Archiv der Kategorie: DNA Test

Family Finder, Andere DNA-Tests, Suchen und Finden von Spender, Halbgeschwistern und anderen Verwandten

ZDF-Doku „Der blinde Fleck in meinem Leben“ am Dienstag, den 13. Juli 2021

Am Dienstag, den 13. Juli, wurde um 22.15 Uhr in der ZDF-Sendereihe 37 Grad die Dokumentation Der blinde Fleck in meinem Leben. Die Ungewissheit einer Samenspende von Julia Kaulbars gezeigt. Darin berichtet auf der einen Seite der ehemalige „Samenspender“ Peter wie er sich für seine genetischen Kinder findbar macht und auf der anderen Seite Spenderkind Astrid von ihrer erfolgreichen Suche nach ihrem genetischen Vater. Die Sendung ist weiterhin über den Link abrufbar.

Peter gab von Mitte der 80er bis Anfang der 90er Jahre in der Samenbank in Essen Samen ab. Er erfährt, dass viele Spenderkinder auf der Suche nach ihren genetischen Vätern sind und entschließt sich daraufhin, sich in DNA-Datenbanken zu registrieren, damit er gefunden werden kann.

Astrid erfährt im Alter von 40 Jahren von ihrer Entstehungsweise, nachdem sie ihr Leben lang das Gefühl hatte, dass etwas in ihrer Familie nicht stimmt. Daraufhin macht sie sich auf die Suche nach ihrem genetischen Vater.

Wir Spenderkinder wünschen uns sehr, dass weitere „Samenspender“ Peters Beispiel folgen, zu ihren genetischen Kindern stehen und sich am besten in einer DNA-Datenbank registrieren. So können suchende Kinder sie direkt finden. Alternativ freuen wir uns auch, wenn sich ehemalige „Samenspender“ direkt bei unserem Verein melden und zum Beispiel ein Suchprofil auf unsere Homepage setzen.

Rechtliche Ergänzung zur Doku: Auch vor 2018 gezeugte Menschen haben ein Recht darauf, zu erfahren, wer ihre leiblichen Eltern sind. Darauf wies bereits 1970 der Justiziar der Bundesärztekammer im Zusammenhang zur Samenvermittlung hin. Bis 2018 gezeugte Spenderkinder sind dazu jedoch auf die Auskunftsbereitschaft der Ärzte angewiesen, die den Samen vermittelten. Deswegen ist es so wichtig, dass es seit 2018 ein zentrales Register gibt, bei dem Spenderkinder unabhängig von einzelnen Ärzten Auskunft erhalten können.

Am Vortag gab es in Verbindung mit einer Vorschau zur Doku ein Interview mit Spenderkindervorstandsmitglied Anne zu psychologischen Aspekten bei Samenvermittlung im ZDF-Servicemagazin Volle Kanne.

Am 30. Mai ist Tag der genetischen Identität

Am 30. Mai ist jedes Jahr der weltweite Tag der genetischen Identität (international genetic identity day). Dieser Tag macht aufmerksam auf das Recht auf genetische Identität. Alle Menschen, auch Adoptierte und Spenderkinder, sollen erfahren können, wer ihre leiblichen Eltern sind. In Deutschland gibt es ein aus der Verfassung abgeleitetes Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Trotzdem werden viele Spenderkinder von ihren Eltern nicht über ihre Herkunft aufgeklärt. Viele Spenderkinder erfahren erst von ihrer Abstammung, wenn sie über DNA-Datenbanken Halbgeschwister finden. In vielen Ländern werden Samen und Eizellen immer noch anonym vermittelt. Darunter sind auch einige europäische Nachbarländer wie Dänemark und Tschechien. Das ist problematisch, weil dadurch das Recht eines jeden Kindes, seine leiblichen Eltern zu kennen, nicht anerkannt wird. Dieses Recht steht in der internationalen Kinderrechtskonvention, die von fast allen Staaten ratifiziert wurde.

Die Bilder sind von Friedel Grant, inspiriert durch die ursprüngliche Kampagne der belgischen Spenderkinderorganisation: https://www.donorkinderen.com/

Welt am Sonntag „Suche nach dem Vater“ am 21. Februar 2021

In der Welt am Sonntag vom 21. Februar 2021 erzählt der Artikel „Suche nach dem Vater“ von Wolfgang Büscher die Geschichte der Halbgeschwister Alexander, Stefano, Nina und Anne (mir). Wir haben uns über DNA-Datenbanken gefunden und sind nun gemeinsam auf der Suche nach unserem genetischen Vater. Der Artikel ist auch als Online-Version verfügbar, unter dem Titel Anonyme Samenspender – „Du bist eben der Sohn deiner Mutter“ allerdings nur mit Welt-Abo (kostenloser Probemonat möglich).

Anders als es in der Zusammenfassung der Printausgabe steht, ist das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung altbekannt und waren Anonymitätsversprechen immer ungültig.

Im Artikel wird beschrieben, dass Stefanos Eltern zunächst ein Spanier als „Spender“ zugesagt worden war. Stefanos DNA-Test zeigte jedoch, dass er keine spanischen Wurzeln hat. Wer ist dann unser genetischer Vater? Wir freuen uns sehr über alle Hinweise. Und natürlich freuen wir uns auch über weitere Halbgeschwister! Auch Menschen, die selbst keine Spenderkinder sind, uns aber bei der Suche helfen möchten, können das tun, indem sie sich selbst in DNA-Datenbanken registrieren lassen. Je mehr Menschen sich registrieren lassen, desto einfacher können Verbindungen aufgespürt werden.

NDR-Podcast: Spenderkinder auf der Suche nach ihrer Identität

Im ersten Teil des zweiteiligen NDR-Podcasts „Spenderkinder auf der Suche nach ihrer Identität“ geht es darum, wie wichtig es ist, dass Spenderkinder frühzeitig von ihrer Entstehungsweise erfahren. Die Spenderkinder-Mitglieder Martina und Sandra berichten, wie sie es erlebten, nicht aufgeklärt zu sein und wie es ihnen nach der Aufklärung ging. Sandra hat ihren leiblichen Vater nach aufwendiger Recherche ausfindig gemacht. Anders als im Podcast dargestellt, sucht Martina weiterhin und hat dazu auch den Rechtsweg eingeschlagen.

Im zweiten Teil – u.a. mit Spenderkinder-Mitglied Britta, Dietrich (Brittas leiblichem Vater) und Constanze (dessen Frau) geht es um die Zeit nach der Aufklärung. Britta, Dietrich und Constanze schildern sehr anschaulich und differenziert welche Herausforderungen sie bei der Integration erlebt haben. Der zweite Teil endet mit der Vermutung, dass frühe Aufklärung dazu führen könnte, dass der genetische Vater dem Kind gar nicht so wichtig ist. Das zeigen unsere Erfahrungen und auch die Studienlage nicht.

Eine Studie aus dem Jahr 2011 weist aus, dass sich Kinder heterosexueller Eltern später auf die Suche machen, als Kinder homosexueller Eltern. 35% der Kinder heterosexueller Eltern und 72% der Kinder lesbischer Mütter gaben im Alter von 11 Jahren erstmals Interesse an ihrem leiblichen Vater an. Im Alter von 18 Jahren waren dies 65% der Kinder heterosexueller Paare und 95% der Kinder lesbischer Mütter.1 Das entspricht unserer Beobachtung, dass (früh-)aufgeklärte Spenderkinder häufig eine ausgeprägte Schonhaltung gegenüber ihren Eltern haben, weil sie diese nicht verunsichern oder verletzen möchten. In der internationalen Spenderkinderumfrage von 2020 gab etwa ein Drittel der Spenderkinder an, dass ihre Eltern ihre wahren Gefühle hinsichtlich ihrer Entstehungsweise nicht kennen.

  1. Beeson D, Jennings P, Kramer W (2011) Offspring searching for their sperm donors: how family type shapes the process. Human Reproduction 9 (26), S. 2415–2424, S. 2420. []

Zählung von erfolgreichen Suchen nach Halbgeschwistern und „Spendern“

Auf unserer Internetseite haben wir seit dem Jahr 2013 jeweils eine Nachricht veröffentlicht, wenn eines unserer Mitglieder den genetischen Vater oder Halbgeschwister gefunden hatte (am besten auffindbar unter Stichworte – Verwandtentreffer).

Obwohl die Geschichten vom Suchen und Finden teilweise wirklich schön waren, haben wir im Sommer 2018, ungefähr nach dem 20. Halbgeschwistertreffer, damit aufgehört. Inzwischen gibt es so viele Erfolgsmeldungen, dass wir gar nicht mehr hinterherkommen würden, für jede eine eigene Meldung zu verfassen (und vermutlich möchte das auch niemand lesen). So haben allein im Jahr 2020 mindestens acht Spenderkinder herausgefunden, wer ihr genetischer Vater ist. Außerdem hatten wir mindestens 15 neue Halbgeschwistertreffer. Wir hatten also in diesem Jahr genauso viele Treffer wie in zuvor in fünf Jahren (2013 bis Mitte 2018).

Außerdem schien uns die Zählweise nach Treffern nicht mehr ganz zu passen, weil einige Halbgeschwister-Treffer oder Vater-Kind-Treffer später erweitert wurden, wenn weitere Spenderkinder einen DNA-Test gemacht hatten. Daher sind wir im Sommer 2018 dazu übergegangen, nur noch Gruppen zu zählen. Stand September 20231 haben wir

  • 73 Halbgeschwistergruppen, die aus zwei bis neun Familien bestehen, und
  • 53 Vater – Kind(er) Gruppen.

Die Zählung in Gruppen ist für uns aufschlussreicher, weil wir daran besser nachvollziehen können, für wie viele Familien der Samen einer Person in welchem Zeitraum eingesetzt wurde. Die drei größten Halbgeschwistergruppen aus Bad Nauheim, Essen und München bestehen jeweils aus neun Familien. Bei diesen Gruppen gehen wir davon aus, dass es noch wesentlich mehr Halbgeschwister gibt, die lediglich nichts von ihrer Abstammung wissen oder nicht in DNA-Datenbanken registriert sind. Und das dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein. Von einigen Personen wissen wir, dass sie über viele Jahre, zum Teil bis zu 25 Jahre lang, wöchentlich Sperma zur Vermittlung abgegeben haben. Ein Arzt aus München hat in einem Gerichtsprozess erwähnt, dass er über 100 Schwangerschaften durch einen Mann dokumentiert hat. Viele Ärzte haben die ihnen bekannt gewordenen Schwangerschaften vermutlich lieber erst gar nicht dokumentiert.

Von insgesamt 265 Spenderkindern, von denen wir wissen, dass sie einen beliebigen DNA-Test gemacht haben, haben 184 Personen Halbgeschwister oder den genetischen Vater oder beide gefunden (Stand Januar 2021). Es ist wahrscheinlicher, Halbgeschwister zu finden als den genetischen Vater. Bei den Vater-Kind-Gruppen wurde die Verwandtschaft zum Teil durch Auskunft durch Ärzte oder Kliniken entdeckt. Die Halbgeschwister-Verbindungen wurden mit zwei Ausnahmen ausschließlich durch DNA-Datenbanken aufgedeckt.

  1. Wir werden versuchen, die Zahlen regelmäßig zu aktualisieren []

Artikel über Julias erfolgreiche Suche und die komplizierte Rechtslage, im Campusmagazin KURT der TU Dortmund im Dezember 2020

Das Campusmagazin KURT der TU Dortmund berichtet in seiner Dezemberausgabe über Julias erfolgreiche Suche nach ihrem leiblichen Vater und darüber, wie es danach weiterging (ab S. 6). Gleich im Anschluss folgt ein Interview mit Anne zur aktuellen Rechtslage für Spenderkinder (S. 10).

Spenderkindermitglied Britta mit ihrem leiblichen Vater bei Radio youfm im hessischen Rundfunk am 2. Juni 2020

Die Geschichte, wie Spenderkindermitglied Britta ihren leiblichen Vater Dietrich über eine DNA-Datenbank gefunden hat, war am 2. Juni im hessischen Rundfunk zu hören. Wer sie live verpasst hat, kann den Text noch nachlesen. Dietrich ist einer der wenigen Männer, die offen dazu stehen, dass sie sich zum Zeitpunkt der „Samenspende“ noch keine Gedanken darüber gemacht haben, dass daraus Menschen entstehen, die sie später vielleicht kennenlernen möchten. Dietrich hat sich vom Geld für die „Aufwandsentschädigung“ ein Klavier gekauft. Welche Erinnerungsstücke sich wohl in Wohnungen anderer Männer finden?

Als er später von der Suche vieler Spenderkinder erfuhr, registrierte er sich in einer DNA-Datenbank, damit seine leiblichen Kinder eine Chance hätten, ihn zu finden. Zu solch einem Verantwortungsbewusstsein möchten wir gerne weitere ehemalige „Samenspender“ ermutigen.

Brittas Geschichte ist typisch für die Suche vieler Spenderkinder. Obwohl sie wusste, wie sie entstanden ist und auch Interesse hatte, mehr über ihren leiblichen Vater zu erfahren, hat sie sich erst nach einigen Jahren auf die Suche gemacht. Zum einen scheint die Chance, den leiblichen Vater zu finden, vielen Spenderkindern sehr gering. Zum anderen ist es keine schöne Aussicht jemanden zu finden, der – vereinbahrungsgemäß – nichts von einem wissen möchte.

Die Geschichte von Britta und Dietrich stimmt deswegen hoffnungsvoll, dass es auch anders gehen kann.

Botschaft von Britta und Dietrich ein Jahr nach ihrem Kennenlernen im Mai 2019

Ein Jahr nachdem Spenderkindermitglied Britta über eine DNA-Datenbank ihren Vater Dietrich gefunden hatte, hat Sunny beide für ihren You-Tube-Kanal Reagenzglasbaby interviewt. Die Botschaft der Beiden hat Sunny extra für unsere Homepage nochmal zusammengefasst:

Britta und Dietrich Mai 2020

Rezension: The Lost Family von Libby Copeland

Das englischsprachige Buch „The Lost Family“ von Libby Copeland ist ein faszinierendes Buch über DNA-Datenbanken (wie Ancestry, Family Finder, 23andme und MyHeritageDNA) und wie diese Familienbeziehungen auf eine bislang unbekannte Art auf den Kopf stellen. Indem die Tests ihren Teilnehmern bislang unbekannte Informationen über die eigene Abstammung zeigen, werden auch Geheimnisse enthüllt wie Unfruchtbarkeit, unehelich zur Welt gebrachte Kinder, uneheliche Beziehungen, sexuelle Gewalt oder eine geheim gehaltene ethnische Zugehörigkeit.

Anhand der Geschichte von Alice Plebusch, einer siebzigjährigen Frau, die mit Erstaunen feststellte, dass Ancestry ihr einen beträchtlichen Anteil jüdischer DNA auswies,1 werden verschiedene, mit DNA-Datenbanken verbundene Themen diskutiert und anhand weiterer persönlicher Geschichten illustriert – von Adoptierten, Findelkindern, Kuckuckskindern, Spenderkindern und andere Menschen die einen anderen Elternteil hatten als sie annahmen (auf englisch wird dies als NPE beschrieben – „Not Parent Expected“).

Die Suchenden, die Unwissenden und die Gefundenen

Libby Copeland teilt die von den Tests betroffenen Menschen in 3 Gruppen ein: Genealogiker, Suchende (Adoptierte, Spenderkinder, Kuckuckskinder und andere Personen, die Zweifel an ihrer Abstammung haben) und bislang Unwissende. Die letzte Gruppe nimmt an den DNA-Tests oft teil, weil sie diese als Geschenk erhält oder denkt, dass sich die Tests interessant anhören, weil man damit Informationen über ihre allgemeine ethnische Abstammung erhält – zum Beispiel, welcher Anteil der eigenen Vorfahren aus Irland kommt oder ob die Familiengeschichten über indianische Vorfahren stimmen. Das Interesse hieran ist insbesondere in den USA sehr groß, da die USA eine Einwanderungsgesellschaft sind und die Zugehörigkeit zu den verschiedenen Einwanderergruppen und Subkulturen eine große Bedeutung besitzt.

Vielen Unwissenden ist dabei nicht bewusst, dass sie über den Test auch nähere Verwandte finden können oder von ihnen gefunden werden können – und wer weiß schon Bescheid, ob der Vater früher seinen Samen verkauft hat oder eine Affäre hatte? Inzwischen warnen die DNA-Datenbanken sogar ausdrücklich vor diesen Folgen – aber vermutlich denkt niemand, dass sie selbst davon betroffen sein könnten. Ancestry hat in den USA daher ein Team, dass sich besonders um Menschen kümmert, die ein unerwartetes Testergebnis erhalten. Da Kunden mit unerwarteten Testergebnissen den Test oft für falsch halten, bietet FamilyTreeDNA standardmäßig einen zweiten Test für die Hälfte des Geldes an und verspricht, das Geld zurückzuerstatten, wenn der erste Test falsch war. Es komme fast nie vor, dass der Test fehlerhaft sei.

Manche der Unwissenden forschen nach, andere lassen die Testergebnisse „wie eine zufällig am Strand entdeckte Granate“ liegen. Die Testergebnisse führen zum Teil dazu, dass Menschen mit lange zurückliegenden Ereignissen und damit verbundenen schmerzhaften Gefühlen konfrontiert werden oder diese erst entdecken. Vielen Spenderkindern, Adoptierten und Kuckuckskindern wurde nicht die Wahrheit über ihre Entstehungsweise gesagt. Einige Männer erfahren als Sechzigjährige, dass sie als junge Männer ein Kind gezeugt haben und fühlen sich, als hätten sie ihr Kind verlassen. Ehemalige Samen“spender“ entdecken, dass sehr viele Kinder mit ihrem Samen gezeugt wurden, manche Spenderkinder erfahren, dass sie möglicherweise mehr als 100 Halbgeschwister haben. Fünfzigjährige müssen sich damit auseinandersetzen, dass ihre bereits verstorbene Mutter ein Kind ausgesetzt oder zur Adoption freigegeben hat. Andere fanden schmerzhafte Erklärungen für ihre Abstammung wie Inzest oder Vergewaltigung. Von diesen Informationen betroffen sind meistens nicht nur die unmittelbaren Verwandten, sondern ihre ganze Familie. Erfährt ein Mann, dass er vor Jahrzehnten ein Kind in einer Affäre gezeugt hat, wird vermutlich auch seine Frau von der Untreue erfahren wird und seine ehelichen Kinder, weil sie Halbgeschwister haben.

Ob die Gefundenen offen oder mit Zurückweisung reagieren, kann nicht vorhergesagt werden. Mache reagieren abweisend und sehen die neuen Verwandten als Eindringlinge, andere Gefundene freuen sich dagegen, weil für sie mehr Verwandte mehr Liebe bedeuten. Eine Betroffene vergleicht es mit russischem Roulette, eine andere rät: Rechne mit dem Schlimmsten und hoffe auf das Beste! Für viele Suchende, die sich falsch in ihrer Familie gefühlt haben, kann Desinteresse oder Zurückweisung ihrer genetischen Verwandten sehr schmerzhaft sein. Das Buch erzählt Geschichten von Zurückweisung, bei denen man die Betroffenen am liebsten in den Arm nehmen möchte – und von herzlichen Aufnahmen, die einem Tränen der Rührung in die Augen steigen lassen. Genauso berührend sind die Geschichten, bei denen die Tests enthüllten, dass die Betroffenen entgegen ihrer vorherigen Annahme nicht verwandt waren – und dennoch entschieden, sich emotional weiterhin als Verwandte zu sehen. Wie eine Betroffene meint: DNA ist nicht Liebe.

Auch bei gegenseitiger Freude über die Familienerweiterung wird teilweise von Schmerz darüber begleitet, dass man viele Jahre in Unwissenheit lebte und diese Zeit nicht miteinander verbringen konnte. Manche Verwandte wuchsen wenige Kilometer voneinander entfernt auf. Vielen stellt sich die Frage: wäre ich ein anderer Mensch, wenn ich es früher gewusst hätte?

Die Datenbanken

Da der Verein Spenderkinder den Test Family Finder von Family Tree DNA zur Verwandtensuche nutzt, aber die Registrierung in allen großen Datenbanken empfiehlt, fand ich die Interviews mit den Gründern bzw. Leitern der Tests besonders spannend.

Family Tree DNA wurde primär aus genealogischem Interesse im Jahr 2000 gegründet. Mit nur rund 150 Angestellten ist das in Houston sitzende Unternehmen immer noch relativ klein. Bei den autosomalen DNA-Tests handelte es sich zunächst um ein Nischenprodukt, erst im Jahr 2013 wurde die Marke von mehr als einer Million verkaufter Tests überschritten. Bereits in der Testphase vor Verkaufsbeginn fanden die Testpersonen unerwartete Ergebnisse in ihrer Abstammung – man wusste also, was passieren könnte. Gründer Bennett Greenspan sagt dazu, er sei kein Ethiker, es würde immer jemand verletzt werden – der Suchende, dem Informationen über seine Abstammung vorenthalten werden, oder dem Gefundenen, der möglicherweise nicht gefunden werden möchte. Er bezeichnet den Begriff „anonymer Samenspender“ als Oxymoron wie „Jumbo Shrimp“ und rät scherzhaft Großeltern, ihren Enkelsöhnen Geld für Bier zu schicken, damit die jungen Männer von heute nicht ihr Sperma verkaufen müssten, damit nicht in zwanzig Jahren jemand an ihre Tür klopft und sie „Dad“ nennt.

23andme wurde im Jahr 2006 gegründet. Die Erfolgsgeschichte des Unternehmens begann mit dem Angebot des ersten autosomalen DNA-Tests im Jahr 2009, der damals noch stolze 999 USD kostete. Die Datenbank ist auf die DNA-Analyse von Gesundheitsanlagen spezialisiert (die aber überwiegend nur auf Vermutungen beruhen, da der Einfluss der Gene auf viele Krankheiten noch nicht ausreichend geklärt ist). Daher hat das Unternehmen Forschungskooperationen mit mehreren Unternehmen, die Zugriff auf anonymisierte DNA-Daten haben. Die Kunden können sich gegen eine Teilnahme entscheiden oder aber durch zusätzliche Informationen über ihre Gesundheit die Kooperationen fördern.

Ancestry sitzt in Lehi, Utah und ist inzwischen die größte DNA-Datenbank. Das im Jahr 1996 gegründete Unternehmen bot zunächst lediglich den Zugang zu historischen Dokumenten für die Ahnenforschung an. Erst ab 2012 wurden zusätzlich autosomale DNA-Tests aufgenommen. Das Geschäftsmodell ist (wie bei MyHeritageDNA) die Kombination von autosomalen DNA Tests und Abonnements für Datenbanken mit historischen Dokumenten. Inzwischen ist es mit mehr als 15 Millionen Teilnehmern die größte DNA-Datenbank.

Zusammensetzung der Abstammung

Alle großen DNA-Datenbanken bieten die Funktion an, die Zusammensetzung der Abstammung einzuschätzen (in Form der regionalen Herkunft). Während die Einschätzung noch 2012 auf einer relativ geringen Datenbasis erfolgte, ist sie inzwischen manchmal sehr genau.2 Allerdings kommt es sehr auf die Größe der jeweiligen Referenzgruppe bei der jeweiligen Datenbank an. So konnte die regionale Abstammung aus Afrika lange nur sehr ungenau zugewiesen werden. Die Resultate können sich zwischen den Datenbanken zudem erheblich unterscheiden, da jede Datenbank einen anderen Algorithmus verwendet.

Die Abstammungsschätzung ist eine sehr beliebte Funktion und wird daher als Werbung verwendet: So warb 23andme bei der Fußball WM, dass man anhand der eigenen ethischen Herkunft ein Team unterstützen sollte (Root for your roots). Um die Olympischen Winterspiele 2018 herum warb Ancestry mit einer Eiskunstläuferin, bei der ihre ethnische Abstammung mit kulturellen Stereotypen in Zusammenhang gebracht wurde (48 % Skandinavien für die Präzision, 27 % Zentralasien für die Grazie, 21 % Großbritannien für ihren Ehrgeiz).

Diese Funktion wird zum Teil kritisiert, da es bei Menschen die Vorstellung hervorrufen oder verstärken könnte, dass Rassen oder Ethnien genetisch bedingt sind und zu erheblichen Unterschieden führen, während die Wissenschaft Ethnie vor allem als soziales oder gesellschaftliches Konzept sieht. Andere erhoffen eine gegenteilige Wirkung: weil die meisten Menschen von verschiedenen Orten in der ganzen Welt abstammen, könnten sie sehen, dass Rassismus keine wissenschaftliche Basis besitzt.

Ein anderer Kritikpunkt ist, dass die Teilnehmer die Schätzung oft falsch verstehen oder als die Antwort für Fragen nach ihrer Identität werten. Aber nur weil die DNA zu 5 % auf Irland zurückverfolgt werden kann, bedeutet dies nicht, dass die näheren Vorfahren aus Irland kamen. Interessant ist, dass die Ergebnisse oft selektiv interpretiert werden: vor allem weiße Teilnehmer empfinden einen geringen Teil nicht-europäischer Abstammung als positiv.

Und manchmal erschüttern die Ergebnisse der Ethnizitätsschätzung die Identität: Libby Copeland erzählt die Geschichte von einem Mann, der mit einem DNA Test feststellte, dass sein eher dunkles Aussehen nicht wie gedacht auf eine südeuropäische Abstammung zurückzuführen ist, sondern dass seine Mutter einen afro-amerikanischen Vater hatte und sie aus einer verbotenen gemischten Beziehung stammte. Bei Afro-Amerikanern kommt es vor, dass sie einen Teil europäischer DNA entdecken (oder Weiße als entfernte Verwandte), weil Sklavenhalter nicht selten ihre Sklavinnen vergewaltigten.

Bei vielen Ethnien oder Gruppen stellt sich zudem die Frage, ob diese genetisch oder kulturell begründet sind und was eine Zugehörigkeit der DNA zu diesen Gruppen bedeutet. Wenn jemand in dem Glauben aufwächst, italienischer Abstammung zu sein, aber tatsächlich afro-amerikanischer Abstammung ist, was ist dann „echt“? Kann man sich jüdisch fühlen, wenn man nicht mit der Kultur aufgewachsen ist? Kann man sich „schwarz“ fühlen, wenn man nie die Erfahrung der entsprechenden Diskriminierung gemacht hat? Und wer entscheidet dies? So sehen es wohl insbesondere die amerikanischen Ureinwohner kritisch, wenn sich Menschen auf Grund indianischer DNA als „Native Americans“ bezeichnen.3.

Datenschutz

Da DNA-Daten Auskunft über Verwandtschaftsbeziehungen und Krankheitsanlagen geben können, sind sie natürlich besonders sensibel. Daher bestehen Bedenken, dass die DNA-Datenbanken als private Unternehmen über solche Daten verfügen oder dass Dritte Zugriff auf diese Daten erhalten könnten. So gab es im Jahr 2018 eine Sicherheitslücke bei MyHeritageDNA, bei der viele Kundendaten entwendet wurde, allerdings keine DNA-Daten. Bedenken bestehen insbesondere, dass Menschen bei Bekanntwerden bestimmter Krankheitsanlagen keine Versicherungen mehr erhalten könnten.4 Andere meinen dagegen, dass Informationen, die viele Menschen über soziale Netzwerke wie Facebook oder Kundenkarten weitergeben, mehr über sie verraten als ihre DNA.

Kritisch wird bei den DNA-Datenbanken gesehen, dass die Daten teilweise anonymisiert für Forschungskooperationen mit Unternehmen verwendet werden. Manche begrüßen diesen Aspekt auf der anderen Seite und helfen den Unternehmen durch zusätzliche Auskünfte über ihren Gesundheitszustand bei der Interpretation der DNA-Daten.

Dass die Daten in zunehmendem Maße zur Identifikation Dritter verwendet werden, ist nicht nur für Menschen nützlich, die Familienmitglieder aus emotionalen Gründen suchen, sondern auch für Strafverfolger. Nach einem Paper von Yaniv Erlich u.a. ist es mit den genetischen Daten von 1,28 Millionen Menschen möglich, für 60 % der Amerikaner mit europäischen Wurzeln einen Cousin dritten Grades oder näher zu finden.5 Ancestry hat im Jahr 2020 schon mehr als 15 Millionen Teilnehmer. Das bedeutet, dass inzwischen alle Amerikaner potentiell mit ein bisschen Recherche identifiziert werden können. Das nutzen inzwischen auch Strafverfolgungsbehörden wie das FBI, die hierdurch einige Jahrzehnte lang ungelöste Mordserien aufklären konnten.6 Das bedeutet, dass man durch die eigene Registrierung möglicherweise seine Angehörigen dem Risiko der Strafverfolgung aussetzt. Auch dieser Aspekt wird von anderen begrüßt, wenn er sich auf schwere Verbrechen bezieht. Trotzdem stellt sich natürlich die Frage, was unterdrückerische Regimes mit diesen Daten anfangen könnten. Es gibt daher bereits Vermutungen, dass die Nachfrage nach DNA-Test wegen Datenschutzbedenken nachlässt.

Unbedingt lesen!

Jeder, der sich für die Entwicklung von Verwandtensuche und die soziale Bedeutung von DNA-Datenbanken interessiert, sollte das Buch unbedingt lesen. Es enthält eine beeindruckende Mischung aus Fakten und emotional berührenden Geschichten und war auch beim zweiten Lesen für diese Besprechung immer noch faszinierend.

Obwohl nur wenige Geschichten von Spenderkindern vorkommen, berühren viele der Fragen und Themen auch unsere eigenen Erfahrungen und zeigen, dass wir damit nicht alleine sind.

Leider gibt es das Buch derzeit noch nicht als deutsche Übersetzung. Da die DNA-Datenbanken jedoch auch in Deutschland immer mehr Teilnehmer bekommen, wird sich das Bedürfnis nach einem Buch, das diese Geschichten erzählt und Themen diskutiert, sehr bald auch in Deutschland zeigen.

  1. ich möchte an dieser Stelle nicht spoilern, aber eine Kurzfassung ihrer faszinierenden Geschichte hat Libby Copeland 2017 in einem Washington Post Artikel veröffentlicht, der derzeit leider nicht zugänglich ist. Eine Nacherzählung der Geschichte erschien in der Irish Times. []
  2. In meinen 23andme Resultaten werden zum Beispiel die Gegenden in Polen angezeigt, von denen ich weiß, dass dort meine Großväter geboren wurden. []
  3. So geschehen bei der demokratischen Senatorin und Präsidentschaftskandidatur-Bewerberin Elizabeth Warren []
  4. Die Bedenken scheinen mir aber eher nur auf die USA zuzutreffen: in Europa dürften Unternehmen solche illegal erhaltenen Daten nicht nutzen. []
  5. Yaniv Erlich, Tal Shor, Itsik Pe’er, Shai Carmi: Identity inference of genomic data using long-range familial searches, Science 09 Nov 2018: Vol. 362, Issue 6415, pp. 690-694. []
  6. Wie z. B. Den Fall des Golden State Killers, der über eine Recherche bei GEDmatch gelöst wurde. []

Pressemitteilung: Spenderkinder starten SocialMedia-Kampagne, um ihre genetischen Väter zu finden

Der Verein Spenderkinder startet am 1. März 2020 eine SocialMedia-Kampagne, um auf den Wunsch vieler durch „Samenspende“ gezeugter Menschen hinzuweisen, ihre leiblichen Väter zu kennen. Unter dem Hashtag #zeigedich werden in den nächsten Wochen regelmäßig unvollständige Bilder der Vereinsmitglieder auf Instagram, Twitter und Facebook gepostet. „Wir hoffen, dass wir mit den Bildern ehemalige „Samenspender“ erreichen“, beschreibt Anne Meier-Credner, Vorstandsmitglied des Vereins, das Ziel der Kampagne. Es ist das erste Mal, dass sich so viele Spenderkinder mit einem Foto zeigen.

In Deutschland haben alle Menschen – auch Kinder eines „Samenspenders“ – ein Recht darauf, zu erfahren, wer ihre leiblichen Eltern sind. Das war Reproduktionsmedizinern bereits in den 70er Jahren bekannt.[1] Dennoch haben viele den „Samenspendern“ Anonymität versprochen. „Wir haben über 10 Jahre lang an die Reproduktionsmedizin appelliert, Verantwortung zu übernehmen und uns bei der Rekonstruktion zu helfen. Jetzt wenden wir uns direkt an unsere genetischen Väter und hoffen, dort auf mehr Verantwortungsbewusstsein zu treffen“, so Meier-Credner, „Spenderkinder wünschen sich einen genetischen Vater, der seine Vergangenheit als ‚Spender‘ nicht verleugnet. Es ist stark, Verantwortung zu übernehmen und zu seinen Kindern zu stehen.“

Viele Spenderkinder sind in den großen DNA-Datenbanken Ancestry, 23andMe, FamilyTreeDNA und MyHeritage registriert, um genetische Verwandte zu finden. Der Verein Spenderkinder freut sich sehr, dass sich bereits einige ehemalige „Spender“ aus eigener Initiative bei DNA-Portalen registrieren lassen und möchte dazu weiter ermuntern. Je mehr Menschen sich in DNA-Datenbanken registrieren lassen, desto mehr Chancen haben Spenderkinder, ihre genetischen Väter auch über andere Verwandte zu finden.

Wer Spenderkinder bei der Suche unterstützen möchte, kann die Suchprofile z.B. über Twitter teilen und möglichst viele Menschen darauf aufmerksam machen. Männer, die ihren Samen über Samenbanken haben vermitteln lassen, werden gebeten, sich beim Verein Spenderkinder zu melden (info@spenderkinder.de).


[1] 1970 erklärte der damalige Justiziar Dr. Arnold Hess auf dem Deutschen Ärztetag, dass der Arzt dem Kind Auskunft geben müsse, wenn er nicht schadensersatzpflichtig werden wolle (DtÄbl 1970, 1982). 1985 bestätigten zwei Essener Reproduktionsmediziner: „Ein wesentliches juristisches Problem dieser Behandlungsmethode ergibt sich aus der bewussten Verletzung des im Grundgesetz verankerten Rechtes auf Kenntnis der biologischen Abstammung. Juristisch spricht man von der planmäßigen Vereitelung der Abstammung, die missbilligt wird“. (Katzorke, K. & Propping, D.; 1985. Voraussetzungen und Ergebnisse der heterologen (donogenen) Inseminationsbehandlung. Pro Familia Magazin, Schwerpunktthema: Kinderwunsch und Reproduktionsmedizin. S. 20-22.)