Archiv der Kategorie: Persönliche Eindrücke

Persönliche Wertungen von Mitgliedern des Vereins Spenderkinder zu verschiedenen Themen

ZDF-Doku „Der blinde Fleck in meinem Leben“ am Dienstag, den 13. Juli 2021

Am Dienstag, den 13. Juli, wurde um 22.15 Uhr in der ZDF-Sendereihe 37 Grad die Dokumentation Der blinde Fleck in meinem Leben. Die Ungewissheit einer Samenspende von Julia Kaulbars gezeigt. Darin berichtet auf der einen Seite der ehemalige „Samenspender“ Peter wie er sich für seine genetischen Kinder findbar macht und auf der anderen Seite Spenderkind Astrid von ihrer erfolgreichen Suche nach ihrem genetischen Vater. Die Sendung ist weiterhin über den Link abrufbar.

Peter gab von Mitte der 80er bis Anfang der 90er Jahre in der Samenbank in Essen Samen ab. Er erfährt, dass viele Spenderkinder auf der Suche nach ihren genetischen Vätern sind und entschließt sich daraufhin, sich in DNA-Datenbanken zu registrieren, damit er gefunden werden kann.

Astrid erfährt im Alter von 40 Jahren von ihrer Entstehungsweise, nachdem sie ihr Leben lang das Gefühl hatte, dass etwas in ihrer Familie nicht stimmt. Daraufhin macht sie sich auf die Suche nach ihrem genetischen Vater.

Wir Spenderkinder wünschen uns sehr, dass weitere „Samenspender“ Peters Beispiel folgen, zu ihren genetischen Kindern stehen und sich am besten in einer DNA-Datenbank registrieren. So können suchende Kinder sie direkt finden. Alternativ freuen wir uns auch, wenn sich ehemalige „Samenspender“ direkt bei unserem Verein melden und zum Beispiel ein Suchprofil auf unsere Homepage setzen.

Rechtliche Ergänzung zur Doku: Auch vor 2018 gezeugte Menschen haben ein Recht darauf, zu erfahren, wer ihre leiblichen Eltern sind. Darauf wies bereits 1970 der Justiziar der Bundesärztekammer im Zusammenhang zur Samenvermittlung hin. Bis 2018 gezeugte Spenderkinder sind dazu jedoch auf die Auskunftsbereitschaft der Ärzte angewiesen, die den Samen vermittelten. Deswegen ist es so wichtig, dass es seit 2018 ein zentrales Register gibt, bei dem Spenderkinder unabhängig von einzelnen Ärzten Auskunft erhalten können.

Am Vortag gab es in Verbindung mit einer Vorschau zur Doku ein Interview mit Spenderkindervorstandsmitglied Anne zu psychologischen Aspekten bei Samenvermittlung im ZDF-Servicemagazin Volle Kanne.

Filmrezension: MENSCHENSKIND! von Marina Belobrovaja

Nelly hat viele Geschwister aber keinen Vater. Das ist der Anfang der Beschreibung von „Menschenskind!“, einer Dokumentation der Befruchtung der Singlemutter und Filmemacherin Marina Belobrovaja. Weil sie viele Jahre keinen festen Partner, aber einen Kinderwunsch hatte, entschied sie sich zu einer privaten Samenspende, um ihre Tochter Nelly zu bekommen. Nachdem sie zwei Monate online Männer angeschrieben hat, findet sie den zukünftigen Vater, trifft ihn zum Sex und wird daraufhin schwanger. Das heißt, die Beschreibung des Films stimmt nicht ganz, Nelly hat natürlich einen Vater, aber eben keinen, der bereit ist, die Verantwortung für sie zu übernehmen.

Als Nelly heranwächst, konfrontiert sich Belobrovaja mit ihrer Entscheidung und trifft andere Spenderkinder, um zu verstehen, was ihre Entscheidung für ihr Kind bedeuten und wie sie am besten damit umgehen kann. Die Regisseurin versucht einen multiperspektivischen Blick auf das Thema einzunehmen: sie befragt den Vater ihres Kindes, warum er Kinder zeugt (er bleibt im Film anonym), andere Spenderkinder und mehrere Eltern, die auf nicht normative Arten eine Familie gegründet haben. Es geht also nicht nur um Singlemütter, sondern auch generell um Familie. Was ist Familie, was kann Familie sein? Belobrovaja ist in der ehemaligen Sowjetunion groß geworden, ihre Eltern und ihre Oma leben in Israel. Immer wieder sehen wir sie über Facetime mit Nelly reden und ihre Tochter und Enkelin bei ihrer Mutterschaft begleiten. Diese Szenen gehören zu den besten Momenten des Films, weil sie sehr authentisch zeigen, wie diese Familie funktioniert. Der stille Papa, die aufbrausenden Gespräche zwischen der Singlemutter in der Schweiz und der pragmatischen Mutter, die mit Putzhandschuhen aus Israel ihrer Tochter Ratschläge gibt. Im Gegensatz zu Deutschland gebe es in Israel kein Nachdenken über die ethischen Konsequenzen eines Kindes ohne sozialen Vater, vermutet Belobrovaja.

Weil ihr in ihrer Wahlheimat, der Schweiz, Kritik entgegenschlägt, versucht sie zu verstehen, woher die Kritik rührt, und ob sie bei ihrer Entscheidung ethische Fragen übersehen und mögliche psychische Folgen für ihre Tochter nicht bedacht hat. Für sie ist es natürlich zu spät, sie hat ihre Entscheidung schon getroffen. Aber für andere Wunscheltern kann der Film ein Teil der Entscheidungsgrundlage sein – und zwar bevor das Kind geboren wurde.

In „Menschenskind!“ sehen wir Nelly heranwachsen, aber auch am Ende ist sie noch zu jung, um für sich selbst sprechen zu können. Wird sie ihre Mutter irgendwann damit konfrontieren, dass sie ohne Vater aufwachsen muss? Wird sie Kontakt zu ihrem Vater aufbauen wollen? Wird dieser bereit sein, sie zu treffen? Oder wird sie das Gefühl haben, dass ihre Mutter die eigenen Wünsche, über ihr Wohl gestellt hat? „Es gibt kein Recht auf ein eigenes Kind“, betont das Spenderkind Anne Meier-Credner im Film. Belobrovaja fragt nach, ob ihre Eltern etwas hätten anders machen können? „Das kann man nicht richtig machen“, betont Meier-Credner. Man suche gezielt Männer, die kein emotionales Interesse an dem entstehenden Kind haben. Das wird für das entstehende Kind immer Verletzungspotenzial haben. Sicherlich schmerzhafte Momente für Belobrovaja. Umso mutiger, dass sie diesen Schmerz öffentlich macht. Als ein anderes Spenderkind erfährt, dass Belobrovaja sich für den Samen eines Mannes entschieden hat, der um die 60 Kinder gezeugt hat, äußert auch er Kritik an ihrer Entscheidung. Fühle sich das Kind nicht am Ende beliebig? Wahllos? Wie eine Nummer? Die Regisseurin konfrontiert sich zwar mit der Kritik an der Entscheidung, aber als Zuschauerin gewinnt man nicht den Eindruck, dass sie daraus für ihren Film die richtigen Schlüsse zieht: Sonst wären die privaten Szenen mit Nelly nicht im Film gewesen. Belobrovaja hat jedes Recht ihre Mutterschaft in einem Film zu thematisieren, aber nicht, Nellys Kindheit abzubilden. Gegen Ende der Dokumentation sieht man Nelly still auf der Straße liegend, noch zu klein, um sich zu alldem zu verhalten. Richtig wäre es gewesen ihr Bild und ihren Namen zu schützen. „Menschenskind!“ ist ein meinungsoffener, wichtiger und mutiger Film. Er stellt unerschrocken und ehrlich die richtigen Fragen.  

Autorin: Lena

Welt am Sonntag „Suche nach dem Vater“ am 21. Februar 2021

In der Welt am Sonntag vom 21. Februar 2021 erzählt der Artikel „Suche nach dem Vater“ von Wolfgang Büscher die Geschichte der Halbgeschwister Alexander, Stefano, Nina und Anne (mir). Wir haben uns über DNA-Datenbanken gefunden und sind nun gemeinsam auf der Suche nach unserem genetischen Vater. Der Artikel ist auch als Online-Version verfügbar, unter dem Titel Anonyme Samenspender – „Du bist eben der Sohn deiner Mutter“ allerdings nur mit Welt-Abo (kostenloser Probemonat möglich).

Anders als es in der Zusammenfassung der Printausgabe steht, ist das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung altbekannt und waren Anonymitätsversprechen immer ungültig.

Im Artikel wird beschrieben, dass Stefanos Eltern zunächst ein Spanier als „Spender“ zugesagt worden war. Stefanos DNA-Test zeigte jedoch, dass er keine spanischen Wurzeln hat. Wer ist dann unser genetischer Vater? Wir freuen uns sehr über alle Hinweise. Und natürlich freuen wir uns auch über weitere Halbgeschwister! Auch Menschen, die selbst keine Spenderkinder sind, uns aber bei der Suche helfen möchten, können das tun, indem sie sich selbst in DNA-Datenbanken registrieren lassen. Je mehr Menschen sich registrieren lassen, desto einfacher können Verbindungen aufgespürt werden.

Interview mit Spenderkinder-Mitglied Kerstin im Online-Magazin „im gegenteil“ am 23. Februar 2021

Im Interview Ich bin ein (Samen-) Spenderkind: Wie es sich anfühlt, den genetischen Vater nicht zu kennen erzählt Spenderkinder-Mitglied Kerstin wie sie mit 34 Jahren davon erfahren hat, ein Spenderkind zu sein. Im Gespräch mit Jenny Beck, Redakteurin des Online-Magazins „im gegenteil“, sagt sie, wie wichtig eine ehrliche Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist. Obwohl sie erst als Erwachsene von ihrer Entstehungsweise erfahren hat, erlebte sie die Aufklärung als positiv und große Erleichterung.

Kerstins Botschaft an Eltern lautet: Klärt eure Kinder auf, am besten früh – aber besser spät als nie!

NDR-Podcast: Spenderkinder auf der Suche nach ihrer Identität

Im ersten Teil des zweiteiligen NDR-Podcasts „Spenderkinder auf der Suche nach ihrer Identität“ geht es darum, wie wichtig es ist, dass Spenderkinder frühzeitig von ihrer Entstehungsweise erfahren. Die Spenderkinder-Mitglieder Martina und Sandra berichten, wie sie es erlebten, nicht aufgeklärt zu sein und wie es ihnen nach der Aufklärung ging. Sandra hat ihren leiblichen Vater nach aufwendiger Recherche ausfindig gemacht. Anders als im Podcast dargestellt, sucht Martina weiterhin und hat dazu auch den Rechtsweg eingeschlagen.

Im zweiten Teil – u.a. mit Spenderkinder-Mitglied Britta, Dietrich (Brittas leiblichem Vater) und Constanze (dessen Frau) geht es um die Zeit nach der Aufklärung. Britta, Dietrich und Constanze schildern sehr anschaulich und differenziert welche Herausforderungen sie bei der Integration erlebt haben. Der zweite Teil endet mit der Vermutung, dass frühe Aufklärung dazu führen könnte, dass der genetische Vater dem Kind gar nicht so wichtig ist. Das zeigen unsere Erfahrungen und auch die Studienlage nicht.

Eine Studie aus dem Jahr 2011 weist aus, dass sich Kinder heterosexueller Eltern später auf die Suche machen, als Kinder homosexueller Eltern. 35% der Kinder heterosexueller Eltern und 72% der Kinder lesbischer Mütter gaben im Alter von 11 Jahren erstmals Interesse an ihrem leiblichen Vater an. Im Alter von 18 Jahren waren dies 65% der Kinder heterosexueller Paare und 95% der Kinder lesbischer Mütter.1 Das entspricht unserer Beobachtung, dass (früh-)aufgeklärte Spenderkinder häufig eine ausgeprägte Schonhaltung gegenüber ihren Eltern haben, weil sie diese nicht verunsichern oder verletzen möchten. In der internationalen Spenderkinderumfrage von 2020 gab etwa ein Drittel der Spenderkinder an, dass ihre Eltern ihre wahren Gefühle hinsichtlich ihrer Entstehungsweise nicht kennen.

  1. Beeson D, Jennings P, Kramer W (2011) Offspring searching for their sperm donors: how family type shapes the process. Human Reproduction 9 (26), S. 2415–2424, S. 2420. []

Das Gefühl, in der falschen Familie zu leben – ein Beitrag im Deutschlandfunk am 23. Dezember 2020

Die Spenderkinder-Mitglieder Sandra und Martina erzählen im Beitrag „Das Gefühl, in der falschen Familie zu leben“ im Deutschlandfunk, dass sie schon früh das Gefühl hatten, dass sie nicht ganz in ihre Familien hineinpassten. Die Fantasien reichten von der Idee, adoptiert, im Krankenhaus vertauscht worden oder womöglich durch eine Vergewaltigung entstanden zu sein. Obwohl sie ihre Eltern darauf ansprachen, erfuhren sie erst als Erwachsene von ihrer Entstehung durch ärztliche Samenvermittlung.

Julia Inthorn vom Evangelischen Zentrum für Gesundheitsethik weist darauf hin, dass Eltern ihre Kinder unbedingt über ihre Herkunft aufklären sollten, weil Ehrlichkeit von Kindern ganz hoch gewichtet werde. Dazu sei ergänzt, dass der Wunsch nach Ehrlichkeit keine Eigenart von Kindern ist, sondern auch die meisten Eltern erwarten, dass ihre Kinder ihnen gegenüber ehrlich sind. Ehrlichkeit ist die Grundlage einer gegenseitig vertrauensvollen Beziehung.

Der Humangenetiker Wolfram Henn spricht als Aufklärungshürde an, dass Unfruchtbarkeit von vielen Menschen als Makel wahrgenommen wird. Er befürchtet, dass die Aufdeckung eines Familiengeheimnisses über eine Samenspende Familien in schwere Krisen stürzen und insbesondere beim sozialen Vater Schaden anrichten könne. Daher müsse man dies gut abwägen. Aus Sicht des Vereins Spenderkinder wird damit eine ehrliche Beziehung zwischen Eltern und Kind vom Wohlergehen des sozialen Vaters abhängig gemacht.

Diese Haltung bestürzt uns besonders, da ein Mitglied des Deutschen Ethikrates sie einnimmt. Wird hier ernsthaft erwogen, das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung zu missachten, um dem sozialen Vater eine Beziehung zum Kind zu sichern? Eine Beziehung, die offenbar nur funktioniert, wenn das Vertrauen des Kindes missbraucht wird?

Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist ein Persönlichkeitsrecht. Zum Leidwesen vieler Spenderkinder, die mühevoll nach ihren leiblichen Vätern suchen, wurde es in der Vergangenheit oft missachtet. Seit Inkrafttreten des Samenspenderregistergesetzes im Juli 2018 müssen die Wunschmutter und der leibliche Vater vor der Vermittlung des Samens über das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung aufgeklärt werden. Auch psychosozial ist es Konsens, dass Spenderkinder, wie adoptierte Menschen, im Wissen um ihre Herkunft aufwachsen sollten. Detaillierter beschäftigen wir uns in unserem Text zu Aufklärung mit den einzelnen Gründen.

Britta und Dietrich vermitteln einen Eindruck davon, wie es nach der Kontaktaufnahme zwischen einem Spenderkind und dem leiblichen Vater weitergehen kann – kein simples Happy End, sondern eine neue Herausforderung, für alle Beteiligten.

Artikel über Julias erfolgreiche Suche und die komplizierte Rechtslage, im Campusmagazin KURT der TU Dortmund im Dezember 2020

Das Campusmagazin KURT der TU Dortmund berichtet in seiner Dezemberausgabe über Julias erfolgreiche Suche nach ihrem leiblichen Vater und darüber, wie es danach weiterging (ab S. 6). Gleich im Anschluss folgt ein Interview mit Anne zur aktuellen Rechtslage für Spenderkinder (S. 10).

Rezension – „Ich bin ein Kinderwunsch-Wunschkind“ein Buch aus der Perspektive und für die Bedürfnisse von Eltern

Im November 2020 erschien das Kinderbuch „Ich bin ein Kinderwunsch-Wunschkind“, gedacht als Erzähl- und Erklärbuch für Kinder, von Ruthild Schulze. Das Buch soll Eltern dabei unterstützen, ihre Kinder über ihre Entstehung durch In-vitro-Fertilisation (IVF) aufzuklären. In Form eines Kinderbuchs wird die IVF, in eine Geschichte eingebettet, kindgerecht erklärt. Weitere Begriffe um Zeugung, Schwangerschaft und Geburt werden für Kinder in einem Glossar beschrieben. Viele Bilder veranschaulichen die Situationen und Vorgänge.

Die Geschichte

Hauptfigur ist der 8jährige Jann. Er erzählt, wie er davon erfuhr, durch eine IVF entstanden zu sein und was das für ihn bedeutet. Seine jüngere Schwester wurde spontan auf natürlichem Weg gezeugt. Eine Hebamme erklärte in Janns Schulklasse anschaulich ihre Arbeit. Natürlich weiß Jann längst wie Kinder entstehen und greift den sexuellen Akt im Buch nur kurz auf.

Dann erzählt Jann, wie er erfahren hat, dass er durch eine IVF entstanden ist. Nachdem er seiner Mutter von dem Hebammenbesuch in der Schule erzählt hatte, spürte er, dass sie ihm etwas erzählen möchte. „Es platzte so aus ihr heraus.“ Damit ist offensichtlich ein Gefühl gemeint, denn die Mutter sagt zu dem Zeitpunkt noch nicht, worum es eigentlich geht. Sie stellt Fragen zum Unterrichtsthema und Jann war „irgendwie komisch, als ob ich was spürte, aber nicht weiß, was es ist, und ich sah, dass Mama ganz zittrig ist. Aufgeregt irgendwie.“ (S. 22). Die Mutter rief Janns Vater dazu, und auch Janns kleine Schwester ist bei der Aufklärung dabei.

Zuerst beschreibt die Mutter wie sie sehr lange darauf wartete, schwanger zu werden und dass dann viele Arztbesuche folgten, bis die Eltern schließlich eine „Spezialpraxis“ (S. 22) aufsuchten (Kinderwunschzentrum). Nach dieser ersten Etappe vergewissert sich die Mutter bei Jann, ob er es auch wirklich wissen möchte, wobei Jann zu dem Zeitpunkt noch gar nicht weiß, worauf seine Mutter hinaus möchte. Er nimmt wahr, dass seine Mutter „rote Flecken an den Wangen und am Hals und feuchte Augen“ hatte und oft den Vater ansah (S. 22). Das lässt auch Jan nicht kalt „Ich hatte auch ganz viele Gefühle auf einmal.“ (S. 22). Die Familie im Buch sucht sich erstmal einen bequemen Platz. Jann holt eilig seinen Teddy und ein Tuch seiner Mutter hinzu.

Es folgt die Beschreibung der Intrauterinen Insemination (IUI) und der IVF. Das schlechte Gewissen insbesondere der Mutter ist spürbar: „- aber du solltest doch eigentlich mit ganz viel Gekuschel und Küssen entstehen. Nicht da in der Arztpraxis.“ (S. 24). Jann überzeugen die Worte der Mutter „sie wollten und konnten nicht noch länger auf mich warten und [die Mutter sagte] dass ich nicht nur meinen Papa und meine Mama, sondern auch noch eine Krankenschwester und einen Arzt als Anfangsbegleiter hatte. Superviele extratolle Helfer, damit ich in ihren Bauch kommen konnte“ (S. 24). Es wirkt auf mich, als wolle die Mutter mit diesen Idealisierungen die zuvor noch als wenig wünschenswert dargestellte Entstehungsweise ihres Kindes ausgleichen. Und Jann führt idealisierend fort: „Weil meine Eltern ja bei mir Hilfe bekommen hatten und ich dann so ganz normal gewachsen und geboren bin, deshalb habe ich ihnen wohl gezeigt, dass es auch so klappen kann mit den Kindern! Das war wohl so, als ob sie Vertrauen gekriegt hätten. Und meine Schwester hatte es leichter. Durch mich!“ (S. 24).

Anschließend erklärt Jann die IVF. Interessanterweise wird sehr gründlich beschrieben, wie sichergestellt wurde, dass keine Keimzellen vertauscht wurden. So kann Jann ganz sicher sein, aus den Keimzellen seiner rechtlichen Eltern entstanden zu sein. Dies war Janns Eltern bei ihrer Erklärung ihm gegenüber offenbar sehr wichtig. Umgekehrt wird von Spenderkindern jedoch regelmäßig erwartet, dass sie zweifellos diejenigen Menschen als ihre Eltern annehmen, die ihnen Eltern sein möchten. Schließlich fühlt sich Jann als etwas ganz Besonderes, seine Mutter ist sehr dankbar, die kleine Schwester nachdenklich, der Vater organisiert Beerensaft und schicke Gläser zum Anstoßen und die Eltern schauen sich verliebt an.

Glossar

Im Glossar werden weitere Begriffe erklärt. Unter dem Begriff „Kinderwunsch-Behandlung“ wird die private Samenvermittlung beschrieben, wobei nicht unterschieden wird, ob der Mann nur seinen Samen zur Verfügung stellt oder Co-Parenting angestrebt wird. In diesem Zusammenhang wird auch kurz die ärztliche Samenvermittlung an alleinstehende Frauen erwähnt: „Wenn kein Freund seinen Samen zur Verfügung stellt, kann ein Arzt auch Samen in einer ‚Samenbank‘ bestellen“ (S. 55). Wie der dorthin kommt und welche Rolle die leiblichen Väter in diesem Zusammenhang spielen, bleibt unklar. Lesbische Paare werden gar nicht erwähnt.

Kritische Würdigung des Buches

Der Verein Spenderkinder begrüßt es sehr, Kinder über ihre Entstehungsweise aufzuklären. Bei Kindern, die durch eine IVF aus den Keimzellen ihrer rechtlichen Eltern entstehen, besteht nicht die Herausforderung wie bei Spenderkindern, einen weiteren Menschen als leiblichen Elternteil des Kindes zu integrieren. Dennoch sollten auch diese Kinder über ihre Entstehungsweise aufgeklärt werden, da z.B. noch unerforscht ist, welche möglichen langfristigen gesundheitlichen Risiken für das Kind mit einer IVF verbunden sind. Die Erfahrung zeigt, dass es viele Eltern als schwierig erleben, ihre Kinder über ihre IVF aufzuklären. Ich hoffe, dass dieses Buch sie dazu ermutigt!

Aus Kinderperspektive irritiert mich Janns Geschichte. Jann, das Kinderwunsch-Wunschkind, erfüllt seinen Eltern nicht nur ihren Kinderwunsch, er kümmert sich auch darüber hinaus um die Bedürfnisse seiner Eltern bzw. seiner Mutter: Er ist verständig, einfühlsam und besänftigt ihr schlechtes Gewissen, indem er seiner Entstehungsweise ganz viel Positives abgewinnt.

Die Aufklärungssituation ist vielen Spenderkindern sehr vertraut: Die Eltern, im Buch nur die Mutter, sind angespannt, nervös. Jann reagiert – wie jedes gute Wunschkind – mit ganz viel Empathie. Ich frage mich, wessen Bedürfnisse an dieser Stelle im Vordergrund stehen. Ist es Aufgabe des Kindes, durch seine stützenden Reaktionen den Eltern die Aufklärung zu erleichtern? Dem Kind im Buch wird die belastende Situation seiner Eltern geschildert. Es spürt, wie aufwühlend es für die Eltern ist, sich erneut mit der Geschichte zu konfrontieren: die zittrige Mama, die sich den Papa zur Unterstützung holt, den sicheren Platz, den erstmal alle brauchen, die zehrende Zeit des Wartens und Hoffens für die Eltern, dann das schlechte Gewissen, dass das Kind nicht so romantisch wie gewünscht entstand. Aufgelöst wird die Spannung durch die kompensatorische Idealisierung. Was haben die Eltern für ein Glück mit Jann, der die Geschichte gleich zur eigenen Ermächtigung nutzt, der dafür gesorgt hat, dass seine Schwester nicht in der Glasschale entstehen musste und seinen Eltern das Vertrauen in ihre Körper zurückgab. Jann versteht zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass seine Eltern sich EIN Kind wünschten – nicht ihn als Person.

Aus meiner Sicht sollten Eltern selbst entspannt zu der gewählten Entstehungsweise ihres Kindes stehen, so dass sie souverän mit ihrem Kind darüber sprechen können. Dazu kann es helfen, vor der Aufklärung des Kindes mit dem Partner/der Partnerin, anderen Menschen und selbst innerlich immer wieder über die Entstehungsweise zu sprechen, um passende Worte zu finden und die eigenen Gefühle zu sortieren. Erleben Eltern die Entstehungsweise ihres Kindes als rechtfertigungsbedürftig oder minderwertig, kann sich diese Einstellung auf das Kind übertragen, so wie bei Jann. In der Aufklärungssituation sollten sich die Eltern ganz auf die Bedürfnisse des Kindes konzentrieren können. Idealerweise erfolgt die Aufklärung nebenbei, mit den Informationen, die ein Kind zum aktuellen Zeitpunkt aufnehmen kann. Ein kleineres Kind weiß vielleicht, dass bei seiner Entstehung eine Ärztin mitgeholfen hat. Später fragt es nach, was denn die Ärztin gemacht hat. Vielleicht fragt es auch sofort. Dann sollte die Mutter oder der Vater die Fragen einfach beantworten. Den anderen Elternteil hinzuzuholen, mag dem Bedürfnis der Eltern entsprechen, die Aufklärung als besonderes Ereignis zu zelebrieren. Sie nimmt dem Thema dadurch aber die Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit und orientiert sich an den Bedürfnissen der Eltern. Das Kind sollte seine eigenen Gefühle zu seiner Entstehungsweise wahrnehmen können und nicht die unausgesprochene Bitte seiner Eltern spüren, auf eine bestimmte Art reagieren zu müssen.

Fazit

„Wunscheltern – Elternwunsch“ – ein Buch aus der Perspektive und für die Bedürfnisse von Eltern. Auf mich wirkt es so, als sei die Geschichte aus dem Erleben und zur Entlastung der Eltern geschrieben. Aus Kinderperspektive wären – auch als Modell für unsichere Eltern – solche Eltern hilfreich, die sich in der Aufklärungssituation um die Bedürfnisse ihres Kindes kümmern können und nicht umgekehrt.

Die Suche nach der Herkunft in Jim Knopf und die Wilde 13

Jim Knopf war als Kind eins meiner Lieblingsbücher. Noch bevor ich selbst lesen konnte, hat meine Mutter es mir vorgelesen und manche Kapitel wollte ich immer wieder lesen. Dass Jim, der als Findelkind in einem Paket bei Frau Waas in Lummerland landet, trotz der liebevollen Frau Waas wissen möchte, wer seine Geburtseltern sind, habe ich nie hinterfragt. Meine Mutter übrigens auch nie. Das Buch ist 1960 erschienen und vermutlich noch nicht vom Zeitgeist der 68er zu dieser Frage geprägt, dass nur soziale Bindungen zählen.

Vielleicht hat mich der frühe Kontakt zu dieserAdoptions-Geschichte auch geprägt für meine eigene Einstellung, als ich von meiner Zeugung durch Samenspende erfahren habe. Vorletztes Wochenende habe ich mit meiner Tochter Jim Knopf und die Wilde 13 im Kino gesehen. Sowohl diesen Film wie auch den 1. Film finde ich sehr gelungen. Besonders hat mich gefreut, dass dem Thema Abstammung auch im Film so viel Bedeutung zugemessen wird. Sowohl Jims Wunsch, seine Herkunft zu erfahren, als auch der sehr emotionale Moment, in dem er im Hauptquartier der Wilden 13 im Auge des Sturms einen Brief seiner Eltern mit ihren Namen und Bildern findet. Es ist wichtig, einen realen Menschen als Elternteil vor Augen zu haben – das haben Adoptierte, Spenderkinder und Kuckuckskinder gemeinsam. Ich weiß nicht, ob nur mir als Betroffener das Thema so auffiel, aber ich hoffe dass er bei der Sensibilisierung für die Bedeutung der Abstammung hilft.

Rezension – „Bis ich ihn finde“ (Jugendroman)

„Bis ich ihn finde“ heißt ein im April 2020 erschienener Jugendroman von Christine Fehér, der sich mit dem vermutlich wichtigsten Thema von uns Spenderkindern auseinandersetzt: der Suche nach dem eigenen Vater.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die sechzehnjährige Ich-Erzählerin Elena Rehwald aus Berlin-Schöneberg. Sie wächst in einer Regenbogenfamilie mit zwei Müttern auf – bzw. ihrer Mutter Conny und ihrer „Co-Mutter“ Manuela, wie Elena es nennt. Während ihre Mutter ihr die Haare geflochten und ihr das Backen beigebracht hat, ist Elena mit ihrer Co-Mutter Motorrad gefahren und hat von ihr Zaubertricks und handwerkliche Fertigkeiten gelernt. Dem Leser wird sie als fröhliches und selbstbewusstes Mädchen vorgestellt mit einer Begeisterung für Handarbeiten und mit Interesse an fremden Ländern. Kurz und gut: sie führt offenbar ein glückliches Leben. Wenn da nicht diese eine Sache wäre: sie hat keine Ahnung, wer ihr Vater ist, denn Elena ist durch eine anonyme Samenspende in Dänemark entstanden.

An Elenas 16. Geburtstag geben sich ihre zwei Mütter offiziell das Ja-Wort, was natürlich groß gefeiert wird. Ausgerechnet auf diesem für alle Nachbarn offenen Hoffest begegnet Elena einem Jungen, der mit seinen intoleranten Sprüchen und seiner wilden, machohaften Art letztlich zum Auslöser für die Vatersuche wird. Noch in der Nacht grübelt sie über ihre Situation nach und hat das Gefühl, sich „erst als vollständig, als ganze Person empfinden [zu können], wenn [sie] weiß, wer er ist.“ Elena spürt: „Jetzt hat es angefangen. Ich bin auf der Suche nach meinem Vater. Und ich werde nicht aufgeben, bis ich ihn gefunden habe.“

Mit der nun beginnenden Suche stößt Elena bei ihren Müttern nicht gerade auf große Begeisterung, vor allem für ihre Co-Mutter ist die Situation nicht einfach und das plötzliche Interesse kaum nachvollziehbar. Verknüpft ist diese Suche mit einer sich anbahnenden „Liebesgeschichte“ zu Rouven – eben jenem Jungen, der sie überhaupt zur Suche motiviert hat. Während er aber eher eine ablehnende Haltung zeigt, wird Elena von Anfang an von ihrer besten Freundin Fabienne unterstützt.

Das Buch zeigt auf, was viele Spenderkinder gut kennen: Die Suche nach dem genetischen Vater nimmt mehr und mehr Raum in Elenas Leben ein. Immer wieder fühlt sie sich daran erinnert, die Konzentration auf anderes, wie z.B. schulische Aufgaben, fällt zunehmend schwerer. Sie geht schließlich auch den vielen Spenderkindern bekannten Weg über einen Gentest und ihr wird bewusst, dass ihre Suche sie auch zu Geschwistern führen könnte.

Ob es Elena letzten Endes gelingt, ihren Vater zu finden, möchte ich hier nicht verraten – das kann jeder selbst nachlesen. Aber sie entdeckt für sich, dass sie trotz der Suche nach ihrem Vater aufgrund der Vielzahl an Beziehungen in ihrem Leben eigentlich „reicher [ist], als [sie] es je zu träumen gewagt hätte“. Und ihren Müttern gegenüber findet Elena zu einer Erkenntnis, die vielleicht nicht allen Spenderkindern vertraut ist: „Ihr beide seid es, die mich für mein ganzes Leben geprägt haben. Ihr seid mein Zuhause und werdet es immer sein.“

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Als potentieller Leser von „Bis ich ihn finde“ muss man sich zunächst zwei Dinge vergegenwärtigen: Es handelt sich zum einen um ein Buch, welches das Thema „Spenderkinder“ für Jugendliche veranschaulicht und zum anderen wurde es in Romanform geschrieben. Es ist kein Sachbuch für erwachsene Spenderkinder! Das hat natürlich Auswirkungen auf die Darstellung des Themas, in der sich vermutlich nicht jeder von uns wiederfinden kann.

Für meinen Geschmack und für die Realität viel zu schnell, aber dennoch immer nachvollziehbar, zeigt die Autorin auf, wie sich Elenas Leben, ihre Beziehungen und sie selbst seit der beginnenden Suche an ihrem 16. Geburtstag grundlegend verändern. Aber dabei bleibt es nicht, denn die Suche hat natürlich auch Einfluss auf Elenas eigene Familie: So wird ihren Müttern bewusst, dass der bislang unbekannte genetische Vater nicht mehr ausgeblendet werden kann.

Es sind uns Spenderkindern sehr vertraute Fragen, welche die Autorin ihre Protagonistin am Anfang und auch während ihrer Suche stellen lässt: Wie wäre es gewesen, mit dem eigenen Vater aufzuwachsen? Wie sieht er aus? Wie lebt er? Was habe ich von ihm „geerbt“?

Hinzu kommen Fragen, die die besondere Situation als Kind einer Regenbogenfamilie widerspiegeln: Hätte sich Elenas Charakter mit einem Mann im Haushalt anders entwickelt? Hätte sie andere Hobbys, Meinungen und Verhaltensweisen?

Geschickt wird dem Leser im Verlauf des Buches durch Zwischentexte deutlich gemacht, dass Elenas Suche eigentlich doch nicht so aus heiterem Himmel begonnen hat, wie es anfangs wirken mag. Schon als kleines Kind hat sie sich mit dem fehlenden Vater befasst, hat versucht diesen „blinden Fleck“ mit Leben zu füllen, ihre heimliche „Suche“ aber als 14-jährige schließlich eingestellt, was Elena „nicht einmal weh [tat]“.

„Bis ich ihn finde“ ist sicherlich dafür geeignet, ein unter Jugendlichen kaum bekanntes Thema einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Ob dabei allerdings so viele Verwicklungen und Nebenschauplätze notwendig sind, wie sie von der Autorin eingebracht werden, ist durchaus zu hinterfragen. So hat Christine Fehér für meinen Geschmack an manchen Stellen vielleicht etwas „dick aufgetragen“ – stellenweise wirkt das Buch wie das Skript einer vorabendlichen „Seifenoper“ im TV! – und die Situation für Elena abseits der Vatersuche komplizierter gemacht, als sie im realen Leben tatsächlich sein würde. Andererseits hat natürlich jedes Spenderkind seine eigene Geschichte und die ist manchmal unglaublich genug.

Ein paar Worte seien mir noch zu einem weiteren im Buch angesprochenen Thema erlaubt: der „Regenbogenfamilie“. Das hier von der Autorin transportierte Rollenbild ist zumindest mal als „schwierig“, besser sogar als „überholt“ einzuschätzen – obwohl Christine Fehér diese Familienkonstellation gleichzeitig als völlig normal deklariert. Leider ist sie dann aber so inkonsequent und schreibt der genetischen Mutter typisch mütterliche Eigenschaften zu, während die „Co-Mutter“ die Vaterrolle zumindest zum Teil übernimmt. Hier wäre doch etwas weniger klischeehaftes Denken angebracht gewesen!

Als Jugendroman ist „Bis ich ihn finde“ meines Erachtens gut gelungen. So einige Unterthemen des Buches lassen sich gerade aufgrund dieser Zielgruppe erklären und auch der sprachliche Stil ist entsprechend: unkompliziert, jugendlich, leicht lesbar. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, kann auch als Erwachsener mit dem Buch trotz des letztlich schwierigen existenziellen Themas ein paar schöne Stunden verbringen.

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Als kleinen Nachtrag möchte ich noch anmerken, dass sich mehrfach Rückbezüge auf unsere Homepage und auf andere Spenderkinder und ihre Geschichte finden. Natürlich sind wir im Verein und im Forum eine bunte Mischung mit ganz unterschiedlichen Meinungen und Ansichten zu diesem Thema, aber dennoch empfinde ich die Sicht des Kindes im Buch recht gut dargestellt!

Autor: Jörg