat an Ihnen bedeutet. Dies ist besonders wichtig für den nicht leiblichen Elternteil. Es ist wichtig, dass Ihr Kind weiß, dass viele andere Menschen vor ihm denselben Weg beschritten haben. Sie können es für weitere Unterstützung auch an das englischsprachige Register für Spendergeschwister – Donor Sibling Registry verweisen. Ergänzung von Spenderkinder: im deutschsprachigen Raum natürlich auch sehr gerne an unseren Verein oder die Möglichkeit eines DNA Tests.


8 Ratschläge, wenn Ihr Kind es gerade selbst herausgefunden hat …

„Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang verändern. Aber du kannst starten wo du bist und das Ende verändern.“ – C.S. Lewis

1.Entschuldigen Sie sich. Übernehmen Sie die Verantwortung.

Diese Informationen standen Ihrem Kind zu und Sie haben sie ihm vorenthalten. Entschuldigen Sie sich immer wieder. Dies erlaubt es Ihrem Kind, alle Emotionen zu durchleben, ohne in der Wut stecken zu bleiben. Fordern Sie es nicht dazu auf, das „Geheimnis“ weiterhin zu wahren, da eine Geheimhaltung Scham impliziert. Die Scham über die Unfruchtbarkeit sollte nicht als eine Scham über die Zeugung durch Samenspende auf Ihr Kind übertragen werden.

2. Erzählen Sie ein wenig von Ihrer Geschichte und wie Sie dazu kamen einen Samenspender zu wählen.

Versuchen Sie, das Gespräch leicht zu halten und flechten Sie wenn möglich etwas Humor ein. Sie müssen für dieses Gespräch so gut wie möglich geerdet sein und es besonnen angehen, da es die Grundlage für alle künftigen Gespräche schafft.

3. Erklären Sie sehr ehrlich, warum Sie es erst jetzt erzählen.

Gehen Sie nicht in die Defensive und verwenden Sie Ihre Geschichte nicht, um sich zu rechtfertigen. „Wir haben es vergessen“ ist keine gute Entschuldigung. Ihr Kind möchte das Gefühl hinter dem Grund dafür hören, warum Sie es ihm nicht gesagt haben. Wovor hatten Sie und Ihr(e) Partner(in) Angst? Das kann Ihrem Kind dabei helfen, seine eigenen Gefühle besser zu verarbeiten. Dazu können Wut, Trauer, Verwirrung oder auch Erleichterung gehören.

4. Lassen Sie Ihr Kind wissen, dass Sie mit den Informationen, die Sie damals hatten, die bestmögliche Entscheidung getroffen hatten.

Erklären Sie, was Ihnen Ihr behandelnder Arzt erzählt hat, einschließlich aller etwaigen Informationen zum Spender. Sagen Sie Ihrem Kind, wie es sich anfühlte, diese Informationen geheim zu halten. Erzählen Sie ihm, was Sie vor Kurzem im Hinblick auf die Wichtigkeit der Ehrlichkeit gegenüber dem Kind erfahren haben. Sagen Sie ihm, wer sonst noch davon weiß.

5. Bleiben Sie offen für eine spätere Fortführung des Gesprächs.

Es handelt sich nicht um ein einmaliges Gespräch. Es ist äußerst wichtig, dass Ihr Kind weiß, dass es sich um ein willkommenes, fortlaufendes Gespräch handelt und dass Sie es unterstützen werden, während es diese neuen Informationen verarbeitet, Familie und Freunden davon erzählt und dieses Wissen in seine Identität integriert.

6. Stellen Sie sicher, dass Ihr Kind weiß, dass all seine Neugier bezüglich seiner unbekannten Spenderfamilie normal und zu erwarten ist.

Stellen Sie sicher, dass Ihr Kind weiß, dass Sie seinen Wunsch danach zu erfahren, wer seine unbekannten genetischen Verwandten sind, anerkennen und respektieren. Wenn Sie sich damit nicht vollständig wohl fühlen, ist es wichtig, dass Sie den Grund dafür verstehen, damit Sie sich in diesem Bereich weiter entwickeln können. Seien Sie ehrlich, wenn Sie mit Ihrem Kind darüber sprechen.

7. Wenn Ihr Kind neugierig ist …

Wenn Ihr Kind mehr über seine Abstammung, seine medizinische Vorgeschichte und nahe genetische Verwandte wissen will, bieten Sie ihm an, diesen Weg gemeinsam mit ihm zu beschreiten, um die Informationen und Menschen zu finden, von denen es der Ansicht ist, dass es sie kennen muss. Stellen Sie sicher, dass es weiß, dass seine Neugier in keiner Weise einen Verrat an Ihnen bedeutet. Dies ist besonders wichtig für den nicht leiblichen Elternteil. Es ist wichtig, dass Ihr Kind weiß, dass viele andere Menschen vor ihm denselben Weg beschritten haben. Sie können es für weitere Unterstützung auch an das englischsprachige Register für Spendergeschwister – Donor Sibling Registry verweisen. Ergänzung von Spenderkinder: im deutschsprachigen Raum natürlich auch sehr gerne an unseren Verein oder die Möglichkeit eines DNA Tests.

8. Halten Sie das Gespräch in Gang. Entschuldigen Sie sich immer wieder dafür, dass Sie es Ihrem Kind nicht früher erzählt haben und dass Ihr Kind es auf so eine schockierende Weise herausfinden musste.

Atmen Sie mehrmals tief durch und versuchen Sie, sich zu entspannen. Es haben schon viele Menschen vor Ihnen diesen Pfad beschritten und sie haben alle überlebt! Es sollte Ihnen ein gutes Gefühl geben, dass Ihre Familie von nun an eine gute Grundlage in der Wahrheit haben wird. Stoßen Sie das Thema sanft an, wenn Ihr Kind nicht von allein erneut auf Sie zukommt, sodass es weiß, dass Sie da sind, um ihm zu helfen zu verstehen, was diese neue Information für es und sein Leben bedeutet.

The Kids are alright – Rezension

Als der Film „The Kids are alright“ im Jahr 2010 in die Kinos kam, war ich sehr interessiert – immerhin ging es das erste Mal in einem Film um erwachsene Spenderkinder, die Kontakt zu ihrem genetischen Vater aufnehmen, was das Familiengefüge ziemlich durcheinander bringt. In vielen Filme davor geht es vor allem um die Wunscheltern oder den Samenspender, und die Kinder kommen nur als Nebenrolle vor. Irgendwie habe ich den Film dann aber doch bis heute nie gesehen – vielleicht auch weil mich das mit dem Titel vermittelte Klischee stört, dass es den Spenderkindern gut geht (siehe dazu unser Artikel Wie gut geht es Spenderkindern wirklich).

Im Dezember 2019 habe ich ihn aber erstmals gesehen und mein Urteil ist gemischt. Der Film ist unterhaltsam, die Dialoge gut und die Schauspieler sind hervorragend, aber es handelt sich um einen Film aus der Perspektive von Wunscheltern und das mit der erzählten Geschichte vermittelte Familienbild ist überraschend konservativ.

Es geht um Wunscheltern, nicht um Spenderkinder

Die erste Erkenntnis war, dass der Titel „The kids are alright“ sich eher auf den Kontrast zu den Eltern bezieht, die stark mit Problemen von Menschen im mittleren Alter beschäftigt sind. Bei den Frauen ist die Beziehung etwas eingeschlafen, der etwa vierzigjährige immer noch alleinstehende Vater fragt sich, ob er nicht doch eine Familie hätte gründen sollen. Damit ist aber klar: die Hauptpersonen sind auch in diesem Film nicht die Spenderkinder, sondern die Wunscheltern und ihre Perspektive.

Man könnte einen sehr interessanten Film über die Schwierigkeiten von Spenderkindern machen, wenn sie einen weiteren Elternteil und neue Halbgeschwister in ihre Familiengefüge integrieren müssen. Der genetische Vater ist meistens nicht wie im Film alleinstehend, sondern hat eine eigene Familie, die auch von den Veränderungen betroffen ist. Dazu kommt, dass es möglicherweise auch sehr viele Halbgeschwister gibt. Insbesondere der nur-soziale Elternteil kann durch die Kontaktaufnahme verletzt und verunsichert sein, was viele Spenderkinder in einen Loyalitätskonflikt bringt.

Diese Konflikte klingen in dem Film nur an: das erste Telefonat und Treffen zwischen den Kindern und dem Vater ist etwas unentspannt. Sie können kaum miteinander reden, so sehr sind sie von der Kluft zwischen Anonymität und biologischer Verwandtschaft überfordert.1 Schön ist, dass der Vater so offen für Kontakt ist und die Kinder tatsächlich mag und ihnen das auch sagt. Ansonsten kommen die Kinder aber ziemlich gut klar mit ihrer neuen Verwandtschaft.

Diese Probleme der Familienintegration werden auch realistisch dargestellt, indem die beiden Kinder den Müttern zuerst nicht sagen, dass sie Kontakt zum Spender aufgenommen haben, weil sie die beiden nicht verletzten wollen. Ich weiß von mehreren Spenderkindern, deren soziale Eltern nicht wissen, dass sie über ihre Zeugungsart Bescheid wissen und eine Beziehung zu ihren Vater aufgebaut haben. Und tatsächlich äußert die eine Mutter, dass sie den Wunsch ihrer Kinder schon versteht, sich aber doch fragt, ob sie nicht genug ist. Später äußert diese Mutter Frustration darüber, dass ihre Kinder begeister vom genetischen Vater sind und viel Zeit mit ihm verbringen.

Der genetischer Vater als Bedrohung der sozialen Familie

Mein zweiter großer Kritikpunkt ist, dass der genetische Vater als Gefahr für die Familie dargestellt wird, der zu Recht ausgeschaltet werden muss. Bereits der Aufbau einer Beziehung zu den Kindern führt zu Konflikten mit den Mütter, dann fängt er aber auch noch ein Verhältnis mit der einen Mutter an. Dass es zu so etwas kommt, halte ich für extrem konstruiert, aber die Befürchtung besteht anscheinend immer im Hinterkopf – vielleicht diese Verbindung als so naheliegend erscheint, wenn die Personen zusammen ein Kind gezeugt haben. In der älteren Literatur über Samenspende wird diese auch oft mit einem Ehebruchs verglichen. Der Film vermittelt damit aber die Wertung, dass die Integration des genetischen Vater die Familie zerstören kann. Leider ist die Lösung aber nicht, dass die Erwachsenen sich zusammenreißen und ihre Probleme im Interesse der Kinder klären, auch einen Beziehung zum genetischen Vater zu haben.

Die „Lösung“ ist stattdessen Ausschluss: Der Film endet damit, dass der Vater während des Abschiedessens für die Tochter draußen vor der Tür steht, vergeblich versucht sich bei der Tochter zu entschuldigen und ihm empfohlen wird, dass er seine eigene Familie gründen soll, wenn er so gerne eine hätte. Der Vorwurf ist klar: Der genetische Vater gehört nicht zur Familie der Spenderkinder und versucht aber, sich reinzudrängen. Diesen Vorwurf kennen viele Spenderkinder auch von der anderen Seite, nämlich wenn ihnen vorgeworfen wird, dass sie versuchen die Familie des genetischen Vaters durch ihre Kontaktaufnahme zu stören.

Die Spenderkinder scheinen den Ausschluss des Vaters okay zu finden – als wäre die Grenzverletzung durch die Affäre nur von ihm ausgegangen. Nachher versöhnen sich die Mütter wieder, als sie ihre Tochter ins College bringen. Das wirkt so, als wäre der Kontakt zum genetischen Vater eine Phase, die jetzt wieder vorbei ist, während die soziale Kernfamilie trotz aller Konflikte wie bisher weiterbesteht. „Das Versprechen der Reproduktionsmedizin, das Gück der sozialen Allianzen hat über den Einbruch des Biologischen und den von weiterher kommenden Sog der Deszendenz gesiegt.“2

Kaum Kritik in der öffentlichen Diskussion

Die Regisseurin Lisa Cholodenko ist selbst lesbisch und hat mit einer früheren Partnerin ein Kind mit einer Samenvermittlung bekommen. Es kann also gut sein, dass die mit dem Film vor allem die Vorstellung bestimmter Wunscheltern stützen möchte, dass eine soziale Verbindung zwischen Eltern und Kind ausreicht und der Vater aus ihrer Familie herausgehalten werden sollte.

Bedenklich ist, dass diese Aspekte in der öffentlichen Diskussion kaum vorkamen – der Film wurde sehr gut besprochen und für vier Oscars prämiert. Eine kritische Besprechung habe ich erstmals von Andreas Bernard in dem Buch Kinder machen gelesen. Vielleicht wäre das inzwischen anders, wo viele Spenderkinder dank DNA-Tests ihre genetischen Verwandten identifizieren und zum Teil auch eine Beziehung zu ihnen aufbauen konnten.

  1. Andreas Bernard, Kinder machen – Samenspender, Leihmütter, künstliche Befruchtung; Frankfurt am Main 2014, S. 85. []
  2. Andreas Bernard, Kinder machen – Samenspender, Leihmütter, künstliche Befruchtung; Frankfurt am Main 2014, S. 87. []

Britta bei Leeroy Matata auf YouTube

Spenderkinder-Mitglied Britta wurde von Leeroy Matata auf YouTube über die Suche nach ihrem genetischen Vater interviewt.

Das Video ist seit dem 20. November 2019 online und hatte in den ersten zwei Tagen bereits über 300.000 Aufrufe. Britta wusste schon 11 Jahre lang, dass sie einen anderen genetischen Vater hat, bevor sie sich auf die Suche machte. Ihr hat es geholfen, mit anderen über das Thema zu sprechen. Nun möchte sie anderen Spenderkindern Mut machen, sich auf die Suche nach ihren Wurzeln zu machen.

Aufklärung durch DNA-Datenbank

DNA Tests wie Family Finder, MyHeritage DNA, Ancestry oder 23andme werden auch in Deutschland immer häufiger genutzt.1 Dahinter steht meistens ein allgemeines Interesse an der Zusammensetzung der DNA oder an Ahnenforschung. Die meisten DNA-Tests warnen neue TeilnehmerInnen inzwischen davor, dass die Testergebnisse Familiengeheimnisse enthüllen können – aber vermutlich rechnen die meisten nicht damit, dass sie selbst davon betroffen sein könnten.

Auch in unserem Verein hatten wir in den letzten beiden Jahren die ersten Fälle, in denen unseren Mitgliedern Halbgeschwister angezeigt wurden, die bislang nichts von ihrer Zeugung durch eine Samenvermittlung wussten. In den USA ist diese Art der Aufklärung wegen der weiten Verbreitung der DNA-Tests übrigens gefühlt die Häufigste. Die amerikanischen Spenderkinder rechnen nach Sonderaktionen der DNA-Datenbanken wie „Prime Day“ und dem „Black Friday Sale“ regelmäßig mit neuen Halbgeschwistern.

Für das aufgeklärte, suchende Spenderkind ist das eine schwierige Situation: einerseits besteht Freude über den Halbgeschwistertreffer, andererseits findet es sich vor die Aufgabe gestellt, die neue Halbschwester oder den neuen Halbbruder aufzuklären. Es ist eine sehr unangenehme Aufgabe, einem Menschen, den man noch nicht weiter kennt, vermitteln zu müssen, dass er von den Menschen, denen er vermutlich am meisten vertraut, seinen Eltern, getäuscht wurde. Es ist wahrscheinlich, dass der neue Halbbruder oder die neue Halbschwester in ein Chaos der Gefühle gestürzt wird. Er oder sie hat nicht nur ein Familiengeheimnis entdeckt und seine bzw. ihre Eltern von einer neuen Seite kennengelernt sondern gleichzeitig enge Verwandte gefunden, von denen er oder sie bislang nicht wusste, dass sie existieren.

Unsere Empfehlung: vorsichtig vorgehen

Wir empfehlen, erst einmal vorsichtig vorzugehen. Wenn die Halbschwester oder der Halbbruder nichts von ihrer oder seiner Zeugungsart weiß, könnte es als traumatisch empfunden werden, wenn man gleich mit der Tür ins Haus fällt mit Sätzen wie „Bist Du auch in der Klinik XXX entstanden?“ Ihr könnt gerne bei unserem Verein nachfragen, ob euer Treffer Mitglied bei uns ist (und dementsprechend von der Zeugungsart weiß). Wenn wir dazu nichts sagen können, empfehlen wir, erst einmal nachzufragen, weswegen die Halbschwester oder der Halbbruder sich bei einer DNA-Datenbank hat eintragen lassen und ob er oder sie eine Idee hat, weswegen man so nah verwandt sein könnte. Aus der Antwort kann man dann schließen, ob die Halbschwester oder der Halbbruder von der Samenvermittlung (oder Eizellvermittlung) weiß. Wenn das nicht der Fall ist, kann man bei einer Rückfrage wie ob man selbst eine Idee dazu hat hoffentlich einschätzen, ob eInteresse an einer Klärung der Verwandtschaftsbeziehungen besteht. In diesem Fall könnte man von der eigenen Abstammung durch eine Samenvermittlung erzählen oder dass man nicht weiß, wer der biologische Vater ist. Es besteht immerhin auch die Möglichkeit, dass die Halbschwester oder der Halbbruder ein „bekanntes“ Kind des biologischen Vaters ist (und dann damit zurechtkommen muss, dass der Vater seinen Samen abgegeben hat).2

Ab und zu hört man die Empfehlung, dass man die Halbschwester oder den Halbbruder darauf verweisen sollte, erst einmal mit den Eltern zu sprechen. Auch wenn wir eine Aufklärung durch die Eltern selbst günstiger finden, halten wir so einen Verweis für bevormundend: wer sich bei einer DNA-Datenbank registriert, ist erwachsen und kann selbst bestimmen, was er oder sie wissen möchte. Wir haben außerdem die Erfahrung gemacht, dass manche Eltern selbst angesichts von DNA-Test-Ergebnissen nicht die Wahrheit sagen und behaupten, die Ergebnisse müssten falsch sein.

Wie reagieren die Betroffenen?

Jeder Mensch reagiert abhängig von Charakter und Vorahnungen anders auf eine solche Enthüllung.

Obwohl wir eine Aufklärung durch die Eltern günstiger finden, sind manche auch froh, dass sie von einem anderen Spenderkind aufgeklärt werden:

„Ich war heilfroh, dass ich bei meinem absolut unerwarteten Treffer über die DNA-Datenbank direkt eine Halbschwester gefunden habe, die bereits über ihre Entstehung informiert war. Durch die Gespräche mir ihr konnte ich den Schock ein Spenderkind, ohne von den eigenen Eltern aufgeklärt worden zu sein, deutlich besser verdauen. Wäre es mir am Tisch von meinen Eltern oder noch schlimmer: durch Zufallsfund in den Dokumenten derselben eröffnet worden, dass ich Spenderkind bin, wäre dieser Schock womöglich anders verarbeitet worden. Sich alleine damit abzufinden und ggfs. mehrere Wochen auf DNA-Treffer zu warten – schwer einzuschätzen, ob ich mich dann nicht auch erstmal zurückgezogen hätte.“

Im Allgemeinen wurde die Situation nach einer kurzen Phase der Ungläubigkeit und Freude über den Halbbruder oder die Halbschwester akzeptiert. Manche hatten schon geahnt, dass sie möglicherweise nicht von ihrem Vater abstammen, waren aber eher von einer Affäre der Mutter ausgegangen.

Bei anderen war festzustellen, dass die Neuigkeit sie sehr schockierte und sie erst einmal Zeit zur Verarbeitung brauchten. Es gab jedoch auch Fälle, in denen die Betroffenen es nicht wahrhaben wollten und das Testergebnis für falsch hielten oder überhaupt keinen Kontakt wollten. Das ist traurig für das suchende Spenderkind – hier tröstet nur der Gedanke, dass die Halbschwester oder der Halbbruder vielleicht nur Zeit zur Verarbeitung braucht. Genetische Verwandtschaft kann in verschiedenen Lebensphasen eine ganz unterschiedliche Bedeutung besitzen, und vielleicht verändert sich diese Bedeutung einmal in der Zukunft. Wer nicht wahrhaben möchte, dass die Eltern ihnen die Wahrheit über ihre Abstammung vorenthalten haben, ist vermutlich noch nicht bereit für diese Einsicht und die damit verbundene Auseinandersetzung mit den Eltern.

Wurden die Eltern mit dem Wissen konfrontiert?

Wurde das Kind durch einen Halbbruder oder eine Halbschwester aufgeklärt, stellt sich für das Kind die Frage, ob und wie es seinen Eltern davon erzählt. Während meistens zumindest das Gespräch mit der Mutter gesucht wird, auch um die Entstehungsweise zu bestätigen, fällt das Gespräch mit dem sozialen Vater deutlich schwerer, wenn vermutet wird, dass er nicht der leibliche Vater ist.

Die meisten Spenderkinder informieren die Eltern über ihre Entdeckung. Manche Eltern geben erst nach längeren Diskussionen zu, dass die Kinder durch eine Samenvermittlung entstanden sind. Für sie ist die Enthüllung ebenfalls schockierend: die meisten wussten nicht von den Enthüllungsmöglichkeiten der modernen DNA-Datenbanken. Dazu kommt, dass sie über das Familiengeheimnis entweder nie oder nur wenig gesprochen haben und nun ein Gespräch mit ihren Kindern führen müssen, dass sie nie führen wollten und auf das sie sich nicht vorbereitet haben.

Unser Appell: Klärt auf!

Daher noch einmal unser nachdringlicher Appell an die Eltern von Spenderkindern, die bislang nichts von ihrer Zeugungsart wissen: Klärt eure Kinder auf! Lieber früher als später, aber es ist niemals zu spät. Eine Aufklärung durch Dritte über eine DNA-Datenbank hat keine positiven Auswirkungen auf eine vertrauensvolle Familienbeziehung. Und extrem unfair ist es, wenn die Kinder erst dann von ihrer Abstammung erfahren, wenn die Eltern bereits verstorben sind und keine Antworten mehr bekommen können. Vielleicht ahnen oder wissen eure Kinder auch bereits mehr, als ihr meint.

  1. Wir empfehlen den Test von Ancestry, dessen Ergebnisse man kostenlos bei zwei weiteren Datenbanken (Family Finder und MyHeritage DNA) hochladen kann. []
  2. Das ist in unserem Verein erst zwei Mal vorgekommen, aber schon mehrmals bei Spenderkindern in den USA. []

Brittas Geschichte bei 95.5 Radio Charivari

Radio Charivari hat Münchner aufgerufen, ihre bewegensten Geschichten zu erzählen. Die Geschichte von Spenderkinder-Mitglied Britta wurde am 28. Oktober 2019 ausgestrahlt und kann auf der Seite des Senders und über unsere Seite leicht variiert nachgehört werden:

Die meisten Spenderkinder kostet es große Überwindung, ihre eigene Geschichte in der Öffentlichkeit zu erzählen. Brittas Geschichte ist in 5 Minuten knapp gefasst und erreicht hoffentlich viele Menschen. So wie Britta suchen nicht alle Spenderkinder sofort nach ihrem leiblichen Vater. Es gehört einiges an Zuversicht dazu, sich auf die Suche nach der sprichwörtlichen „Nadel im Heuhaufen“ zu machen.

Brittas Geschichte zeigt auch, dass, nur weil Menschen sich ein Kind wünschen, nicht automatisch sichergestellt ist, dass sie gut für ein Kind sorgen werden. Es gibt viele Gründe, sich ein Kind zu wünschen und kaum jemand kann vorher abschätzen, was es wirklich bedeutet, ein Kind zu haben. Ein Kind zu haben, das einen weiteren genetischen Elternteiln mitbringt, obwohl man vielleicht selbst gerne auch leiblicher Elternteil geworden wäre, ist eine große Herausforderung – auch, oder vielleicht sogar erst recht, für Wunscheltern.

Der Titel „Ich habe 100 Geschwister“ ist etwas irreführend, Britta hat sich auf die Suche nach ihren Geschwistern gemacht, sie weiß aber nicht, wie viele es sind. Auch wenn wir hoffen, dass es in der Regel weniger als 100 sind, wissen wir, dass es auch Fälle gibt, in denen eine solche Anzahl von Kindern durch einen Mann im Rahmen ärztlicher Samenvermittlung erzeugt wurde. Bislang gibt es leider keine rechtsverbindliche Obergrenze.

Den DNA-Test bieten wir natürlich nicht als Verein an, sondern wir empfehlen verschiedene DNA-Tests. Die meisten unserer Mitglieder sind in der DNA-Datenbank FamilyTreeDNA registriert.

*******************Achtung Spoiler***********************

Das unglaubliche Happy-End der Geschichte kann allen Spenderkindern Mut machen, dass es auch sympathische ehemalige „Samenspender“ gibt, die zu den Kindern, die durch sie entstanden sind, stehen.

Auf der Seite des Radiosenders kann auch ein Beitrag von Brittas genetischem Vater angehört werden.

 

Wie gut geht es Spenderkindern wirklich?

In vielen Artikeln über Samenspenden oder den Forderungen nach der Zulassung von Eizellspenden oder sogar Leihmutterschaft in Deutschland wird darauf verwiesen, dass Studien belegten, dass die Kinder sich gut entwickeln würden und keine psychologischen Auffälligkeiten zeigen würden. Meistens werden als Quelle die Studien um ein Team von Susan Golombok angegeben.1

Damit sollen eher schematisch Bedenken entkräftet werden, dass eine Zeugung mit Keimzellen Dritter zu Belastungen für die entstehenden Kinder führen könnte. Das scheint oft nicht zu der schönen Erzählung zu passen, dass es in modernen Familien ausreiche, dass ein Kind sehr gewollt wurde.

Die Aussagekraft dieser Studien ist jedoch begrenzt – was in dem Berichten hierüber (vielleicht auch ergebnisorientiert) leider untergeht. Was die Studien zeigen, ist lediglich, dass Familien, die mit den Geschlechtszellen einer dritten Person entstanden sind, „gut funktionieren“, die Kinder im Durchschnitt eine gute soziale Bindung zu ihren Wunscheltern aufweisen sowie sozial und emotional altersgemäß entwickelt („well adjusted“) sind. Das zeigt, dass eine gute Eltern-Kind-Beziehung auch ohne genetische Verbindung möglich ist und dass eine Zeugung mit den Geschlechtszellen einer dritten Person nicht zu einer Entwicklung des Kindes führt, die sich merklich von der anderer Kinder unterscheidet.

Kritisch an diesen Studien zum angeblichen Wohlbefinden von Spenderkindern ist einerseits, dass sie auf Stichproben beruhen, die ziemlich wahrscheinlich nicht repräsentativ sind für Familien, die mit Keimzellen Dritter gezeugt wurden z.B. nur Kinder teilnehmen, deren Eltern eingewilligt haben und ein bestimmtes Ergebnis erzielen wollen, das Untersuchungsinhalt der Studie ist.2 Es wurde nur das äußerlich wahrnehmbare Verhalten der Kinder beobachtet bzw. allgemeine Fragen gestellt. Nur in wenigen Fällen, in denen die Kinder aufgeklärt waren und die Eltern eingewilligt hatten, wurden den Kindern auch Fragen gestellt, wie sie ihre besondere familiäre Situation wahrnehmen und welche Rollen die Beteiligten einnehmen.

Studien können Loyalitätskonflikt und zunehmende emotionale Differenzierung kaum wiedergeben

Kinder, für die ihr genetischer Vater/ihre genetische Mutter eine Bedeutung hat, haben einen ernstzunehmenden Loyalitätskonflikt. Die Kinder wachsen in einem Umfeld auf, das ihnen durch Begriffe (z.B. „Vater“/“Mutter“/“Spender“/“Spenderin“) und Präsenz (wer ist sichtbar, wer nicht?) eine Realität und Erwartungen vermittelt. Es ist fraglich, ob ein Kind, das auch an seinen genetischen Vater/seine genetische Mutter denkt, sich traut, dies gegenüber Forschern darzustellen, wenn es davon ausgeht, dass seine rechtlichen Eltern, mit denen es täglich zu tun hat und die es mag und nicht traurig stimmen möchte, davon erfahren. Dieser Konflikt besteht im Übrigen auch für nicht-aufgeklärte Kinder, wenn sie für sich unerklärlicherweise weniger Nähe zu einem Elternteil empfinden, als sie meinen, dass dieser von ihnen wünscht. Dies kann besonders belastend für das Kind sein, wenn es keine äußere Erklärung hat, sondern die Gründe bei sich selbst sucht.

Die Studien liefern keine Erkenntnisse, wie es den „Kindern“ im Laufe ihres Lebens mit ihrer Entstehungsweise geht. Für das Kind stellen sich mit zunehmender emotionaler Ausdifferenzierung jedoch möglicherweise die Fragen „Wie lebt es sich damit, dass ich einen anderen genetischen Vater bzw. eine andere genetische Mutter und möglicherweise Halbgeschwister habe? Weswegen hat er bzw. sie mich abgegeben? Ist er bzw. sie an mir interessiert? Würde ich sie stören, wenn ich Kontakt aufnehme? Welchen Platz kann ich in ihrer/seiner sozialen Familie einnehmen?“ Hinzu kommen gesellschaftliche Erwartungen, die Spenderkindern mitgegeben werden. Jedes unserer Mitglieder hat schon mehrere Male den Hinweis gehört, dass es berücksichtigen müsse, dass es die Familie seines genetischen Vaters gefährde, wenn es Kontakt aufnähme und dass es verstehen müsse, dass es für seinen genetischen Vater ganz schrecklich wäre, wenn es sich meldet. So absurd diese Forderungen eigener Geringschätzung sind, sie sind allgegenwärtig.

Was bedeutet „gut entwickelt“ (well adjusted)? 

Was bedeutet es aber, gut entwickelt zu sein? Dass Spenderkinder keine offensichtlichen Normabweichungen aufweisen, wird häufig gleichgesetzt mit der Aussage, dass Spenderkinder ihre Entstehungsweise akzeptieren oder sogar begrüßen. Das würde aber bedeuten, unter „guter Anpassung“ eine unkritische Haltung zu verstehen, die elterliche und gesellschaftliche Erwartungen nicht hinterfragt.3

Neben der erwähnten methodischen Kritik stellen Wissenschaftler (und diejenigen, die sie zitieren) in qualitativer Forschung möglicherweise nicht die richtigen Fragen, um „Entwicklung“ beurteilen zu können. So können Kinder altersgemäß gut entwickelt sein und sich trotzdem durch ihre Entstehungsgeschichte belastet fühlen, zum Beispiel weil sie ihre Halbgeschwister nicht kennen oder wenig Kontakt zu ihnen haben.

Wie würde man es einordnen, wenn Kinder ihre rechtlichen Eltern lieben, gute Ergebnisse in der Schule erzielen und Freundschaften pflegen – aber sich dennoch unwohl mit dem Gedanken fühlen, dass sie die Identität ihrer genetischen Eltern nicht kennen oder dass sie viele unbekannte Geschwister haben? Oder damit, dass sie damit rechnen müssen, dass ein genetischer Elternteil kein Interesse an ihnen hat? Sind diese Kinder immer noch gut entwickelt? Viele Spenderkinder sagen, dass sie in ihrer Kindheit den Test, ob sie gut angepasst sind, erfolgreich bestanden hätten – aber dass sie zutiefst beunruhigt von ihrer Entstehungsgeschichte oder dem Umgang ihrer Eltern damit waren. Und auch wenn ein Kind sozial gut angepasst ist, kann es trotzdem Zugang zur Identität der genetischen Eltern wollen oder ethische Bedenken gegenüber der Reproduktionsmedizin haben.4

Der Nebel (the fog)

Hinzu kommt, dass für Spenderkinder ihre Entstehungsweise häufig erst im Erwachsenenalter an Bedeutung gewinnt, wenn sie sich zunehmend emotional von ihrer Herkunftsfamilie lösen. Kinder sind oft noch stark geprägt von der Sichtweise ihrer Eltern, welche Gefühle und Gedanken sie haben sollen, und haben oft auch ein Bedürfnis, ihre Eltern vor negativen Gefühlen zu schützen. Insbesondere bei einer Zeugung mit den Geschlechtszellen Dritter ist die Sichtweise der Kinder für die rechtlichen Eltern besonders wichtig, da sie durch die Akzeptanz dieser Familienform durch die Kinder emotional als Eltern legitimiert werden.

Adoptierte sprechen von einem Anpassungsmechanismus, den sie als „Nebel“ bezeichnen: wenn Adoptierte (und zum Teil auch deren Geburtseltern) glauben und ausdrücken, dass Adoption wunderbar oder problemlos sei. Erst wenn sie sich aus diesem Nebel herausbewegen, können sie das Trauma und die besonderen Belastungen der Adoption adressieren und verarbeiten.5

Erwachsene Spenderkinder berichten Ähnliches:6

Ich wusste es schon immer, aber erst als ich als Erwachsene Erfahrungsberichte anderer Spenderkinder gelesen habe, erkannte ich, dass ich das Recht hatte, verletzt, wütend und traurig zu sein. (Courtney Tucker)

Ich wusste schon immer, dass meine Mutter mich bewusst alleine bekommen hat. Ich war immer neugierig, aber wusste nicht, dass es möglich war oder dass es andere gab, die genauso gezeugt wurden – bis ich 17 war und eine Fernsehshow über Spenderkinder und das Donor Siblings Registry sah. Das öffnete komplett meine Augen und ich erkannte, wie kaputt alles war. (Lindsay Boyce)

Ich habe es mit 22 Jahren erfahren. Zu dem Zeitpunkt gab es niemanden in meinem Leben, der mir helfen konnte meine Gefühle zu benennen. Ich fühlte mich hilflos, und das Gefühl mochte ich nicht, daher habe ich versucht es so viel wie möglich herunterzuschlucken und zu vergessen.  Rückblickend habe ich versucht, durch Verdrängung zu verarbeiten. Erst als über zehn Jahre später DNA Tests realistisch erschienen und ich anfing, über die erfolgreichen Suchen anderer Spenderkinder zu lesen, habe ich mir Gefühle erlaubt. Es fühlte sich auch an, als wäre es respektlos und disloyal gegenüber meinem Dad, zu suchen, neugierig oder aufgebracht zu sein oder überhaupt irgend etwas anderes als dankbar, and ich wollte von mir selbst nicht als schlechte Tochter oder undankbar denken, insbesondere angesichts der unidentifizierbaren Gefühle, die ich unter der Oberfläche befürchtete. (anonym)

Ich wusste seit ich 9 bin, dass ich ein Spenderkind bin. Meine Eltern sagten mir, dass mein Vater mein Vater sei und mich lieben würde, und dass ich mir keine Sorgen machen müsste. Sie waren nicht dagegen, dass ich etwas über meinen genetischen Vater herausfinde, aber ich äußerte nie Interesse. Erst als ich 25 war und in meiner ersten ernsthaften Beziehung, hörte ich einen Podcast, dass Menschen ein Recht auf Zugang zu ihrer DNA haben. Und auf einmal war es mir wichtig. Ich glaube es wurde immer wichtiger für mich, als ich mich auf die Suche machte und zunächst nicht die Antworten finden konnte, die ich haben wollte. (anonym)

Ich habe es schon mein ganzes Leben lang gewusst, aber es war erst im letzten Jahr, dass ich angefangen habe, zu entdecken, was es bedeutet ein Spenderkind zu sein. Seitdem jemand den „Nebel“ erwähnte und ich angefangen habe, darüber zu lesen, habe ich mich ernst genommen gefühlt, als hätte ich die Erlaubnis, mich auf diese Reise zu begeben. Ich bin bei einer lesbischen Mutter aufgewachsen und als Kind habe ich das Gefühl gehabt, dass es meine Verantwortung ist, jegliche Fragen oder Vorurteile zu vermeiden, dass meine Zeugungsart keine gute Sache sein könnte. Als müsste ich beweisen, dass ich nicht anders als alle anderen war, gut angepasst und dass mir nichts fehlt. Ich habe Leuten unzählige Male erzählt, dass ich keinen Vater habe und auch keinen brauche. (anonym)

Gut angepasst, aber kritisch

In Studien zu erfassen, wie es Spenderkindern wirklich geht, ist bereits methodisch äußerst komplex, insbesondere wenn junge Spenderkinder untersucht werden sollen. Abgesehen davon müssen aber sogar allgemeine Zufriedenheit und Wut über die eigene Entstehungsweise oder z.B. das Desinteresse des genetischen Vaters oder der genetischen Mutter keine Gegensätze darstellen, sondern können nebeneinander existieren. Fast alle unsere Mitglieder stehen mitten im Leben, sind beruflich erfolgreich, haben Freunde, sind in Beziehungen und haben zum Teil selbst Kinder. Selbst wenn Spenderkinder also gut funktionierende Mitglieder der Gesellschaft sind, kann das kein Argument sein, um diese Erzeugungsweise von Menschen zu legitimieren. Viele Spenderkinder hinterfragen diese Form der Familiengründung kritisch.

Es gibt keine Möglichkeit sicherzustellen, dass ein Kind die Zeugung mit den Keimzellen einer dritten Person okay finden wird, Reproduktionsmedizin befürworten oder glücklich über die Zeugungsart sein wird. Kritisch gegenüber der Zeugung durch „Spender“ zu sein ist nicht das Gegenteil davon, gut angepasst zu sein.7

Wir wünschen uns, dass in der Diskussion und medialen Berichterstattung die Gefühle von erwachsenen Spenderkindern ernst genommen werden – und nicht damit abgebügelt werden, dass wir nicht psychopathologisch auffällig sind. Wir wünschen uns auch, dass gesellschaftliche Erwartungen an Spenderkinder, wie z.B. dass sie besonders dankbar sein sollten oder verstehen sollten, dass ihre genetischen Väter kein Interesse an ihnen haben, hinterfragt werden. Eine ehrliche Berichterstattung beinhaltet, dass die Zeugung mit Geschlechtszellen Dritter das entstehende Kind in eine schwierige Familiensituation bringt, weil es die eigenen Gefühle und die der Eltern hinsichtlich sozialer und genetischer Elternschaft miteinander vereinbaren muss und dass sich dies belastend auf das entstehende Kind auswirken kann.

  1. z.B. Golombok, S., Blake, L., Casey, P., Roman, G., &Jadva, V. (2013). Children Born Through Reproductive Donation: A Longitudinal Study of Psychological Adjustment. Journal of Child Psychology and Psychiatry, and Allied Disciplines, 54(6), 653–660.; Blake, L., Casey, P., Jadva, V. &Golombok S. (2013). ‘I Was Quite Amazed’: Donor Conception and Parent–Child Relationships from the Child’s Perspective. Children & Society, 28(6), 425-437.; Murray, C.,MacCallum, F. &Golombok, S. (2006). Egg donation parents and their children: follow-up at age 12 years. Fertil Steril, 85(3), 610–618. []
  2. Familien mit erheblichen familiären Problemen werden vermutlich selten an solchen Untersuchungen teilnehmen. []
  3. Rzeka – Why No One Can Say, “The Kids Are Alright.” []
  4. Rzeka – Why No One Can Say, “The Kids Are Alright.” []
  5. Howtobeadopted – Six things I have learned since coming out of the adoption fog ; Diskussion im Adoptionsforum adoption.com; This Adoptee Life []
  6. Die Zitate stammen aus einer Diskussion auf der Facebook Gruppe „We are donor conceived“ und wurden mit Zustimmung der UrheberInnen veröffentlicht und auf Deutsch übersetzt. []
  7. Rzeka – Why No One Can Say, “The Kids Are Alright.” []