Archiv der Kategorie: Persönliche Eindrücke

Persönliche Wertungen von Mitgliedern des Vereins Spenderkinder zu verschiedenen Themen

Jahresrückblick 2013

Das Jahr 2013 war sehr erfolgreich für unseren Verein Spenderkinder. Darüber freuen wir uns sehr und sehen dies als Bestätigung, dass unsere Arbeit wichtig ist und ernst genommen wird.

Zunächst war da natürlich das Urteil des OLG Hamm vom 6. Februar 2013, dass unserer Vorständin Sarah das Recht zusprach, von dem Arzt ihrer Eltern Auskunft darüber zu verlangen, wer ihr genetischer Vater – der Samenspender – ist. Erfreulicherweise schenkte das Gericht den Beteuerungen des Arztes keinen Glauben, er habe die Daten nicht mehr. Obwohl das Urteil absolut der bisher herrschenden Meinung in der juristischen Literatur entsprach, war es das erste Mal dass ein Spenderkind dieses Recht gerichtlich durchsetzte. Das Medienecho war deswegen groß und das Urteil war auf den Titelseiten vieler überregionaler Zeitungen. Die Zeitungsartikel waren größtenteils positiv, etwas überrascht hat uns jedoch das negative und teilweise sogar ausfallende Echo der Nutzerkommentare, in denen vor allem befürchtet wurde, dass es bei verpflichtender Offenheit der Samenspender nicht mehr genug Spender geben würde. Leider bilden sich immer noch viel zu viele Menschen ihre Meinung, ohne sich über das Thema ausreichend zu informieren. In dem Bereich gibt es für uns also noch viel Informationsarbeit zu leisten.

Um so schöner war deswegen, dass sich Sarahs genetischer Vater von selbst bei ihr gemeldet hat und sie sich seitdem einige Male getroffen haben. Das Urteil gegen den Arzt musste daher nicht vollstreckt werden. Angesichts des weiter ablehnenden Verhaltens dieses und anderer Ärzte werden aber wohl weitere Klagen erforderlich sein.

Vielleicht auch über das große Medienecho zu dem Urteil begründet, haben wir dieses Jahr die höchste Zahl neuer Mitglieder begrüßen können und sind nun über 50. Wir freuen uns sehr, dass unser Verein wächst. Damit steigen die Meinungen, die wir repräsentieren, und die Chance, dass wir Halbgeschwister finden.

Dementsprechend konnten wir dieses Jahr auch die ersten zwei Verwandten-Treffer über unseren DNA Test Family Finder feiern: einer zwischen einem Spender und einem Spenderkind und einer zwischen Halbgeschwistern.

Im November haben wir dann an dem 1. Erlanger Symposium zur Familiengründung durch Samenspende teilgenommen. Wir haben einen Vortrag dazu gehalten, was aus Sicht von uns Spenderkindern wichtig bei dieser Form der Familiengründung ist, an der Pressekonferenz und der Podiumsdiskussion teilgenommen und waren die ganze Zeit lang mit einem Stand präsent. Wir haben die Teilnahme als sehr positiv empfunden und es haben sich darüber sehr viele interessante Kontakte ergeben.

Zuletzt haben die Regierungsparteien CDU und SPD in den Koalitionsvertrag aufgenommen, dass das Recht von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Abstammung auch einfachgesetzlich geregelt wird. Das war schon lange eine Forderung von uns, damit dieses Recht nicht nur Menschen mit juristischer Vorbildung verstehen, sondern es wirklich jeder im Gesetz nachlesen kann.

Wie jedes Jahr haben wir auch an einigen Medienberichten mitgewirkt – besonders gut geworden sind unserer Meinung nach der Radiobeitrag „Eine Spende fürs Leben“ auf EinsLive und der Artikel „Samen on the Rocks“ in der FAZ.

Wir hoffen auf ein ähnlich erfolgreiches Jahr 2014 und wünschen allen unseren Mitgliedern und Lesern unserer Internetseite alles Gute fürs kommende Jahr!

Eindrücke vom 1. Erlanger Symposium zur Familienbildung mit Spendersamen

Letzten Freitag und Samstag (22.-23. November 2013) fand das 1. Erlanger Symposium zur Familienbildung mit Spendersamen statt. Dabei handelte es sich um die erste Veranstaltung dieser Art zu Samenspenden in Deutschland. Anwesend waren etwa 150 Teilnehmer, darunter Eltern, Ärzte, Mitarbeiter von Samenbanken, Spenderkinder, und Forscher. Auf dem Programm standen zahlreiche Vorträge von Organisationen, die in diesem Bereich aktiv sind, sowie Vorträge zu Rechtsthemen. Von unserem Verein Spenderkinder waren Freitags vier und Samstags sieben Mitglieder anwesend. Sarah hat uns auf der Pressekonferenz am Freitag und am Samstag bei der (leider sehr kurz geratenen) Podiumsdiskussion vertreten. Stina hielt am Freitag einen Vortrag zum Thema „Ein Recht auf Identität„.

Wir Spenderkinder empfanden das Symposium im Großen und ganzen als eine sehr spannende und aufregende Veranstaltung. Wir haben viele interessante Leute kennengelernt und hatten überwiegend das Gefühl, dass viele Teilnehmer unseren Forderungen positiv und offen gegenüber standen. Mit solchen Leuten müsste es eigentlich zu schaffen sein, das bisherige System in Deutschland zu ändern.

Wir werden Stinas Vortrag in Kürze auf unserer Internetseite veröffentlichen, und Anfang nächsten Jahres wird es auch einen Reader mit allen Vorträgen geben. Daher hier nur eine kurze Reaktion zu einigen Vorträgen:

Besonders spannend war das Gespräch von Herrn Dr. Hammel von der Samenbank Erlangen mit zweien seiner Spender im Alter von 27 und 33 Jahren, bei denen mich ihre Offenheit sehr beeindruckte. Es war schön zu hören, dass beide sich für die Tätigkeit als Samenspender nicht aus Geldgründen entschieden haben, sondern um zu helfen – der eine, weil seine Schwester selbst Zeugungsprobleme hatte. Beide berichten offen darüber gegenüber ihrer Familie und dem Freundeskreis. Der eine hatte von einer Familie, die durch seine Spende ein Kind bekommen hat, auch einen Dankesbrief mit Bildern des Kindes bekommen. Darüber hat er sich sichtlich gefreut und sie auch seinen Eltern und seiner Freundin gezeigt. Hoffentlich entsprechen mehr der heutigen Spender diesem Typ.

Die ehemalige Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries gab zu Beginn ihres Festbeitrags bekannt, dass die künftige große Koalition in den Koalitionsvertrag aufnehmen möchte, dass wir Spenderkinder einen Auskunftsanspruch gegen den behandelnden Arzt über unsere Abstammung haben. Das hat uns natürlich sehr gefreut, da es sich hierbei um eine Forderung handelt, die wir seit unserer Vereinsgründung vertreten. In ihrem Vortrag hat Frau Zypries dann sieben weitere Vorschläge gemacht, wie Samenspenden in Deutschland geregelt sein müsste.

Diese finden größtenteils unsere Zustimmung. Nicht einverstanden sind wir jedoch mit 2 Punkten: das Recht von Spenderkindern, die Vaterschaft des rechtlichen Vaters anzufechten, soll zum Schutz des sozialen Vaters und des Spenders ausgeschlossen werden. Wir haben in der darauffolgenden Diskussion darauf hingewiesen, dass wir das – entsprechend einer Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz – für verfassungsrechtlich bedenklich halten. Das Ziel, den Spender vor Erb- und Unterhaltsansprüchen zu schützen, lässt sich auch durch andere Regelungen erreichen. Der andere Punkt betraf die Dokumentation der Spenderdaten, bei der Frau Zypries das Modell der Samenbank Erlanger für verallgemeinerungswürdig hielt, die Daten bei einem Notar zu hinterlegen. So gut wir das Modell als einen ersten Schritt finden, so lange es keinen Eintrag in das Geburtenregister und/oder ein Zentralregister gibt, bleibt hierbei aber das Problem, dass auf die Eltern kein Anreiz zur Aufklärung der Kinder ausgeübt wird und die Kinder auch erst mal wissen müssen, bei welcher Klinik ihre Eltern waren und mit welchem Notar diese kooperiert. Außerdem kann so nicht nachvollzogen werden, wie viele Kinder ein Spender gezeugt hat. Frau Zypries sagte jedoch ausdrücklich, dass diese Gedanken noch nicht abschließend seien. Davon abgesehen ist es schon ein sehr großer Schritt, dass die Politik diesen Problembereiche überhaupt endlich angehen möchte.

Leider wurde im Vortrag des Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD) deutlich, dass dieser ungeachtet des bestehenden Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstimmung es weiterhin als legitime Entscheidung ansieht, wenn lesbische Paare dieses Grundrecht ihres künftigen Kindes ignorieren und sich bewusst für eine anonyme Samenspende aus dem Ausland entscheiden, zum Beispiel um die Familie eindeutiger allein über die sozialen Grenzen zu definieren. Das Recht auf Kenntnis der Abstammung wird dabei als „hetero-normativ“ abgekanzelt und sie berufen sich darauf, dass es Studien zufolge Kindern mit anonymen Spendern nicht schlechter ginge als Kindern mit offenem Spender. Es bleibt aber dabei, dass auch die Kinder lesbischer Paare ein Recht darauf haben, selbst zu entscheiden, ob sie wissen möchten, woher sie genetisch kommen. Insbesondere muss man für dieses Recht nicht nachweisen, dass man psychopathologisch auffällig ist. Andere Studien wie die von Scheib, Riordan und Rubin aus dem Jahr 2005 haben außerdem ergeben, dass die meisten (89%) der aufgeklärten Kinder (12-17 Jahre) aus den unterschiedlichsten Familienformen (Single-Mütter, Heteropaare, lesbische Paare) in Erfahrung bringen möchten, wer ihr biologischer Vater ist. Man kann nie wissen, ob das eigene Kind zu dieser Gruppe gehört, und vor allem kann man die Bevormundung des Kindes durch eine Entscheidung für eine anonyme Samenspende nicht rückgängig machen. Die Haltung des LSVD ist insbesondere deswegen traurig, weil damit gerade eine Minderheit, die selbst so lange für ihre Rechte kämpfen musste, jetzt die Schwäche einer anderen Gruppe ausnutzt und die Rechte der Kinder missachtet.

Am Samstag gab es einen sehr guten und auch für Nicht-Juristen gut nachvollziehbaren Vortrag von Frau Professor Coester-Waltjen zu Familienrechtlichen Überlegungen zur Rolle des Samenspenders und möglichen Reformüberlegungen. In der darauffolgenden Diskussion fand ich besonders überraschend, wie wenig viele Reproduktionsmediziner offenbar über die rechtlichen Rahmenbedingungen ihrer Tätigkeiten unterrichtet sind und dass auch Handlungen, die nicht ausdrücklich unter Strafe stehen, trotzdem zu Schadensersatzansprüchen führen können. Insbesondere teilt Prof. Coester-Waltjen unsere Auffassung, dass die lange Zeit üblichen Anonymitätsversprechen der Ärzte niemals eine rechtliche Grundlage hatten und dass die Aufbewahrungsfrist für Spenderaten niemals nur 10 Jahre betragen hat. Sie hält deswegen Schadensersatzforderungen in 4-5stelliger Höhe für möglich. Das war anscheinend für viele anwesende Ärzte neu. Vielleicht motiviert dieser Gedanke zu einer etwas engagierteren Suche verschollener Behandlungsunterlagen.

Besonders eindrucksvoll war zuletzt der Vortrag der britischen Elterninitiative Donor Conception Network, die bereits vor 20 Jahren gegründet wurde und im Jahr 2005 – gegen den Widerstand fast aller Reproduktionsärzte – in Großbritannien ein Verbot anonymer Samenspenden und ein nationales Register durchsetzen konnte. Der Vortrag begann entsprechend mit den Worten: „I am going to make you jealous…“

Wir freuen uns auf weitere Veranstaltungen dieser Art und haben die Gelegenheit zum Austausch sehr genossen!

Fernsehhinweis: Justice am Montag, 18.11. um 23.30 Uhr auf RTL

Kommenden Montag, den 18.11.2013, um 23.30 Uhr wird auf RTL im Rahmen der Sendereihe Justice – mit Richterin Julia Scherf der Film „Tabuthema Samenspende“ von Andrea Böll zum Thema Samenspende gezeigt. Mit dabei: Spenderkinder-Mitglied Sunny.

Der Beitrag wird auf der Internetseite der Sendung folgendermaßen angekündigt:

„Sunny Müller ist 33 Jahre alt. Ihr Leben begann im Oktober 1979 in einem Krankenhaus in Berlin. Dort wurde ihrer Mutter der Samen eines anonymen Spenders eingepflanzt. Lange Zeit ist das überhaupt kein Thema für Sunny. Aber dann, vor etwa einem Jahr, beginnt es in ihr zu rumoren: wer ist dieser Mann, der genetisch ein Teil von ihr ist? „Ich habe nicht nur zwei Eltern, ich habe eigentlich drei Eltern, und das dritte Teil fehlt halt noch. Es ist Ungewissheit da, und ich versuche einfach, dieses Loch zu füllen.“

Schätzungsweise 100.000 Samenspenderkinder leben in Deutschland. Die Anonymität des Spenders wurde Jahrzehnte lang einfach hingenommen. In den betroffenen Familien wurde so gut wie nie darüber gesprochen. Zu groß war die Angst vor gesellschaftlicher Ächtung.“

Spenderkind – und bald auch Mutter

Ich werde im Februar selbst Mutter. Unter uns Spenderkindern bin ich da nicht die Erste, mindestens ein Viertel haben schon eigene Kinder. Trotzdem ist meine Schwangerschaft für mich Anlass, über viele Fragen noch einmal nachzudenken.

Einige Freunde haben mich gefragt, ob es meine Sichtweise auf die Entscheidung meiner Eltern verändert hat, mich mit einer Samenspende zu bekommen und mir nichts davon zu erzählen. Das hat es – aber es hat mein Unverständnis für meine Eltern eher vertieft. Ich kann mir absolut nicht vorstellen, mein Kind von Anfang an anzulügen. Vor einigen Tagen habe ich beim Aufräumen einen Bericht meiner Mutter über meine Geburt wiedergefunden. Mit sechs Seiten ist der Bericht sehr ausführlich – und enthält kein Wort darüber, wie sie mich 9 Monate vorher ebenfalls im Krankenhaus mit dem Samen eines anderen Mannes gezeugt haben. Das so verdrängen zu können, verstehe ich nicht. Aus dem Grund fällt es mir auch sehr schwer, Geschichten meiner Mutter von ihrer eigenen Schwangerschaft ohne negative Gefühle zu hören.

Davon abgesehen bin ich sehr dankbar dafür, dass ich nie vor der Entscheidung stand, ob ich
auf meinen Kinderwunsch verzichten soll oder ihn auf anderer Weise zu realisieren versuche. Wie auch einige andere Spenderkinder hatte ich mir darüber schon ab und zu leichte Sorgen gemacht – wohl wegen der Erfahrungen unserer eigenen Eltern und weil wir über den Verein Spenderkinder so viele Menschen mit Zeugungsproblemen kennen.

Gleichzeitig wird mir durch meine eigene Schwangerschaft noch bewusster, dass genetische Verwandtschaft ein wichtiger Bestandteil der Identität vieler Familien ist. Damit möchte ich nicht sagen, dass ich es für ausschlaggebend halte. Ich hätte mir auch gut vorstellen können, ein Kind zu adoptieren. Aber ich freue mich darauf, in dem Kind – neben einigen wahrscheinlich sehr individuellen Eigenschaften – hoffentlich auch den Vater wieder zu erkennen. Und Freunde mit Kindern haben mir erzählt, dass relativ unbewusst konstant abgeglichen wird, zu welchem Verwandten eine Ähnlichkeit besteht. Ich bin gespannt, wie sehr wir das ebenfalls tun werden und überhaupt können – und ob ich ab und zu nicht doch überlege, ob der bislang unbekannte genetische Großvater durchschaut. Aus dem Grund verstärkt die Tatsache, dass ich bald auch Mutter bin, noch meinen Wunsch, dass ich wissen möchte wer der Spender ist.

 

Kommentar zur Sendung ‚Blaue Couch‘ auf Bayern 1 vom 22.09.2013

Unter dem Titel „Auf der Suche nach dem biologischen Vater“ durfte ich von meinen Erfahrungen sowie meiner Suche nach dem Spender berichten. Mir hat die Sendung sehr gut gefallen, und ich möchte mich bei allen bedanken, die daran beteiligt waren.

Mir ist es wichtig, an dieser Stelle eine Korrektur der geschilderten Rechtslage vorzunehmen: Entgegen der Darstellung des beteiligten Juristen galt bereits vor 2007 eine Aufbewahrungspflicht für Behandlungsunterlagen über die üblichen 10 Jahre hinaus, wenn die ärztliche Erfahrung dies gebot. Bei einer Samenspende ist dies eindeutig der Fall. Wenn trotzdem Unterlagen vernichtet werden und es dem Kind dadurch unmöglich wird, die Identität des Spenders zu erfahren, können Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. Dies wurde den Ärzten schon seit 1970 z.B. im Deutschen Ärzteblatt kommuniziert.

Die Kontaktierung des Arztes ist der direkte und einfachste Weg, die Identität des Spenders in Erfahrung zu bringen. Der Zugang zu den Unterlagen wird jedoch gerade bei Spenderkindern, die sich heute bereits im Erwachsenenalter befinden, in den meisten Fällen von Seiten der Ärzte verhindert. Weitere Möglichkeiten sind die DNA-Datenbank „Family Tree DNA“ (FTDNA) sowie die Suchprofile auf dieser Website. Über FTDNA gab es in diesem Jahr sogar die ersten Treffer! Wünschenswert wäre es, Samenspender insoweit zu sensibilisieren, selbst zu erkennen, wie bereichernd es für sie und Spenderkinder sein kann, einander kennen zu lernen. Spender könnten jene Vermittlungsplattformen (FTDNA etc.) nutzen, um die gegenseitige Suche zu unterstützen.

Sicherlich ist der Verzicht auf die einst von den Ärzten zugesicherte Anonymität für viele Spender mit Unsicherheiten verbunden, was z.B. auch Unterhalts- und Erbschaftsansprüche betrifft. Auch auf der Blauen Couch wurde darüber gesprochen. Ich möchte diesen Gedanken noch einmal aufgreifen: Das ausgemalte Szenario ist ein sehr theoretisches. Voraussetzung dafür ist, dass das Spenderkind die Vaterschaft seines sozialen Vaters anficht, so dass es vor Gericht vaterlos wird. Erst unter dieser Bedingung könnte der Spender – theoretisch – an rechtlicher Vaterstelle eingesetzt werden. Für diese Entscheidung hat das Kind zwei Jahre nach seiner Aufklärung (bei Minderjährigen ab Volljährigkeit) Zeit.

Sollte das Kind sich tatsächlich für diese Möglichkeit entscheiden, würde es aber auch dem Spender gegenüber unterhaltspflichtig, wenn er z.B. alt und pflegebedürftig wird. Der Spender hätte außerdem die Möglichkeit, sich das Geld zurück zu holen indem er die Eltern oder den Arzt (wenn dieser ihn z.B. nicht darüber aufgeklärt hat) belangt.

Diese Bedingungen schaffen für uns Spenderkinder also keine Anreize, von dieser theoretischen Möglichkeit Gebrauch zu machen. Vielmehr setzen auch wir uns für den ausdrücklichen Ausschluss von gegenseitigen Unterhaltsansprüchen ein.

Ich hoffe, dass in naher Zukunft für alle klare Verhältnisse geschaffen werden und die Tragweite der im Zusammenhang mit der Samenspende getroffenen Entscheidungen offen und ehrlich kommuniziert wird.

Autorin: Anja

Halbgeschwister-Treffer bei FTDNA

Nachdem wir bereits im April einen Treffer zwischen einem Spender und einem Spenderkind bei unserem Gentest Family Finder von FTDNA hatten, haben wir seit einigen Tagen endlich unseren ersten Halbgeschwister-Treffer: Nele und Sebastian, wie ich sie jetzt einmal nenne, sind Halbbruder und Halbschwester. Beide sind in einer eher kleinen gynäkologischen Praxis in Hamburg entstanden.

Die Geschichte, wie dieser Treffer zustande gekommen ist, ist auch sehr schön. Spenderkinder-Gründungsmitglied Dana ist ebenfalls in dieser Praxis entstanden und hatte wie einige andere unserer Mitglieder ein Suchprofil auf unserer Internetseite angelegt. Hierüber haben sich dann vor etwa eineinhalb Jahren erst Nele und dieses Jahr dann Sebastian bei ihr gemeldet. Schon hierüber hat sich Dana unglaublich gefreut, weil sie vor einigen Jahren nie damit gerechnet hatte, jemanden finden, der in der gleichen Praxis gezeugt wurde. Nach einem ersten Treffen vermuteten sie, dass sie möglicherweise verwandt sein könnten. Leider war der Family Finder Test, der damals noch deutlich teurer war, aus finanziellen Gründen zunächst für die drei nicht möglich.

Im Februar diesen Jahres meldete sich dann ein Spender bei Dana, den sie vor längerer Zeit einmal kennengelernt hatte, um ihr zu sagen, dass er sich über Sarahs Erfolg vor dem OLG Hamm gefreut hat. Als er hörte, dass Dana andere Spenderkinder von der selben Praxis kennengelernt hatte, übernahm er die Kosten des Tests. Bei den Tests selbst kam es dann noch einmal kurz zu einer nervenaufreibenden Situation, weil ein Zollamt den Test als Arzneimittel ansah und zunächst nicht herausgeben wollte, aber auch das konnte gelöst werden. Vor ein paar Tagen kam dann das Ergebnis, dass Nele und Sebastian – aber leider nicht Dana – miteinander verwandt sind. Dana freut sich aber wie wir alle unglaublich für die beiden, und der Treffer gibt uns natürlich allen Hoffnung, dass wir irgendwann in der Zukunft auch einmal dieses Glück haben werden. Und es ist noch viel schöner, dass ein Spender zu diesem schönen Ereignis beigetragen hat.

Und es gibt noch eine kleine Besonderheit: laut FTDNA sind auch Nele und ich möglicherweise Verwandte 5. Grades, und zwar über meinen Spender und Neles Mutter. Vielleicht bekommen wir ja irgendwann heraus, wie das zusammenhängt. Auf jeden Fall ist es lustig, dass wir Spenderkinder untereinander auch entfernt verwandt sind.

Als wir uns damals die Entscheidung für den Family Finder Test von FTDNA als Datenbank trafen, haben viele von uns sich die Chancen auf einen tatsächlichen Treffer nicht besonders hoch ausgerechnet und wohl eher nur deswegen teilgenommen, um nichts unversucht zu lassen. Mit einem Halbgeschwistertreffer rechneten wir – wenn überhaupt – eher bei der Praxis novum in Essen, weil hier die meisten unserer Mitglieder entstanden sind. Deswegen ist es jetzt um so schöner, dass wir nach nur knapp mehr als zwei Jahren einen Halbgeschwistertreffer bei einer so kleinen Praxis haben. Das zeigt noch einmal, dass Spenderkinder wirklich eine Chance haben, über einen Gentest Halbgeschwister zu finden. Die meisten von uns müssen nur Geduld haben, dass sich immer mehr Spenderkinder registrieren werden. Dafür muss man auch nicht Mitglied bei unserem Verein sein oder irgendwie Kontakt zu uns aufgenommen haben – die Teilnahme an dem Test bei FTDNA reicht aus. Zumindest der deutlich gesenkte Preis von 99 USD macht die Teilnahme am Test jetzt auch finanziell eher möglich.

Hubertus

Ja, ihr Lieben, meine Geschichte hat nun ein Ende und ich habe meinen Spender gefunden – oder eher er mich? Wow! Ich kann nach wie vor nicht in Worte fassen, wie schön es ist! Ich grinse einfach den ganzen Tag und realisiere noch nicht ganz, dass ich tatsächlich meinen Spender gefunden habe und Nummer 261 zu einer Person geworden ist. Er schrieb mir eine Email nachdem er einen Artikel gelesen hat, in dem er beschrieben wurde. Betreff: Biologischer Vater. Unser Gentest FamilyTree DNA hat es nun bestätigt und wir wissen es jetzt ganz sicher.

Das Urteil hat so polarisiert und so viele Menschen meinten, irgendwelche Kommentare und Bewertungen abgeben zu können, ohne etwas mit dem Thema zu tun zu haben. Dazu kommt dann die Angst, dass alle Recht haben könnten. Mir war die Aussage von Prof. Dr. Katzorke wieder bewusst geworden, in der er behauptet, dass der Spender gefragt wurde und hätte kein Interesse: „Der will nicht“, sagt er ganz trocken.

Wie soll ich also in Worte fassen, wie man sich fühlt, wenn sich der leibliche Vater von sich aus meldet und unglaublich freundlich und offen ist? Versucht es Euch vorzustellen und wenn ihr meint, dass es sich ungefähr so anfühlen wird – dann noch schöner. Glück, Erleichterung und Zufriedenheit. Noch nie war ich so im Reinen mit mir und meiner Entstehung. Alles macht einen Sinn. Alles erscheint richtig und alles hat sich gelohnt.

Für mich persönlich ist es ein sehr großer Erfolg, aber es ist auch von so viel symbolischem Charakter geprägt. Es ist eben nicht so, dass Spender einfach nur Spenden, Geld verdienen und nie wieder daran denken. Mit einer Samenspende spendet man Leben und das ist den meisten auch bewusst. Ich wünschte wirklich, dass jeder das erleben kann, was mir gerade geschenkt wurde.

Vielleicht denken jetzt endlich mehr Spender und Ärzte darüber nach…

 

Lieber Hubertus,
ich danke Dir von ganzem Herzen! Wirklich! Das ist so großartig! So lange habe ich nach Dir gesucht und darum gekämpft und auf einmal bist Du da. Ich war so verzweifelt, habe so viel geweint und trotzdem versucht, nie die Hoffnung aufzugeben! Du widerlegst einfach alle Vorurteile und ich wünsche jedem einen Spender, wie Du es bist!

Sarah

Fehlinterpretationen in einem wissenschaftlichen Aufsatz

Mit anderen Menschen persönliche Erfahrungen und Eindrücke zu teilen, beinhaltet immer das Risiko, falsch verstanden und wiedergegeben zu werden. Schlechte Erfahrungen mit Forschern hatten wir bisher nicht. Leider habe ich jetzt jedoch mit der Sozialwissenschaftlerin Dr. Dorett Funcke von der Universität Bochum den ersten Fall.

Frau Funcke nahm im Jahr 2008 Kontakt zu mir auf und äußerte den Wunsch, mit mir und anderen Spenderkindern für ihre Forschungen zum Stellenwert von genetischer Verwandtschaft für Familienbeziehungen zu sprechen. Wir haben uns daraufhin einmal für ein Interview getroffen und hatten sporadischen Email Kontakt. Ich hatte mich schon etwas gewundert, nie etwas von den Ergebnissen ihrer Forschung zu hören. Letzte Woche fand ich dann ihren Artikel mit dem Titel „Der unsichtbare Dritte“ in der Zeitschrift „Psychotherapie & Sozialwissenschaft“ aus dem Jahr 2009 (S. 61-98). In diesem analysiert sie einen Teil meines Erfahrungsberichts auf dieser Internetseite. Die Interpretation meiner Aussagen in diesem Artikel ist sehr eigenwillig – und in meinen Augen absolut unzutreffend.

Frau Funcke analysiert dabei meinen Erfahrungsbericht mit der Methode der objektiven Hermeneutik, bei der es grob ausgedrückt um die Rekonstruktion angeblicher objektiver Bedeutungsstrukturen von Texten geht. Grundannahme des Verfahrens ist, dass jede Aussage einen objektiven latenten Sinn besitzt. Von besonderer Bedeutung ist, wie etwas gesagt bzw. ausgedrückt wurde; nicht dagegen, wie etwas gemeint sein könnte.

Das sieht in der Praxis an meinem Erfahrungsbericht dann so aus (S. 79): Meine Aussage, dass meine Eltern mir mitgeteilt haben, dass ich durch eine Samenspende „entstanden“ bin, deutet Frau Funcke so, dass ich durch den Gebrauch des Wortes „Entstehung“ die Bedeutung der sozialen Elternschaft meines Vaters für die Praxis der Sozialisation tilgen würde, weil „Entstehung“ immer den gesamten Entstehungsprozess eines Subjektes bis zur Herausbildung der Autonomie bedeute. Ich halte sowohl diese Methode wie auch die konkrete Anwendung in meinem Fall für willkürlich.

Selektive Interpretation meines Erfahrungsberichts

Zunächst ist die Vorgehensweise sehr selektiv. Das sieht man in dem konkreten Beispiel daran, dass Frau Funcke nur den ersten Teil meines Erfahrungsberichts analysiert. Dort versuche ich zu schildern, wie ich die Aufklärung durch meine Eltern in genau diesem Moment wahrgenommen habe. An einer nachfolgenden Stelle des Textes betone ich aber, dass ich Elternschaft auch als soziale Beziehung sehe. Diese spätere Aussage wird in Frau Funckes Interpretation aber nicht berücksichtigt. Damit reduziert sie meine Sichtweise auf Samenspende auf eine rein biologische Sicht. Genau das möchte ich aber eindeutig vermeiden. Genetische und soziale Eltern sind für mich beide wichtig.

Weiterhin stellt Frau Funcke meine Gedanken so dar, als wäre aus meiner Perspektive die meiner Eltern ausgeschlossen (S. 80). Das stimmt aber wiederum nur für den ersten Teil des Textes, in dem ich wiedergebe, wie ich den Abend der Aufklärung wahrgenommen habe. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mir noch keine ausgearbeiteten Gedanken über meine Situation gemacht, ich befand mich in einem Schockzustand. Mit der Motivation meiner Eltern, die natürlich nicht von schlechten Absichten getragen war, beschäftige ich mich an einer späteren Stelle des Textes. Das wird von Frau Funcke wiederum nicht beachtet. Sie stellt es so dar, als könnte man aus meiner Schilderung der Aufklärungssituation alles über meine Reaktion herauslesen.

Willkürliche Auslegung von einzelnen Wörtern und Formulierungen

Außerdem halte ich die Grundannahme, dass jede Aussage einen objektiven Sinngehalt hat, den jeder Mensch gleich beurteilen würde, für nicht richtig. In dem oben genannten Beispiel ist es das Wort „Entstehung“. Ich messe dem Wort die Bedeutung der körperlichen Entstehung bei. Diese Bedeutung hat das Wort zum Beispiel auch in dem Buch „Ein Kind entsteht“ von Lennart Nilsson. Ich habe das Wort gewählt, weil mir „Zeugung“ zu technisch war. Dass damit die Entstehung als ganzer Mensch gemeint ist, finde ich absolut nicht zwingend. Frau Funcke sagt jetzt mit ihrer Theorie der objektiven Hermeneutik im Hintergrund, dass das sehr wohl meine unterbewusste Intention war. Das empfinde ich als ziemliche Bevormundung – wie ich etwas meine, kann ich am besten selbst sagen. Andere können höchstens sagen, wie etwas auf sie wirkt. Auch diese Wirkung ist aber in diesem Fall sicherlich nicht zwingend.

Fast absurd wird es, wenn Frau Funcke einem Tippfehler von mir eine besondere Bedeutung beimisst (S. 89). In dem Satz „Zwischendrin ging ich ins Badezimmer, sah mich lange im Spiegel an und überlegt, was ich wohl von meinem unbekannten Vater habe (…)“. Die völlig unbewusste Handlung, beim Schreiben am Computer auf der Tastatur den Buchstaben „e“ aus Versehen zu verfehlen, soll dann folgende Bedeutung haben: „Die Erfahrung der Nicht-Leiblichkeit“ ist noch so akut wie zum Zeitpunkt der Protokollierung des Gesprächs.“ 

Eine weitere, seltsam subjektiv geprägte und absolut unzutreffende Interpretation trifft Frau Funcke bei meiner Erzählung, dass meine Mutter beteuerte, dass sie mich wegen der Spendung durch Samenspende nicht weniger lieben würden. Dazu schreibt Frau Funcke (S. 86): „Anna [das bin ich] erkennt aber das Schuldgefühl nicht, das von ihr im Aufklärungsgespräch mit zum Ausdruck gebracht wird. Sie legt den Eltern stattdessen lauter Klischees in den Mund und sie erzählt so, als ob die Eltern eine Art Kalkulationsprogramm für Affektverteilung angewendet hätten.“ Damit unterstellt Frau Funcke mir zunächst, dass meine Darstellung der Aussagen meiner Eltern nicht den Tatsachen entspräche. Genauso frage ich mich, wie sie auf die Idee kommt, dass ich von der Aussage meiner Mutter deswegen so betroffen gewesen wäre, weil ich darin ein „Affektverteilungsprogramm“ wahrgenommen hätte. Was soll das überhaupt sein? Mich hat die Aussage deswegen so betroffen gemacht, weil ich nie daran gezweifelt hätte, dass meine Eltern mich wegen der Zeugung durch Samenspende weniger lieben. Ich habe ihre Aussage eher als Demonstration von zu viel Liebe wahrgenommen, als Erdrückung, und als mangelndes Verständnis für die Gedanken, die ich mir in diesem Moment tatsächlich gemacht habe.

Genauso wenig zutreffend ist daher Frau Funckes Interpretation, dass für mich mit der verspäteten Offenbarung, ein Spenderkind zu sein, die Wahrscheinlichkeit gering gewesen sei, aus einem Kinderwunsch hervorgegangen zu sein (S. 83). Genau dies war mir in diesem Moment sehr bewusst – aber auf eine schmerzhafte Art und Weise, da es für mich bedeutete, dass sich meine Eltern trotz dieses Kinderwunsches sehr wenig damit auseinandergesetzt haben, wie ich mich als Individuum später aufgrund dieser Zeugungsweise fühlen würde.

Mutmaßungen ohne Anhaltspunkte

Wenig objektiv ist auch, dass Frau Funcke in dem Text trotzdem zahlreiche Mutmaßungen über meine Eltern und mich aufstellt, die keine Grundlage in meinem Erfahrungsbericht haben. So mutmaßt sie zum Beispiel auf S. 88, meine Eltern hätten sich einen kleinen Spender gewünscht, weil mein Vater ebenfalls klein ist. Das Gegenteil ist der Fall. Meine Eltern sind beide über 1,80 Meter groß, und meine Mutter wollte verhindern, dass ich ebenfalls so groß werde.

Genauso stellt Frau Funcke – weswegen auch immer – die These auf, dass die Beziehung zwischen meinen Eltern „authentisch“ und damit anscheinend gut funktionierend gewesen wäre (S. 80-81). Weiterhin stellt sie Mutmaßungen an, inwiefern die Unfruchtbarkeit meines Vaters Teil der Beziehung war. (S. 83) Das hat keine Grundlage in meinem Erfahrungsbericht. Ich habe versucht, so wenig wie möglich über andere Aspekte der Beziehung zwischen meinen Eltern und mir und insbesondere zwischen meinen Eltern zu berichten, weil mir das zu persönlich für eine öffentliche Darstellung auf einer Internetseite ist und ich meine Eltern auch nicht bloßstellen möchte. Ich kann verstehen, dass einen tiefere Analyse für Sozialwissenschaftler natürlich besonders interessant ist. Dafür sollten sie aber mit mir – oder meinen Eltern – sprechen, und nicht Mutmaßungen aufgrund eines Textes anstellen, in dem ich gerade über solche Aspekte nicht berichte.

Unterstellungen zu meiner Motivation, meine Erfahrungen öffentlich zu machen

Frau Funcke unterstellt mir außerdem, ich hätte meine Erzählung in das Internet gestellt, um über eine Anklage und Schuldzuweisung an meine Eltern dieses Ereignis in meine Biografie zu integrieren (S. 81, 91). Auch das stimmt nicht. Eine Anklage und Schuldzuweisung wäre auch ohne eine öffentliche Darstellung möglich gewesen, und ich nennen ja meine Eltern auch nicht bei ihrem Namen. Mein Ziel durch die öffentliche Darstellung war immer, durch die Schilderung meiner persönlichen Erfahrungen zusammen mit anderen Spenderkindern eine gesellschaftliche Veränderung anzustoßen. Ein Teil davon ist, Eltern dazu zu bewegen, ihre Kinder früher und sensibler aufzuklären, als es meine Eltern getan haben.

Lückenhafte Schlussfolgerungen

Nur teilweise kann ich die Schlussfolgerungen von Frau Funcke nachvollziehen, zu denen sie aufgrund der Interpretation meines Textes kommt. So schlägt sie vor, Paaren, die eine Samenspende erwägen, von einer Samenspende abzuraten und sie zumindest für die Schuld zu sensibilisieren, die sie auf sich laden, wenn sie dem Kind ein vermeidbares Lebensthema auferlegen (S. 92).

Damit scheint Frau Funcke gar nicht in Erwägung zu ziehen, dass Eltern ihre Kinder von Anfang an aufklären und einen offenen Spender auswählen könnten und somit dieses Lebensthema zumindest erträglicher machen. Insbesondere sind Samenspenden in Deutschland nicht anonym. Das Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung sollte auch mittlerweile für jüngere Spenderkinder besser durchzusetzen sein, da die Daten inzwischen zumindest 30 Jahre aufbewahrt werden müssen.

Frau Funcke stellt außerdem die These auf, dass es einen richtigen Zeitpunkt für die Offenbarung der Samenspende gegenüber den Kindern nicht gibt (S. 92): Eine Aufklärung in zu jungen Jahren könne die Kinder überfordern. Für diese Mutmaßungen bietet sie aber keinerlei Beweise an. Weder die Erfahrungen der Mitglieder von Spenderkinder, die im Kindesalter aufgeklärt wurden, noch die Adoptionsforschung stimmen hiermit mit dieser Meinung überein. Der Verein Spenderkinder tritt deswegen für eine Aufklärung im Kindesalter ein.

Mein Fazit

Zusammengefasst kann ich mich angesichts dieser selektiven und eigenwilligen Interpretationen des Eindrucks nicht erwähnen, dass Frau Funcke mich gezielt als einseitig, egoistisch und in einer Opferrolle gefangen darstellen möchte (S. 91-92). Kein Wunder, dass sie mich nie auf diesen Artikel aufmerksam gemacht hat. Ich frage mich, was sie erst mit meinem Interview angestellt hat.

Ich denke, dass Frau Funcke wie jeder Mensch eine bestimmte Meinung besitzt, die sie natürlich der Öffentlichkeit mitteilen kann. Trotzdem empfinde ich es als äußerst ärgerlich, dass sie mir unter dem Vorwand einer wissenschaftlichen Methode bestimmte Einstellungen und Erlebnisse unterstellt und auf Basis hiervon zu angeblich allgemein gültigen Schlussfolgerungen kommt.

Für mich selbst ziehe ich aus diesem Erlebnis die Erkenntnis, dass ich meinen Erfahrungsbericht umformulieren sollte und an manchen Stellen genauer erklären sollte, wie ich mich weswegen gefühlt habe, um solchen Fehlinterpretationen nicht mehr so viel Raum zu bieten.

Weswegen wir unsere Abstammung kennen möchten

Bei einigen Menschen stößt es auf Unverständnis, dass es uns wichtig ist zu wissen, wer unserer Spender – unser genetischen Vater – ist. Vielen ist nicht bewusst, dass sich fast alle Menschen über ihre Familie und ihre Abstammung definieren, durch Ähnlichkeit wie auch durch Abgrenzung. Wir finden uns in unseren Eltern, Geschwistern und Kindern wieder. Jeder hat bestimmt schon Sätze gehört wie „du siehst Deiner Mutter ähnlich“, „das hast Du von Deinem Vater“ oder „schon meine Eltern waren…“. Das ist nicht nur Stolz auf die eigene Erziehungsleistung, sondern man ordnet sich in eine Familiengeschichte ein, als Erbe oder Anomalie.

Der Bereich, in dem der Wunsch nach Verbindung durch Abstammung dagegen absolut anerkannt ist, ist der eigene Kinderwunsch. Die meisten Menschen bevorzugen, ein eigenes Kind zu bekommen und nicht ein beliebiges Baby im Krankenhaus übergeben zu bekommen. Vor 3 Jahren hat ein Kuckucksvater vor dem Bundesverfassungsgericht das Recht erstritten, dass es unabhängig von einer Vaterschaftsanfechtung die rechtliche Möglichkeit geben muss, einen Vaterschaftstest durchzuführen. Dieser Vater hatte eine soziale Verbindung zu seinem Kind – und völlig zu Recht hat ihn trotzdem niemand darauf verwiesen, dass er aufgrund dieser sozialen Beziehung kein Recht dazu hat zu überprüfen, ob er der genetische Vater des Kindes ist.

Wenn einem das Wissen über den genetischen Vater oder die Mutter fehlt, ist an dieser Stelle nur ein weißer Fleck, man fühlt sich zu einem Teil wurzellos. Sicherlich können wir auch trotzdem ein mehr oder weniger glückliches Leben führen. Trotzdem sollte eine Gesellschaft darauf achten, dass sie Menschen nicht unnötig Schmerzen zufügt.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht so einfach ist, sich dieser Mechanismen bewusst zu werden. Ich wusste einen Großteil meines Lebens nicht, dass ich durch eine Samenspende gezeugt wurde. In Artikeln über Adoptierte habe ich erstmals davon gehört, wie wichtig es für viele von Ihnen ist zu wissen, wer die leiblichen Eltern sind. Ich konnte das damals auch nicht nachvollziehen und habe mich gefragt, ob es nicht reicht, wenn man liebevolle Adoptiveltern hat. Im Nachhinein ironisch…  Aber als ich diesen Wunsch Adoptierter öfter hörte, habe ich akzeptiert, dass dies wohl eine Tatsache ist. Gleichzeitig habe ich mich gefragt, ob ich eigentlich das Recht habe, die Wünsche von Menschen zu beurteilen, in deren Situation ich mich nicht befinde, weil ich weiß, wer meine leiblichen Eltern sind. Auch fand ich schon damals, dass man die Verantwortung für ein Kind nicht vollkommen los wird, weil man es abgibt, und dass ein paar Informationen wie der Name und Beruf nicht viel verlangt sind. Diese Empathie würde ich mir von mehr Menschen wünschen.