Archiv der Kategorie: Persönliche Eindrücke

Persönliche Wertungen von Mitgliedern des Vereins Spenderkinder zu verschiedenen Themen

Buchneuerscheinung: Das Regenbogenväterbuch

Das Regenbogenväterbuch ist ein Ratgeber, der sich an schwule Männer richtet, die Vater sind oder darüber nachdenken, es zu werden. Die Möglichkeiten und Herausforderungen, die damit verbunden sind, werden in dem Buch differenziert dargestellt. Dazu trägt auch bei, dass viele verschiedene Menschen an dem Werk mitgearbeitet haben und viel persönliche Erfahrung einfließt.

Besonders erfreulich ist für uns Spenderkinder, dass das Buch keine „How-to…“-Anleitung ist, sondern Männer dazu anregt, sich damit auseinanderzusetzen, wie sie ihr Vatersein jenseits einer randständigen „Samenspender“rolle aktiv gestalten möchten. Umgekehrt wird deutlich gemacht, dass es notwendig ist, auch die Mutter, die jedes Kind hat, zu integrieren.

Wir finden das Buch sehr gelungen und möchten es schwulen Männern und anderen Menschen ans Herz legen. Es ist im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich.

Wenn die Wahrheit ans Licht gekommen ist – unsere Empfehlungen an Spenderkinder, die gerade erst von ihrer Zeugungsart erfahren haben*

Oft melden sich Spenderkinder bei uns, die gerade erst von ihrer Zeugung durch Samenvermittlung erfahren haben. Manche hatten schon lange eine Ahnung, dass ihre Eltern ihnen etwas über ihre Abstammung verschweigen, andere haben es aus relativ heiterem Himmel erfahren, manche auch erst über die Anzeige von Halbgeschwistern oder ihren genetischen Vater in einer DNA-Datenbank.

Menschen sind verschieden und reagieren deswegen auch unterschiedlich auf eine solche Neuigkeit. Deswegen können wir nur ganz allgemeine Empfehlungen für diese Situation geben, die aber vielleicht trotzdem wichtig sind.

* Diese Empfehlungen gelten natürlich auch über die erste Zeit nach der Aufklärung hinaus. Manchmal ist es im weiteren Verlauf hilfreich, sich an sie zu erinnern.

1. Alle Gefühle sind berechtigt

Viele spät aufgeklärte Spenderkinder empfinden die Neuigkeit, durch Samenvermittlung entstanden zu sein, als schockierend.

Ich fühle mich wie ein Haus nach einem Erdbeben mit nur noch 3 Wänden, bei dem die halbe Badewanne raushängt und man in alle Zimmer gucken kann. Ich bin unglaublich wütend, dass man mir das nicht vorher gesagt hat, mir nicht zugetraut hat, mit der Information umzugehen und sie in mein Ich einzubauen. 

Es gibt aber auch Spenderkinder, die eher erleichtert sind, zum Beispiel weil sie schon vorher den Eindruck  hatten, dass irgendetwas nicht stimmt. 

Für mich war es damals im ersten Moment eine Erleichterung, da ich zu meinem sozialen Vater kein gutes Verhältnis hatte.

Oft hören wir auch, dass Geschwister ganz anders reagieren und sich mit der Neuigkeit entweder gar nicht beschäftigen möchten oder kein Interesse am genetischen Vater oder Halbgeschwistern äußern. Manche Spenderkinder spüren eher Wut, andere eher Verständnis für die Entscheidungen ihrer Eltern.

Wichtig ist, dass alle Gefühle berechtigt sind. Es ist okay, schockiert, beunruhigt oder wütend zu sein, und umgekehrt ist es genauso okay, wenn man all dies nicht ist. Gefühle sind einfach da, und man sollte sie erst einmal zulassen und erforschen. Es können auch ganz unterschiedliche Gefühle gleichzeitig oder kurz nacheinander auftreten. Das kann ganz schön verwirrend sein. 

Es kommt öfters vor, dass Menschen aus dem näheren Umfeld eine bestimmte Reaktion erwarten oder erhoffen. Oft sind das die Eltern, die nicht mit negativen Gefühlen wie Wut, Enttäuschung oder Trauer konfrontiert werden möchten. Es können aber auch Freunde oder Bekannte sein, die (vielleicht auch auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen) den Eindruck entstehen lassen, die Gefühle des Spenderkindes zu bewerten oder relativieren (siehe hierzu unseren Beitrag 12 Bemerkungen, die Spenderkinder nerven).

2. Gib Dir selbst Zeit

Allen frisch aufgeklärten Spenderkindern, die diese Neuigkeit als Schock empfinden, raten wir vor allem, sich selbst Zeit zu geben. Manche Spenderkinder können sich in den ersten Wochen danach kaum auf etwas anderes konzentrieren.Die Gedanken schwirren im Kreis, und wenn sie kurz abgelenkt werden, trifft es sie nachher wieder wie ein Schlag. Manche haben das Gefühl, viele ihrer Erinnerungen an ihre Kindheit neu bewerten zu müssen, was sehr herausfordernd sein kann. Oder sie müssen überlegen, wie sie in Zukunft damit umgehen werden und fühlen sich davon überfordert.

Ich habe mich am Anfang gefühlt, als hätte man mich in einer Nussschale im Meer ausgesetzt. 

Ich hatte eine schwierige Zeit, litt an Depressionen und Panikattacken. 

Die ersten Tage waren ein Albtraum für mich. Meine Identität schien für mich zuvor gefestigt, seit ich selber Mama geworden bin noch mehr. Ich habe mich vom Kindsein eigentlich seit 15 Jahren gelöst. Jetzt bin ich wieder komplett im Kind-Ich drin und es fällt mir schwer, die Stabilität zurück zu gewinnen, die ich für meine eigene Familie brauche. 

Ich habe mit 28 herausgefunden, woher ich komme und es war eine Sache, die so sehr an meinen Grundfesten gerüttelt hat, etwas, was viel zu groß war, es in den ersten Jahren zu begreifen – ich war in zwei Psychotherapie-Kliniken. Wir haben zusammen insgesamt fünf Jahre für die Verarbeitung gebraucht. 

Es kann einige Zeit dauern, bis man die Tatsache verarbeiten kann, einen unbekannten genetischen Vater zu haben und von den Eltern hierüber lange Zeit im Unklaren gelassen oder aktiv belogen worden zu sein.  Es wird nach einer Zeit aber auf jeden Fall einfacher und nach einigen Jahren wird es vermutlich einfach ein Puzzlestück Deiner Identität sein – wie groß, entscheidest Du selbst.

Mit der Zeit wurde meine Entstehung durch eine Samenspende ein normaler Teil meiner Geschichte, über den ich manchmal mehr, manchmal weniger nachgedacht habe. 

Außerdem ist es gut möglich, dass Deine Gefühle sich über die Zeit noch verändern. Manche Spenderkinder interessieren sich zum Beispiel erst für ihre Abstammung, wenn sie selbst Kinder bekommen. Andere finden das Konzept einer Samen“spende“ möglicherweise anfangs unproblematisch und lehnen es später nach intensiverer Beschäftigung mit dem Thema eher ab (oder umgekehrt).

3. Finde heraus, was Du möchtest und was Dir gut tut

Du bist für Dich selbst die wichtigste Person – daher solltest Du herausfinden, was Du selbst möchtest und was Dir gut tut.

Das kann zum einen der Umgang mit Deiner Zeugungsart sein.Viele Spenderkinder sind auch nach ihrer Aufklärung noch sehr davon beeinflusst, wie ihre Eltern sich fühlen oder wie andere Menschen aus ihrem sozialen Umkreis ihre Situation einschätzen. So sagen manche Spenderkinder im Nachhinein, dass sie sich anfangs nicht eingestehen wollten, dass sie sich für ihren genetischen Vater oder Halbgeschwister interessieren, weil sie Angst hatten, ihre Eltern zu verletzen oder zu beunruhigen. Vielleicht möchtest Du offen mit Deiner Zeugungsart umgehen und nicht mit einem Geheimnis leben.

Ich würde das Geheimnis nicht mehr so viele Jahre wahren, weil meine Eltern es von mir verlangen. Ich würde viel früher mit anderen darüber reden und mich nicht mehr von relativierenden Vergleichen von anderen verunsichern lassen. Ich würde sehr viel selbstbewusster damit umgehen.

Ich würde jedem empfehlen, der aufgrund seiner Familienangehörigen nicht darüber spricht und das Geheimnis für sich behält und selber daran zerbricht, es einfach zu tun. Egal in welcher Form, ob es öffentlich ist, Freunden davon zu erzählen oder es einfach niederzuschreiben. Einfach machen. 

Vielleicht hast Du aber auch das Gefühl, dass Du gerade keine Kraft hast, Dich mit Deiner Abstammung und Deiner Familiensituation auseinanderzusetzen – dann musst Du das auch nicht tun. Manchmal braucht man auch einfach mal eine Pause. Du musst Dich auch nicht mit Deinen Eltern auseinandersetzen, wenn Du dazu keine Kraft hast. Es gibt Spenderkinder, die den Kontakt zu ihren Eltern erst einmal abgebrochen haben, weil sie Zeit für die Verarbeitung brauchten. Anderen liegt viel daran, die Situation zusammen mit ihren Eltern zu klären.

Helfen können auch bestimmte Herangehensweisen: 

Mir hat geholfen, meine Gedanken aufzuschreiben, weil ich meine Gefühle dafür ordnen und genauer benennen und erklären musste. Und danach waren sie auf Papier gebannt (bzw. in einer Datei) und nicht mehr ganz so quälend.

Wir haben uns ein White board besorgt, das hängt jetzt an unserer Familienfotowand. Mein genetischer Vater hat einen Namen erhalten (Papa/Opa Otto) und auf dem white board tragen wir mit abwaschbarem Stift alle Eigenschaften ein, die wir an uns feststellen und von denen wir glauben, dass sie von „Otto“ stammen könnten. So ist Papa/Opa Otto sehr flexibel und ein bißchen auch unser „Eigenartenmülleimer“, aber auch das hilft mir sehr.

Wenn Du empathische Partner, Freunde, Familienangehörige hast, sprich mit ihnen darüber. Wenn Du merkst, dass Deine Gefühle nicht ernst genommen werden, lass dich dadurch nicht runterziehen oder verunsichern, sondern umgib Dich mit Menschen, die Dir gut tun. Viele Spenderkinder haben vor allem den Kontakt zu anderen Betroffenen als besonders hilfreich empfunden (siehe 4.).

Ich spreche viel mit meiner Familie und mit meinen Kindern darüber, sie haben eine wunderbar natürliche Art, damit umzugehen. 

Am meisten geholfen haben mir Interviews mit Journalisten, die ernsthaftes Interesse an meinen Gefühlen hatten, ohne sie dabei zu relativieren oder zu bewerten.

Nicht zuletzt kann auch Hilfe von außen durch eine Behandlung bei einem Psychotherapeuten helfen. Die Kosten für eine Psychotherapie (Verhaltenstherapie, tiefenpsychologische oder psychoanalytische Therapie) werden in der Regel von der Krankenkasse übernommen. Voraussetzung dafür ist, dass eine krankheitswertige Störung vorliegt, z.B. eine Anpassungsstörung und die Therapeutin/der Therapeut mit der Krankenkasse abrechnen kann. Du kannst unverbindlich eine psychotherapeutische Sprechstunde wahrnehmen, um diese Punkte abzuklären. Gerade weil es in einer Psychotherapie um ganz persönliche Themen geht, ist es wichtig, dass “die Chemie” stimmt. Du kannst bei mehreren Psychotherapeut*innen in die Sprechstunde gehen und dann spüren, wo Du Dich am besten aufgehoben fühlst. Leider ist es auch im professionellen Kontakt in Einzelfällen vorgekommen, dass Spenderkinder das Gefühl hatten, dass ihre Gefühle relativiert werden. Daher kann es sinnvoll sein, wenn der oder die Beratenden schon Adoptierte oder im Kontext von Familiengeheimnissen beraten hat.

4. Du bist nicht alleine

Manche amerikanischen Spenderkinder sagen zur Begrüßung: „Welcome to the club nobody wanted to join!“ Als Trost ist es ein ziemlich netter Club, in dem Du viel Unterstützung finden kannst. Du bist nicht alleine mit Deiner Zeugungsart. Egal ob es rechtliche Probleme sind, Fragen bei der Recherche in DNA-Datenbanken oder solche zum Umgang mit den Eltern – vermutlich wird Dir jemand helfen können oder zumindest interessante Anregungen oder eine andere Perspektive geben können.

Heute würde ich mich direkt auf die Suche begeben und bei den Spenderkindern melden. Es war wichtig zu wissen dass ich nicht alleine bin und meine Mutter nicht die einzige Mutter ist, die mit diesem Thema große Schwierigkeiten hatte. 

Was mir hilft: reden, reden, reden. Dann hilft mir der Spenderverein sehr, hier habe ich das Gefühl, dass man mein Durcheinander versteht. 

Ich würde mich immer wieder sofort beim Spenderkinderverein melden. Der Kontakt mit anderen Spenderkindern war unglaublich hilfreich. 

Mir hat natürlich der Verein generell ganz arg geholfen. Während in meinem privaten Umfeld viele mit Floskeln reagiert haben, mit denen ich nicht viel anfangen konnte, habe ich hier mit Menschen zu tun, durch die ich eine Legitimation dafür bekommen habe, mich so zu fühlen, wie ich es tue.

Deshalb ist das der bisher einzige Tipp, den ich anderen geben würde – sehr frühzeitig (von Beginn an) Kontakt zu anderen Spenderkindern zu pflegen. 

Der Kontakt zu anderen Spenderkindern hat mir sehr weitergeholfen – ich fühlte mich nicht mehr alleine. Mein erstes Treffen mit einem anderen Spenderkind werde ich nicht vergessen. Und ich finde auch nach 13 Jahren immer noch faszinierend, wie viele Gemeinsamkeiten es bei allen Unterschieden zwischen uns gibt. 

Außer unserem Verein gibt es die sehr aktive internationale Gruppe „We are donor conceived“ auf Facebook (auf Englisch).

Die Erfahrungsberichte von Spenderkindern auf unserer Internetseite und die Medienberichte über unsere Mitglieder (siehe Links) geben einen guten Überblick darüber, wie unterschiedlich Spenderkinder mit ihrer Situation umgehen. Empfehlenswert ist auch das Buch “Spenderkinder” von Wolfgang Oelsner und Gerd Lehmkuhl (Rezension) sowie das Buch “Inheritance” der US-amerikanischen Schriftstellerin Dani Shapiro, die im Alter von fast 50 Jahren durch einen DNA Test entdeckte, dass sie ein Spenderkind ist (bislang leider nur auf Englisch erschienen).

5. Du kannst die Nadel im Heuhaufen finden

Wenn Du wissen möchtest, wer Dein genetischer Vater ist oder ob Du Halbgeschwister hast, denkst Du vielleicht, dass Du vor einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen stehst. Das war bis vor wenigen Jahren tatsächlich so – inzwischen sind die Chancen aber durch die modernen DNA-Datenbanken recht gut, dass Du Halbgeschwister oder Deinen genetischen Vater finden wirst (siehe Verwandtensuche mit DNA-Datenbanken). Vielleicht nicht sofort, aber womöglich nach einiger Zeit. Außerdem ist in Deutschland inzwischen höchstrichterlich geklärt, dass Spenderkinder ein Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung haben. Inzwischen haben daher auch einige unserer Mitglieder Auskunft von dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin ihrer Eltern erhalten. Aus unserem Verein haben inzwischen mehr als 30 Spenderkinder erfahren, wer ihr genetischer Vater ist, und es haben sich 45 Halbgeschwistergruppen gefunden (Stand Juni 2020).

6. Wenn das Leben Dir Zitronen gibt, mach Limonade draus

Es kann eine große Herausforderung darstellen, ein Familiengeheimnis über die eigene Abstammung erst als Erwachsener herauszufinden. Aber Menschen können an Krisen wachsen. Auch wenn Du erst einmal eine sehr schwierige Zeit hast, kannst Du diese Erfahrung vielleicht in etwas Positives umwandeln. Das kann zum Beispiel a) die Gewissheit sein, dass Du auch solche Erschütterungen verkraftest, b) die Möglichkeit, die Beziehung zu den Eltern neu zu gestalten, c) mehr Empathie, Engagement, Kontakt zu interessanten Menschen, die Du sonst nie getroffen hättest, oder d) ein tieferes Verhältnis zu Menschen, die Dir etwas bedeuten, oder e) die Erweiterung ihrer Familie oder f) etwas ganz anderes, an das man nicht direkt denkt.

Es war nicht schön, so spät von meiner Zeugung durch eine Samenspende zu erfahren, aber ich wäre glaube ich ein ganz anderer Mensch, wenn das nicht passiert wäre. Ich habe in den letzten vierzehn Jahren viele tolle Menschen deswegen kennengelernt. Außerdem habe ich mich mit so vielen auch unangenehmen Gefühlen auseinandergesetzt, dass ich daran als Person gewachsen bin. Deswegen schätze ich alles im Nachhinein doch als etwas Gutes ein. 

Es hat mich so sehr befreit, die Wahrheit zu erfahren, das ist mit Worten nicht zu beschreiben. Es war als wenn ich in tiefes klares Wasser schaue, bis zu meinem Ursprung hin und endlich sehe ich, was da ist. Es war ein Gefühl, als dürfte ich endlich aus einem Gefängnis gehen, in dem ich mich so lange befunden hatte. Endlich die Türen auf, endlich alles richtig und stimmig, endlich frei in mein ganzes Leben zu gehen. 

Könnte ich mir einen Brief in die Vergangenheit schicken, würde ich mir gerne sagen: „Entspann Dich mal, denn alles wird gut, am Ende findest Du Dich selbst in einer Klarheit, die es mit der Lüge nie gegeben hätte“! 

Viele Spenderkinder haben sich über das Finden von Halbgeschwistern oder ihres genetischen Vaters gefreut, einige so sehr, dass es sie mit ihrer Zeugungsart versöhnt hat.

Ich hatte Glück, meinen Vater finden zu dürfen und konnte somit meine Geschichte und auch die meiner Familie heilen.

Botschaft von Britta und Dietrich ein Jahr nach ihrem Kennenlernen im Mai 2019

Ein Jahr nachdem Spenderkindermitglied Britta über eine DNA-Datenbank ihren Vater Dietrich gefunden hatte, hat Sunny beide für ihren You-Tube-Kanal Reagenzglasbaby interviewt. Die Botschaft der Beiden hat Sunny extra für unsere Homepage nochmal zusammengefasst:

Britta und Dietrich Mai 2020

Vererbung dringend gesucht – Reproduktionsmedizin wirbt mit Epigenetik

Die Reproduktionsmedizin rechtfertigt den Einsatz von Samen- und Eizellen Dritter zur Erfüllung des Kinderwunsches mit der primären Bedeutung sozialer Beziehungen vor genetischer Verwandtschaft. Logisch beeinträchtigt wurde dies seit jeher dadurch, dass zur weiteren Rechtfertigung auch darauf hingewiesen wurde, dass wenigstens einer der Elternteile mit dem Kind verwandt sein sollte. Außerdem wurde relativ großen Wert darauf gelegt, dass die genetischen Elternteile gut überprüft werden, manche Praxen äußerten gegenüber den Wunscheltern, dass sie nur Akademiker akzeptieren würden. Damit wurde (für die Wunschelternseite!) anerkannt, dass genetische Verwandtschaft Bedeutung besitzt. Nur für die Kinder sollte sie das nicht. Die fehlende genetische Verwandtschaft des nur-sozialen Elternteils bleibt aber eine Schwachstelle in der Familie, die mit einem weiteren genetischen Elternteil entsteht.1

„Liebe lässt sich vererben“

Einige Reproduktionsmediziner verweisen daher auf Epigenetik, um zu suggerieren, dass auch der nicht genetische Elternteil das Erbgut des Kindes beeinflussen könne. So hielt Frau Constanze Bleichrodt, die Geschäftsführerin der Samenbank Cryobank-München und derzeit zweite Vorsitzende des Arbeitskreises Donogene Insemination, auf der Herbsttagung des Beratungsnetzwerks Kinderwunsch Deutschland (BKiD) im letzten Jahr einen Vortrag mit dem Titel „Liebe lässt sich vererben – die epigenetische Prägung des Kindes insbesondere auch im Hinblick auf die Familiengründung mit Gametenspende„.

Den Inhalt des Vortrags von Frau Bleichrodt kenne ich nicht, der Titel orientiert sich offensichtlich an dem populärwissenschaftlichen Buch über Epigenetik „Liebe lässt sich vererben“ von Prof. Dr. Johannes Huber. Allerdings legt der Titel den – nicht zutreffenden – Schluss nahe, dass Eltern Kindern etwas von der eigenen DNA mitgeben könnten, auch wenn sie genetisch nicht verwandt sind. Einen Einblick auf den Inhalt des Vortrags geben möglicherweise zwei andere Quellen: Auf der Internetseite der Cryobank München wird in einem Eingangsgespräch auch informiert „.. über die neuesten Erkenntnisse der Epigenetik und darüber, dass Sie auch „von außen“ durch Liebe und Fürsorge Einfluss auf die Gene Ihres Kindes nehmen können.

Bei der Ablehnung der Bitte eines unserer Mitglieder nach Auskunft über den genetischen Vater verwies Herr Dr. med. Wulf Bleichrodt, Reproduktionsmediziner und Frau Bleichrodts Vater, auf die Forschungen zu Epigenetik und behauptete, das genetische Erbe von Vater und Mutter und deren Familien würde ein Kind nur zu höchsten 10 % „prägen“.2 Dabei entfielen 5 % auf die mütterliche und 5 % auf die väterliche Genetik. Mehr als 90 % würde ein Kind zu dem, was es ist, durch den Einfluss seiner innersten und nächsten Umgebung, in die es hineinwachse. Damit entschieden die Eltern, was aus ihrem Kind im Erwachsenenalter werde. Die Forschung zu Epigenetik wird also auch dazu bemüht, Spenderkindern zu sagen, dass ihre genetische Abstammung nicht wichtig sein sollte.

Was ist Epigenetik?

Epigenetik ist noch ein relativ junger Forschungszweig, der davon ausgeht, dass Umweltbedingungen, wie zum Beispiel intensiver Stress, zu vererbbaren Modifikationen an der DNA führen können, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern. 3 So soll zum Beispiel eine Hungersnot in der Generation der Großeltern noch die Gesundheit der Generation der Enkelkinder beeinflussen.4 Durch die Umwelteinflüsse wird nicht der genetische Code der DNA verändert, sondern die nur die Ableserate von bestimmten Genen. Man kann es mit einem Buch vergleichen: mit der Epigenetik wird ausgewählt, welche Seiten jemand liest oder lesen kann. Es können aber nur die Seiten aufgeschlagen werden, die sich im jeweiligen Buch befinden – es kommt also nichts Neues dazu.

Allerdings sind die Ergebnisse epigenetischer Forschung bei Säugetieren durchaus umstritten, weil die Studien oft klein sind, die Ergebnisse oft nicht in Folgestudien repliziert werden konnten und unklar ist, ob die Auswirkungen tatsächlich wie behauptet über mehrere Generationen hinweg vererbt werden können.5

Vor allem populärwissenschaftliche Bücher über Epigenetik bemühen gerne einen bisher angeblich vorherrschenden Determinismus, dass die Gene alles bestimmen. Zur Erschütterung verweisen sie auf die (natürlich bewiesenen) Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf Gesundheit und Wohlbefinden. Damit werden aber die epigenetischen Veränderungen eines Menschen gleichgesetzt mit Vererbung über mehrere Generationen hinweg.

Außerdem stützen sich die mir bekannten epigenetische Studien auf traumatische Ereignisse und nicht auf positive Ereignisse. Möglicherweise ist der Einfluss positiver Effekte daher „nur“, dass die DNA nicht negativ beeinflusst wird.

Vererbung durch soziale Einflüsse soll das Kind ein bisschen mehr zum „Eigenen“ machen

Klar und unbestritten ist: die Erfahrungen, die ein Kind mit seinen engen Bezugspersonen macht, bestimmen stark sein späteres Wesen und Selbstwertgefühl.6 Ein Mensch, dessen Grundbedürfnisse als Kind erfüllt wurden, wird auch als Erwachsener mit höherer Wahrscheinlichkeit selbstbewusst und zufrieden sein. Für diesen (natürlich absolut wichtigen!) Einfluss aber Genetik und Vererbung zu bemühen, weist darauf hin, dass vielen Wunscheltern die genetische Verbindung zum Kind wichtig ist und sie das Fehlen dieser Verbindung zu einem Elternteil als Verlust empfinden.

Mit der Behauptung, dass Erziehung sich auch genetisch auswirke, wird der Wunsch ausgedrückt, das Kind möge doch ein bisschen mehr das „eigene“ werden, nämlich auch über Einwirkung auf die (fremden) Gene, als es das tatsächlich ist. Das ist aber irreführend und wäre im Kontext von Werbung unzulässig. Nach den Berufsordnungen der Ärzte ist anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung berufswidrig.7 Diese Verschleierung des fremden Anteils im Kind ist außerdem aus psychologischer Sicht langfristig nicht hilfreich, weil sie verhindert, dass sich die Wunscheltern mit der fremden und nicht so erwünschten Herkunft des Kindes auseinandersetzen und diese Anteile in ihre Familie integrieren.

Nature or Nurture Debatte in neuem Gewand

In der Argumentation von Herrn Dr. Bleichrodt gegenüber einem unserer Mitglieder scheint außerdem die alte „Nature or Nurture“ Debatte wieder auf – die Herr Dr. Bleichrodt mit der Behauptung, dass 90 % der Anlagen auf dem Einfluss der nächsten Umgebung beruhen würden, eindrucksvoll für „Nurture“ entscheidet. Das ist natürlich ein erfreuliches Ergebnis für Wunscheltern, weil es bedeuten würde, dass der fremde genetische Elternteil nur 5 % der Anlagen des Kindes ausmache. Mit dieser Haltung liegt der Schluss nah, dass man diesen vermeintlich so unbedeutenden genetischen Elternteil des Kindes nach der Zeugung ruhig vergessen darf.

Letztlich lässt sich vielleicht auch gar nicht wissenschaftlich eindeutig aufklären, was an einem Menschen auf Vererbung und was auf sozialen und anderen Umwelteinflüssen beruht. Es erscheint unmöglich, dies bei jedem einzelnen Wesenszug oder Interesse eines Menschen objektiv zu klären. Daher kommt es entscheidend auf das Selbstverständnis jedes Einzelnen an – was ihm oder ihr in dem eigenen Leben als einflussreicher erscheint.

Auch in unserem Verein haben Mitglieder dazu unterschiedliche Meinungen: Manche haben sich immer fremd in ihrer Familie gefühlt und führen das auf ihre Abstammung von einem anderen Mann zurück. Manche haben viele Ähnlichkeiten zu ihrem genetischen Vater entdeckt, wenn sie ihn kennenlernen konnten. Es gibt aber auch Mitglieder unter uns, die sagen, dass sie sich auch ihrem sozialen Elternteil sehr nahe fühlen und vieles von ihm gelernt und übernommen haben. Solche Gefühle können nicht richtig oder falsch sein, sie sind einfach da.

Da aber jahrelang Reproduktionsmediziner das Recht von Spenderkindern auf Kenntnis ihrer Herkunft verletzt haben, weil sie entschieden haben, dass die genetische Herkunft für Spenderkinder nicht wichtig sein soll, ist es besonders bevormundend, weiterhin die Bedeutung des genetischen Elternteils zu marginalisieren, obwohl mittlerweile hinreichend bekannt sein sollte, dass niemand für einen anderen Menschen die Bedeutung der genetischen Elternteile vorgeben kann.

Eltern sollten nicht erwarten, sich in Ihren Kindern verewigen zu können

Den Vortragstitel finde ich aber auch in zwei weiteren Aspekten ziemlich ärgerlich.

Mit „Liebe lässt sich vererben“ wird quasi vorausgesetzt, dass Spenderkinder in liebevollen Familien aufwachsen. Dahinter steht die altbekannte Erwartung: Du bist ein Wunschkind – dann hast Du es doch besonders gut. Ein Satz, der viele Spenderkinder regelmäßig nervt. Viele Eltern lieben ihr Kind und sind trotzdem nicht fähig, gute Jeden-Tag-Eltern zu sein. Und manchmal merken die nur-sozialen Elternteile leider auch, dass es ihnen schwerer fällt als geplant, das nicht von ihnen abstammende Kind anzunehmen.

Ich finde es außerdem schwierig, wenn Eltern versuchen, ihre Kinder zu „prägen“, sich in ihren Kindern zu verewigen, etwas zu hinterlassen, sie zu beeinflussen. Das sind (recht egoistische) Interessen der Eltern. Diese Wünsche können durchaus enttäuscht werden, selbst wenn beide Eltern genetisch mit dem Kind verwandt sind. Je nach Zusammensetzung der Gene kann ein Kind den Eltern ähnlich oder auch ziemlich verschieden von ihnen sein.8 Das gilt sowohl für äußere Ähnlichkeiten als auch für Wesen und Interessen. Schon zwischen Geschwistern bestehen oft erhebliche Unterschiede. Sollte es nicht die Aufgabe von Eltern sein, die Individualität ihres Kindes zu akzeptieren und zu fördern und nicht, Ähnlichkeit zu einem selbst zu erwarten?

Das gilt besonders für eine Familiengründung mit einer oder einem Dritten als genetischem Elternteil des Kindes. Wie bei allen anderen Eltern auch, kann das Kind dem unbekannten genetischen Elternteil ähnlich sein. Es ist wichtig, dass das Kind dann nicht von den Eltern das Gefühl vermittelt bekommt, dass diese Ausprägungen unerwünscht sind, weil sie am liebsten vergessen möchten, dass sie ihre Familie mit einem dritten Menschen gegründet haben.

  1. Sie schafft ein Ungleichgewicht zwischen den Wunscheltern und auch gegenüber dem Kind. Studien zufolge reagiert der nicht-genetische Elternteil wesentlich sensibler, wenn das Kind nach seinen genetischen Verwandten sucht – Scheib J, Riordan M, Rubin S (2005) Adolescents with open-identity sperm donors: reports from 12–17 year olds. Human Reproduction (1) 20, S. 239–252, S. 249; Isaksson S et al. (2011) Two decades after legislation on identifiable donors in Sweden: are recipient couples ready to be open about using gamete donation? Human Reproduction, (4) 26 S. 853–860, S. 855. []
  2. „Prägung“ ist in diesem Zusammenhang inhaltlich eigentlich nicht passend, weil es eine Form des Lernens beschreibt, bei der die Reaktion auf einen bestimmten Reiz der Umwelt derart dauerhaft ins Verhaltensrepertoire aufgenommen, dass diese Reaktion wie angeboren erscheint und daher nichts mit Epigenetik zu tun hat: Die genetisch begründete Form des „Imprinting“ (die auf Deutsch manchmal irreführenderweise mit „Prägung“ übersetzt wird) hat auch nichts mit Epigenetik zu tun. []
  3. z. B. Venney u.a., DNA Methylation Profiles Suggest Intergenerational Transfer of Maternal Effects,
    Mol Biol Evol. 2020 Feb 1;37(2):540-548. []
  4. Die sogenannte Överkalix Studie: Bygren, Lars O. et al.: Change in Paternal Grandtmothers‘ Early Food Supply Influenced Cardiovascular Mortality of the Female Grandchildren, BMC Genetics 15 (2014), S. 12 ff., Eine Folgestudie aus dem Jahr 2018 bestätigte einen Teil der Ergebnisse: Vågerö u. a., Paternal grandfather’s access to food predicts all-cause and cancer mortality in grandsons, Nature Communications volume 9, Article number: 5124 (2018). []
  5. Edith Heard and Robert A. Martienssen, Transgenerational Epigenetic Inheritance: myths and mechanisms https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4020004/; Carl Zimmer, She has her mother’s laugh. The Power, perversions, and Potential of Heredity. Picador 2018, S. 434; SWR2 Verändert der Lebensstil die Vererbung? []
  6. z. B. Stefanie Stahl, Das Kind in dir muss Heimat finden, 9. Aufl., Kailash 2015, S. 14. []
  7. Unser Verein hat sich bereits bei einer Ärztekammer wegen irreführender und anpreisender Werbung für „Samenspende“ beschwert. []
  8. Largo, Kinderjahre – die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung, S. 68. []

VICE berichtet am 29. Januar 2020 über Britta und Dietrich

Das Online-Magazin der VICE berichtete am 29. Januar 2020 unter dem Titel „Samenspende: Wie Britta ihren Vater kennenlernte“ über die Geschichte von Britta und Dietrich.

Spenderkinder-Mitglied Britta identifizierte ihren Vater DIetrich im Mai 2019 über eine DNA-Datenbank. Beide haben sich über den Treffer gefreut, auch Dietrichs Frau wusste von Anfang an Bescheid und unterstützte das Kennenlernen der Beiden. Beste Voraussetzungen also auf allen Seiten.

In dem Artikel beschreiben Britta und Dietrich sehr ehrlich ihre Gedanken und Gefühle, von der Entscheidung „Samen zu spenden“ bis zu ihrem Kennenlernen und der großen Herausforderung, die gefundenen Verbindungen in den Alltag zu integrieren.

Der Artikel widmet sich damit einem Thema, das Spenderkinder und ihre Verwandten zunehmend beschäftigt: Wie geht es weiter, wenn der genetische Vater und Halbgeschwister gefunden wurden? Wie entwickeln sich die emotionalen Beziehungen zueinander weiter? Welcher Platz ist im Alltag füreinander?

Spenderkinder ist zehn Jahre alt!

Etwas unbemerkt ist am 18. Juli 2019 das zehnte Jubiläum der Gründung unseres Vereins verstrichen. Das möchten wir zum Anlass für einen Rückblick nehmen, wie sich unser Verein, aber auch die persönliche Geschichte einiger unserer Gründungsmitglieder entwickelt hat.

Ein kleines Treffen mit wenigen Teilnehmerinnen und wichtigen Themen

Unser Gründungstreffen am 18. Juli 2009 fand in Göttingen mit fünf Teilnehmerinnen statt – die übrigen Unterschriften der Gründungsmitglieder mussten per Post eingeholt werden. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir insgesamt nur zwanzig Mitglieder. Beim Treffen haben wir darüber geredet, wie wir ein nationales DNA-Register starten könnten, um unsere genetischen Väter und Halbgeschwister finden zu können. Wir wussten, dass es so etwas in den Niederlanden und Großbritannien gibt, wussten aber, dass eine Übertragung insbesondere wegen der Datensicherheit schwierig wäre. Von den neuen DNA-Datenbanken aus den USA wussten wir damals noch nicht, sie waren noch nicht sehr bekannt und noch sehr teuer. 

Außerdem ging es bei dem Treffen um den Namen Spenderkinder und das Logo – beides entwickelt von Dana. 

Ich hatte schon mehrere Jahre in einer Hochschulgruppe von Amnesty International gearbeitet und daher Erfahrungen mit ehrenamtlicher Arbeit in Gruppen. Mir war bewusst, dass wir noch ganz am Anfang stehen, auch weil bei uns nur Spenderkinder Mitglied werden konnten und viele nichts von ihrer Zeugungsart wussten. Etwas alleine zu bewegen ist schwierig die Motivation kommt vor allem aus dem Austausch mit anderen engagierten Personen. Ich habe gehofft, dass sich alle einbringen und weitere engagierte Personen zu uns stoßen werden und so war es. Stina

Wenn ich an 2009 zurückdenke – da war ich 25 und gerade mit dem Studium fertig. Ich hatte den Eindruck, dass unser Verein eher als „Kinder“ wahrgenommen wurde, einfach auch deshalb, weil viele von uns noch recht jung waren. Anne

Zehn Jahre später

Zehn Jahre später hat unser Verein fast 200 Mitglieder, in Deutschland gibt es seit Mitte 2018 ein Spenderkinder-Register, und die rechtliche Situation wurde durch mehrere Gerichtsurteile in unserem Sinne geklärt. 

Ein Aspekt, der für mich persönlich in den letzten 10 Jahren die größten Veränderungen gebracht hat, ist die neue Öffentlichkeit für das Thema durch die kontinuierliche Arbeit im Verein und all die mutigen Leute, die bereit waren, mit den Medien zu arbeiten und an die Öffentlichkeit zu gehen mit ihrer Geschichte. Für mich ist das direkt spürbar gewesen. Als ich den 90er Jahren jemandem erzählt habe, dass ich Spenderkind bin, war das immer etwas GAAAAANZ besonderes und die Leute (ausnahmslos positive Reaktionen) waren total erstaunt und neugierig. Und heute ist Reaktion meist sehr abgeklärt: „Ach so, ja, hab ich letztens eine Doku drüber gesehen!“ – meist ein Medienbericht von jemandem aus dem Verein. Dana

Die Bezeichnung Spenderkinder hat sich trotz Widerstands von einigen Wunscheltern und Beratungsfachkräften etabliert und wird ganz selbstverständlich auch von öffentlichen Stellen verwendet. 

Mittlerweile sind viele von uns selbst Eltern, wir sind im Berufsleben angekommener und in einem Alter, in dem es anderen Menschen leichter fällt, uns als Erwachsene wahrzunehmen.  Anne

Wir sind politisch deutlich sichtbarer geworden und werden fachlich einbezogen. Wir waren als Sachverständige im Deutschen Bundestag, halten regelmäßig Vorträge bei Fortbildungsveranstaltungen für Adoptionsfachkräfte und haben Aufsätze veröffentlicht. 

Im Laufe der letzten 10 Jahre sind wir mit unserer Erfahrung gewachsen, routinierter geworden, haben Abläufe entwickelt für Medienanfragen, wir haben journalistische und politische Kontakte, auf die wir zurückgreifen können. Die Anfragen neuer Mitglieder wurden irgendwann so viele, dass dafür ein extra Vorstandsmitglied zuständig ist. Wir haben insgesamt viel mehr Wissen gesammelt. Anne

Auch inhaltlich haben wir uns stark weiter entwickelt: zu vielen Themen haben wir differenzierte Informationen und Stellungnahmen veröffentlicht. Ein besonderes Anliegen und eine oft auch persönliche Entwicklung stellte dar, die vorgegebenen Wertungen zu den verschiedenen ethischen und psychologischen Aspekten von „Samenspende“ zu hinterfragen. Das betrifft zum einen Begrifflichkeiten wie „Spender“, aber auch Erwartungen wie dass der soziale Vater doch der „richtige“ Vater sei und ein Spenderkind kein Interesse vom genetischen Vater erwarten könne und schon dankbar für ein kurzes Treffen sein solle. 

International haben wir mit Donor Offspring Europe eine europäische Plattform zur Vernetzung mitgegründet.

Persönliche Entwicklungen

Auch persönlich hat sich viel bei uns entwickelt – viele unserer Mitglieder haben Halbgeschwister oder ihren genetischen Vater gefunden. 

Bei der Vereinsgründung hätte nie jemand voraussehen können, dass uns die technische Entwicklung diese Türen öffnen würde… Wenn wir ehrlich sind, wäre das sonst ein ganz schönes Trauerspiel wie viele Spender haben sich denn schon gemeldet? Da hätten wir heute vielleicht 3-4 Matches Und dank der DNA-Datenbanken konnten wir all diejenigen finden, die uns nicht gesucht haben 😉 Und das hat ja auch mir letztlich den Halbbruder-Match ermöglicht diese Erfahrung hat mir extrem viel gebracht! Dana

Seit 2018 sind unsere Verwandtentreffer über DNA-Datenbanken rasant angewachsen, was mich unglaublich freut. Ich selbst habe auf diese Weise drei Halbgeschwister gefunden. 2011, als wir uns FamilyTreeDNA angeschlossen hatten, hatte ich den DNA-Test dort eher gemacht, um nichts unversucht zu lassen. Mit solch einer Trefferquote hatte ich nicht gerechnet.  Anne

Vor zehn Jahren habe ich eigentlich nicht damit gerechnet, dass ich je herausfinden werde, wer mein genetischer Vater ist. Ich dachte, das ist wie eine Nadel im Heuhaufen zu suchen. Mein Ziel war eher, das System zu verändern, damit nicht weiter die Rechte von Spenderkindern verletzt werden. Und dann habe ich im Dezember 2017 Ancestry und 23andme gemacht und die Wahrheit herausgefunden: Ich hätte mir nie träumen lassen, dass Herr Prof. Katzorke, der meiner Erinnerung nach wegen seiner kontroversen Äußerungen und abschottenden Informationspolitik auch bei unserem Gründungstreffen Thema war, mein genetischer Vater ist. Auch wenn mit dieser Vorgeschichte eine positive Beziehung nicht möglich war, bedeutet es mir unglaublich viel, nicht mehr diese Leerstelle zu haben. Auch mein persönlicher Umgang mit meiner Zeugungsart hat sich verändert: nachdem ich anfangs sehr darauf bedacht war, meine Identität nicht öffentlich zu machen, habe ich mich langsam geöffnet und gehe inzwischen absolut offen damit um und wurde durch viele positive Begegnungen darin bestärkt. Stina

Dass auch so viele unserer älteren Mitglieder mittlerweile ihre genetischen Väter finden konnten, stimmt mich sehr optimistisch, dass dies vielen anderen auch noch gelingen wird. Dieser Trend zeigt sich ja auch international. Das kehrt in meiner Wahrnehmung die Machtverhältnisse fast ein bisschen um – erst hatten Ärzte die Macht, unsere Verwandtschaftsverhältnisse vor uns geheimzuhalten, jetzt ist die Technik auf unserer Seite, mehr und mehr Verwandtschaftsverhältnisse aufzudecken. Dadurch steigt auch die Zahl der aufgeklärten Spenderkinder, die sich selbst äußern können, wie die kürzliche erstmalige Präsentation von Spenderkindern vor der UN zeigte. Anne

Ausblick

Ich bin sehr stolz, dass wir mit dem Verein etwas gegründet habent, dass das Leben vieler Menschen positiv beeinflusst hat und viel verändert hat. Wenn ich eine Nachricht erhalte, dass eins unserer Mitglieder den Vater oder Halbgeschwister gefunden hat, erfreut mich das den ganzen Tag. Stina

Aber trotz unserer erfolgreichen Vereinsgeschichte gibt es im öffentlichen Bewusstsein, aber auch bei den anstehenden politischen Entwicklungen noch viel zu tun. So steht die Reform des Abstammungsrechts immer noch auf der politischen Agenda und der Druck von Wunscheltern und der Reproduktionsmedizin ist stark, hierbei den Wünschen der Wunschelternteile, dass ihnen ein bestimmtes Kind zugeordnet werden möge, eine sehr starke Bedeutung zuzumessen und in Deutschland bislang nicht zugelassene Verfahren wie die Eizellvermittlung und die Leihmutterschaft zuzulassen. Wir hoffen, dass die Erfahrungen aus der Vergangenheit aufgegriffen werden und die Bedeutung der genetischen Elternteile für das Kind nicht erneut unterschätzt wird. Wichtige Erkenntnis aus 50 Jahren Samenvermittlung in Deutschland: Niemand kann für einen anderen Menschen festlegen, wie wichtig ihm seine genetischen Elternteile sind.

Auch im persönlichen Bereich sind die Entwicklungen noch nicht abgeschlossen:

Wir haben viel erreicht, aber mindestens ebenso viel liegt noch vor uns: Für mich selbst heißt es weiter „Finden“. Gleichzeitig finde ich für unseren Verein aber auch das Thema spannend „Gefunden – und nun?“ – also die Frage, wie es danach eigentlich weitergeht, denn Kontaktaufnahme, Kennenlernen, Integration stellen ja weitere Herausforderungen dar, über die bisher kaum etwas bekannt ist. Anne

Britta bei Leeroy Matata auf YouTube

Spenderkinder-Mitglied Britta wurde von Leeroy Matata auf YouTube über die Suche nach ihrem genetischen Vater interviewt.

Das Video ist seit dem 20. November 2019 online und hatte in den ersten zwei Tagen bereits über 300.000 Aufrufe. Britta wusste schon 11 Jahre lang, dass sie einen anderen genetischen Vater hat, bevor sie sich auf die Suche machte. Ihr hat es geholfen, mit anderen über das Thema zu sprechen. Nun möchte sie anderen Spenderkindern Mut machen, sich auf die Suche nach ihren Wurzeln zu machen.

Brittas Geschichte bei 95.5 Radio Charivari

Radio Charivari hat Münchner aufgerufen, ihre bewegensten Geschichten zu erzählen. Die Geschichte von Spenderkinder-Mitglied Britta wurde am 28. Oktober 2019 ausgestrahlt und kann auf der Seite des Senders und über unsere Seite leicht variiert nachgehört werden:

Die meisten Spenderkinder kostet es große Überwindung, ihre eigene Geschichte in der Öffentlichkeit zu erzählen. Brittas Geschichte ist in 5 Minuten knapp gefasst und erreicht hoffentlich viele Menschen. So wie Britta suchen nicht alle Spenderkinder sofort nach ihrem leiblichen Vater. Es gehört einiges an Zuversicht dazu, sich auf die Suche nach der sprichwörtlichen „Nadel im Heuhaufen“ zu machen.

Brittas Geschichte zeigt auch, dass, nur weil Menschen sich ein Kind wünschen, nicht automatisch sichergestellt ist, dass sie gut für ein Kind sorgen werden. Es gibt viele Gründe, sich ein Kind zu wünschen und kaum jemand kann vorher abschätzen, was es wirklich bedeutet, ein Kind zu haben. Ein Kind zu haben, das einen weiteren genetischen Elternteiln mitbringt, obwohl man vielleicht selbst gerne auch leiblicher Elternteil geworden wäre, ist eine große Herausforderung – auch, oder vielleicht sogar erst recht, für Wunscheltern.

Der Titel „Ich habe 100 Geschwister“ ist etwas irreführend, Britta hat sich auf die Suche nach ihren Geschwistern gemacht, sie weiß aber nicht, wie viele es sind. Auch wenn wir hoffen, dass es in der Regel weniger als 100 sind, wissen wir, dass es auch Fälle gibt, in denen eine solche Anzahl von Kindern durch einen Mann im Rahmen ärztlicher Samenvermittlung erzeugt wurde. Bislang gibt es leider keine rechtsverbindliche Obergrenze.

Den DNA-Test bieten wir natürlich nicht als Verein an, sondern wir empfehlen verschiedene DNA-Tests. Die meisten unserer Mitglieder sind in der DNA-Datenbank FamilyTreeDNA registriert.

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Das unglaubliche Happy-End der Geschichte kann allen Spenderkindern Mut machen, dass es auch sympathische ehemalige „Samenspender“ gibt, die zu den Kindern, die durch sie entstanden sind, stehen.

Auf der Seite des Radiosenders kann auch ein Beitrag von Brittas genetischem Vater angehört werden.

 

Svens Geschichte in der Radiosendung „Einhundert“ bei Deutschlandfunk Nova

In der Radiossendung „Einhundert“ bei Deutschlandfunk Nova geht es am 20. Oktober um das Thema Identität. Spenderkinder-Mitglied Sven erzählt, wie er mit 34 Jahren seinem Gefühl nachging und herausfand, dass er in der ehemaligen DDR durch ärztliche Samenvermittlung entstand, wie er seine familiäre Situation als Kind erlebt hat und wie er sie heute erlebt.

Die Sendung kann als Podcast nachgehört werden und ist auch zum Download verfügbar.

Svens Geschichte macht deutlich, wie facettenreich diese Familienform ist. Nicht-aufgeklärte Spenderkinder können trotzdem Irritiationen in der Familie wahrnehmen, die sie aber nicht einordnen können, weil sie gar nicht auf die Möglichkeit der Samenvermittlung kommen. Die Klärung wird daher oft auch als Erleichterung wahrgenommen, weil der Mensch seinen Gefühlen wieder trauen kann.

Bücher zur Aufklärung von Spenderkindern über ihre Entstehungsweise

Unserer Ansicht nach sollten Spenderkinder von Geburt an im Wissen um ihre Entstehungsweise und Herkunft aufwachsen. Aufklärung verstehen wir daher als einen Prozess von Anfang an – und nicht als einen Zeitpunkt, zu dem das Spenderkind die Wahrheit erfährt. Für Spenderkinder sollte es nie eine Zeit geben, in der sie nicht von ihre Entstehungsweise wussten. Aufklärung sollte daher kein einmaliges Gespräch sein – sondern sie sollte immer wieder Thema sein und auch von Eltern aktiv zum Thema gemacht werden (denn es gibt Kinder, die würden nie fragen). Mehr zum Thema Aufklärung haben wir in einem eigenem Beitrag zusammengetragen.

Für die Aufklärung braucht es eigentlich kein Buch: Entscheidend ist, dass die Eltern selbst erstmal Worte für sich finden und üben, über das Geschehen zu sprechen. Wenn sie das untereinander besprechen können, können sie es auch ihrem Kind erklären.

Bücher können aber den Eltern bei der Aufklärung helfen, denen es noch schwer fällt, ihre Geschichte in eigene Worte zu fassen. Aus unserer Sicht gibt es kein uneingeschränkt empfehlenswertes Buch für Kinder speziell zur Familiengründung mit Hilfe eines oder einer Dritten (oder „Spenders“), da sie sehr elternzentriert geschrieben sind.Fast alle versuchen mehr oder weniger ausdrücklich, die Bedeutung des genetischen Vaters oder der genetischen Mutter zu minimieren. Meistens wird er nur als ein „anderer Mann“ oder ein „netter Mann“ erwähnt (bzw. in dem Buch über Eizellspende als „nette Frau“). Sicher ist es immer noch besser, mit diesen Büchern über die Samenspende zu sprechen als gar nicht, aber wir würden uns Bücher wünschen, die auch dem genetischen Elternteil einen legitimen Platz einräumen. Uns gefallen aber viele der allgemeineren Bücher zu Sexualaufklärung und Vererbung, die sich als Anlass anbieten, die eigene Geschichte locker einzubinden.

Wir möchten einige der Bücher vorstellen – auch diejenigen, die wir für weniger empfehlenswert halten, weil sie von anderen Stellen regelmäßig empfohlen werden.

I. Bücher, die wir für empfehlenswert halten:

Wie entsteht ein Baby – ein Buch für jede Art von Familie und jede Art von Kind (Cory Silverberg)

Das Buch „Wie entsteht ein Baby“ von Cory Silverberg legt den Fokus der Aufklärung auf Ei und Samenzelle und nicht auf die Menschen selbst. Es erzählt keine richtige Geschichte, sondern spricht eher von Themen und stellt Fragen. Es wird von Menschen mit Gebärmutter gesprochen, von Menschen mit Eizellen oder Samenzellen, die Geschichten enthalten und von Menschen, die sich auf das Baby gefreut haben. So können verschiedene Familienformen und verschiedene Entstehungsgeschichten und Geburten selbst angepasst werden – weil bei allen Menschen eines gleich ist: sie entstehen aus Ei- und Samenzelle. Und es fragt nach Menschen, die dabei geholfen haben, dass die Ei- und die Samenzelle zusammen kamen und nach Menschen, die glücklich waren, dass ausgerechnet dieses Kind dabei entstanden ist.

Das Buch enthält starke Farbkontraste und ist modern gezeichnet. Das gefällt vielleicht nicht jedem (oder manchen deswegen umso mehr). Thematisch ist es aus unserer Sicht aber gut gelungen, weil es vielfältig ist und Platz für jede Form von Familie lässt, ohne dass Homosexualität, „Samenspende“, Adoption oder ähnliches erwähnt werden.

Alles Familie (Alexandra Maxeiner und Anke Kuhl)

Unter dem Motto, das jede Familie einzigartig ist, stellt das mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnete Buch „Alles Familie“ unterschiedliche Verwandtschaftsbeziehungen und Familienkonstellationen kindgerecht vor, begleitet von Zeichnungen im Comic-Stil. Es kommen vor: Großfamilien, Patchworkfamilien, Alleinerziehende, Scheidungsfamilien, Adoption, Pflegekinder, verwaiste Kinder. Es geht auch um Vererbung und was Familie bedeutet (besondere Nähe, aber auch regelmäßig Streit). Über eine Reproduktionsklinik vermittelte Samen- oder Eizellen kommen nicht vor, aber eine Co-Parenting Familie mit zwei lesbischen und zwei schwulen Eltern. Hieran kann man zum Beispiel anknüpfen und dem Kind erklären, dass es bei ihm so ähnlich war, weil Mama und Papa auch nicht zusammen ein Kind bekommen konnten und deswegen die Spermien von einem anderen Mann genommen haben. Vom Alter her funktioniert das Buch aber frühestens ab vier, da es relativ viel Text beinhaltet.

„Meine ganze Familie: Was den Urmenschen und mich verbindet. Alles Wichtige über Generationen“

Das Buch „Meine ganze Familie“ handelt von Abstammung, Herkunft, Vererbung und Evolution und inwiefern wir alle ein bisschen miteinander verwandt sind. Es ist vom Stil her sehr ähnlich zu „Alles Familie“ und eignet sich ebenfalls gut zur Anknüpfung, dass ein Spenderkind Merkmale von seinen genetischen Eltern erbt, andere Sachen wie Traditionen oder Kultur aber sozial vermittelt werden.

II. Bücher, die wir nur eingeschränkt für empfehlenswert halten:

Die Geschichte unserer Familie (Petra Thorn)

Petra Thorn hat verschiedene Versionen eines Aufklärungsbilderbuches zur „Samenspende“ für Hetero-Eltern, ein lesbisches Paar oder Solo-Mütter geschrieben, die man sich zusammen mit dem Kind ansehen kann.

Das Buch für Hetero-Eltern trägt den Untertitel „Ein Buch für Familien, die sich mit Hilfe der
Spendersamenbehandlung gebildet haben“. Den Samen eines fremden Mannes zur Erfüllung des Kinderwunsches zu verwenden, stellt jedoch keine Behandlung dar. Die Darstellung vermittelt recht deutlich eine Wertung der Situation und Position der beteiligten Menschen: Die Eltern werden als furchtbar traurig dargestellt, und dann gehen sie zu einem Arzt, bei dem sie hoffen dass er ihnen helfen kann und der einen anderen Mann fragt, ob der nicht seinen Samen schenken möchte. Damit wird klargestellt, dass die Eltern auf jeden Fall Mitleid in ihrer Situation verdienen und der Arzt der Erlöser ist. Der genetische Vater des Kindes wird lediglich als „anderer Mann“ eingeführt und dann nicht weiter erwähnt. Er soll erkennbar keine zu große Rolle spielen. Völlig unklar bleibt sein Bezug zum Kind, ob er sich das Kind auch gewünscht hat. Unerwähnt bleibt auch, dass das Kind den anderen Mann kennenlernen kann und ob er sich darüber freuen würde.

Im Buch für Solo-Mütter heißt es erst, die Mama habe keinen Mann gefunden, der auch ein Kind gewollt habe. Dann sei sie zum Arzt gegangen, der dann einen Mann gefunden habe, der ihr Samen gibt. Aus Kindersicht steht jetzt die unausgeschriebene Frage im Raum, ob dieser Mann denn wohl ein Kind gewollt habe. Das Recht des Kindes, seine genetischen Eltern zu kennen, wird ebenfalls nicht erwähnt.

Zwei Mamas für Oscar: Wie aus einem Wunsch ein Wunder wird (Susanne Scheerer)

Das Buch „Zwei Mamas für Oscar: wie aus einem Wunsch ein Wunder wird“ erzählt die Kinderwunschgeschichte eines lesbischen Paares mit einem privaten „Spender“. Es erklärt aber auch, wie Kinder im Allgemeinen entstehen. Das Buch ist schön illustriert und die Texte sind einfach und daher auch für jüngere Kinder geeignet. Die Figuren sind modern: es gibt diversifizierte Hetero-Paare, tätowierte Hipster-Samenspender, Regenbogenfamilien usw. Die Aufklärungsbilder sind angenehm explizit. Die „Samenspende“ selbst steht gar nicht so sehr im Vordergrund, sondern eher das Anliegen, die Regenbogenfamilien als gleichwertig und gesellschaftlich normal zur gewohnten Kernfamilie darzustellen.

Das Anliegen ist nachvollziehbar. Was uns an dem Buch aber nicht gefällt, ist dass der Wunsch der beiden Mütter als so übermächtig dargestellt wird, dass fast befürchtet wird, dass die beiden Frauen Lina und Bine sterben („Und wenn ein Wunsch immer größer wird und nicht in Erfüllung geht – dann ist irgendwann nur noch der Wunsch da und die große Traurigkeit, und man selbst löst sich vor lauter Sehnen einfach auf“). Es scheint daher nur noch darum zu gehen, wie man das Leid der Wunscheltern endlich beenden kann. Der private „Spender“ Hans und seine Partnerin entscheiden sich daher dafür, den beiden etwas von seinem Samen zu geben. Es wird so dargestellt, als hätten sich alle vier gemeinsam für das Baby entschieden. Mit der übermächtigen Wunschvorgeschichte ist das jedoch unglaubwürdig. Hätten sie denn eine andere Wahl gehabt?

Die Zeugung wird eindeutig als Vorgang zwischen den beiden Frauen definiert: „Bine hat dann dem Samen geholfen, das Ei zu finden. Also haben die beiden Mamas zu zweit das Baby gemacht.“ Das Bedürfnis der beiden Frauen ist nachvollziehbar, den Mann aus ihrem Liebesakt herauszuhalten. Aber zur Entstehung des Kindes hat er dennoch beigetragen.

Am Ende freuen sich alle vier über Oscars Geburt. Das ist einerseits schön, weil es zeigt, dass alle eine Beziehung zu Oscar haben. Es verbleibt aber dennoch ein schaler Nachgeschmack, weil der Wunsch so drängend dargestellt wurde, dass es nicht wie eine freue Entscheidung von Hans und Leonore wirkt. Dass Hans der Vater von Oscar ist, wird an keiner Stelle erwähnt.

Von Wunschkindern und Glücksboten: Zur Aufklärung von Kindern, die mit Hilfe von Eizellspende, Samenspende oder Doppelspende entstanden sind und Unsere Regenbogenfamilie! Für Babys braucht es Liebe: Familiengründung homosexueller Paare mit Hilfe von Eizellspende, Samenspende und Leihmutterschaft (Julia König)

Julia König hat zwei Versionen eines Buches zur Aufklärung von Kindern geschrieben, die durch Keimzellvermittlung sowie ggf. auch Leihmutterschaft entstanden sind und bei homo- oder heterosexuellen Wunschelternpaaren aufwachsen.

Die Geschichte beginnt mit der Frage, wie Kinder entstehen und beantwortet diese, dass es dazu zwei sich liebende Menschen brauche sowie das Ei einer Frau und den Samen eines Mannes. Die Geschlechtsorgane werden skizziert und in einfachen Worten erklärt, so dass die Bücher gut für Kindergartenkinder geeignet sind. Fehlen einem Paar Samen, Ei oder beides, kommen sogenannte „Glücksboten“ ins Spiel, die Ei oder Samen in Form eines „Glückspakets“ schenken, das durch einen Arzt oder eine Ärztin vermittelt wird. Dadurch beziehen sich die Bücher eindeutig auf ärztliche Keimzellvermittlung. Anschließend erfolgt der Rückbezug zur individuellen Situation: Die Paare beschreiben, wie sie selbst den Weg über die Reproduktionsmedizin und „Glücksboten“ gegangen sind und schließlich das Kind als großes Glück des Wunschelternpaares geboren wurde.

Ziel des Buches ist es, Wunscheltern zu unterstützen, mit ihren Kindern über deren Entstehungsweise zu sprechen. Der Weg ist recht idealisierend aus der Perspektive von Wunscheltern beschrieben. Vorab wird klargestellt „Sie [die Geschichte] handelt von uns allen. Von uns beiden, viel Liebe, einem Glückspaket und von DIR!“ Darunter die Abbildung eines Geschenks und einer Hand. Was soll dem Kind damit vermittelt werden? Das Wunschelternpaar und das Kind sind bereits „alle“? Ob die Wunscheltern anerkennen können, dass auch die weiteren genetischen Elternteile dazugehören? Im Buch wird nicht erwähnt, dass das Kind erfahren kann, wer sie sind. Die gegebenenfalls beanspruchte Leihmutter wird romantisierend als „Freundin der Papas“ bezeichnet.

Die weiteren genetischen Elternteile des Kindes würden besser wahrnehmbar, wenn sie ebenfalls als Menschen benannt und abgebildet würden. Ob sie sich auch gefreut haben, als das Kind geboren wurde? Ob sie sich freuen, das Kind mal kennenzulernen?  Ob die Wunscheltern das Kind dabei unterstützen werden, wenn es Kontakt aufnehmen möchte?

Während der Titel des Buches für homosexuelle Paare den Blick auf die Liebe richtet, dürfte die Herausforderung für die Wunscheltern gleich welcher sexuellen Orientierung darin bestehen, anzuerkennen, dass Liebe allein leider nicht ausreicht und zusätzlich Menschen mit den erforderlichen Keimzellen dazugehören. Da das Buch Raum für Fotos anbietet, könnten dazu hier zum Beispiel auch Platzhalter für Bilder der genetischen Elternteile eingefügt werden.

Wie Lotta geboren wurde (Ka Schmitz und Cai Schmitz-Weicht)

Das Buch „Wie Lotta geboren wurde“ ist schon 2013 erschienen und wird für Kinder ab zwei Jahren empfohlen. Es thematisiert Transgeschlechtlichkeit, auch wenn diese weder explizit erwähnt noch umschrieben wird, und vermeidet Geschlechtsrollen: es ist von Menschen statt von Frauen und Männern die Rede. Der Ansatz, von Menschen, die sich nicht in der Zweigeschlechtlichkeit einordnen möchten, ist nachvollziehbar, aber es irritiert daher, dass Lotta dann einen „Papa“ hat. Schön ist, dass der Freund, der Lottas Papa den Samen schenkte, am Ende wieder erwähnt wird, dass er sich freute, dass Lotta geboren war.

Seine Rolle ist jedoch trotzdem sehr randständig: Er wird bezeichnet als „netter Freund“ (von Lottas Papa), der ihm ein paar Samenzellen schenkt. Die Schwangerschaft scheint allein Lottas Papa zu betreffen, er gibt ihr auch den Namen, erst als Lotta geboren ist, taucht der „nette Freund“ wieder auf um sich zu freuen, wie auch die Omas und Opas. Trotzdem fragt man sich, ob Lotta eigentlich zwei Eltern hat, die für sie da sind.

The Pea that was me – an Egg Donation Story (Kimberly Kluger-Bell)

Das Buch „The Pea that was me – an Egg Donation Story“ wird für Kinder ab drei Jahren empfohlen. In dem Buch erzählt ein Kind, dass es früher eine Erbse war und wie es in den Bauch der Mutter gekommen ist. Das Buch ist sehr elternzentriert geschrieben: die Eier haben nicht richtig funktioniert, deswegen gehen Mama und Papa zu einem Arzt, der eine wunderbare Idee hat: er findet eine sehr nette Frau, die viele Extra-Eier hat, die sie der Mutter schenkt (in einem Geschenkpaket). Mit der Hilfe von dem sehr netten Arzt, der sehr freundlichen Frau (die auch Spenderin genannt wird), Papas Samen und Mamas Bauch wurde dann aus der Erbse das Mädchen. Der Arzt ist sehr nett, die Frau auch, die Beziehung der Erzählerin bleibt unklar. Die grünen Zeichnungen sind außerdem vermutlich nicht jedermann Sache. Das Buch gibt es nur auf Englisch, aber auf den Seiten wäre genug Platz, um eine deutsche Übersetzung darunter zu schreiben.

Das Geheimnis des ehrenwerten Hauses (Stefan Remigius)

Im Rahmen einer Detektivgeschichte für Kinder ab acht Jahren geht es in dem Buch „Das Geheimnis des ehrenwerten Hauses“ um verschiedene Familienformen wie Adoption und „Samenspende“. Allerdings ist auch dieses Buch stark von der Elternperspektive geprägt. So findet eine Auseinandersetzung mit den Fragen und Problemen nicht statt, die erst nach Jahrzehnten für die Kinder und in den Familien auftauchen, wie zum Beispiel ob die Kinder einen Kontakt zu ihren genetischen Eltern aufbauen können. Acht Jahre ist außerdem unseres Erachtens ein zu später Zeitpunkt für die Aufklärung. Das Buch eignet sich also eher, um das Thema ein weiteres Mal zur Sprache zu bringen.

Mama + Mamusch – Ich bin ein Herzenswunsch-Kind (Helene Düperthal und Lisa Hänsch)

Das Buch „Mama + Mamusch – Ich bin ein Herzenswunsch-Kind“ ist für Kinder ab etwa fünf Jahren mit lesbischen Eltern geschrieben und ist extrem elternzentriert. Das Buch soll unter anderem von dem Glück erzählen, „als Herzenswunsch-Kind geboren worden zu sein und aufwachsen zu dürfen.“ Damit wird vermittelt, dass gewünschte Kinder besonders glücklich sind und dankbar für ihre Existenz sein sollten – ein Gedanke, denn wir für sehr schwierig halten (siehe 12 Bemerkungen, die Spenderkinder nerven).

Erzählt wird die Geschichte anhand des ersten Schultages von Ana, die ihre Familie malen und vorstellen muss. Sie bezeichnet sich und ihren Bruder als Wunder-Wunsch-Kinder und ihre Mama und Mamusch als Wunder-Wunsch-Eltern. Später fragt ihr Klassenkamerad Tim genauer nach, weswegen sie zwei Mamas hat. Ana erinnert sich dann, wie Mama und Mamusch ihr erzählt haben, wie sie in den Bauch der Mama kam: Sie und Mamusch hätten sich auf die Suche nach einem Mann gemacht, der ihnen helfen kann. Sie hätten jemanden gefunden, der gespürt habe, wie stark ihre Sehnsucht sei. Er wäre ganz lieb gewesen und habe ihnen ein bisschen von seinem Samen gespendet. Mehr erfährt man von dem Mann nicht – auch nicht, welche emotionale Beziehung er zu Ana und ihrem Bruder und den Müttern hat.

Später freuen sich Ana und Tim, dass sie die besten Eltern der Welt haben und wissen, dass es ein echter Glücksfall war, dass sie mit ihren Mamas, ihrem Papa und Mamusch ihre eigenen Herzenswunsch-Eltern gefunden haben. Das erscheint etwas realitätsfremd: Kinder suchen sich ihre Eltern nicht aus. Diese Darstellung vermittelt recht deutlich das Anliegen, von den Kindern als tolle Eltern anerkannt zu werden sowie dass das Kind sich damit identifiziert, die Sehnsucht der Wunscheltern gestillt zu haben. So nachvollziehbar dieser Wunsch auch ist, sind Kinder aber nicht dazu da, ihre Eltern zu bestätigen.

Offen gesprochen

Die Reihe „Offen gesprochen“, die von DI-Netz aus dem Englischen übersetzt wurden , sind keine Bücher zum Lesen mit den Kindern, sondern Ratgeber zur Aufklärung von Spenderkindern verschiedener Altersstufen. Die Bücher sind aus einem elterlichen Ansatz heraus geschrieben.

III. Empfohlene Alternative: Ein eigenes Fotobuch zur Aufklärung

Eltern können außerdem ein eigenes (Foto)Buch zur Aufklärung machen. Bei verschiedenen Anbietern wie z. B. dm und Lidl gibt es inzwischen die Möglichkeit, online mit eigenen Fotos für ca. 20 Euro Papp-Bilderbücher zu gestalten. Damit können Eltern die Geschichte der Familie in eigenen Worte und Bilder erzählen, was die Kinder vermutlich mehr beeindruckt als eine Geschichte über andere Personen. In ein solches Buch könnte man ggf. auch eigene Bilder oder Skizzen einfügen und zum Beispiel auch eine eigene Seite über den genetischen Vater und einen erweiterten Stammbaum mit drei oder vier Elternteilen.

Wir würden folgenden Text für Hetero-Eltern vorschlagen: „Mama und Papa wünschten sich sehr ein Kind. Damit ein Kind entsteht, braucht es einen Mann und eine Frau. Jeden Monat wächst bei der Frau im Bauch ein Ei heran. Damit ein Baby entstehen kann, muss noch der Samen eines Mannes dazukommen. Bei manchen Männern klappt das aber nicht. So war das auch bei Papa. Mama und Papa haben überlegt, wie sie trotzdem ein Kind bekommen könnten. Schließlich haben sie einen anderen Mann gefunden, der seinen Samen abgegeben hat, damit daraus ein Kind entstehen kann. Mit seinem Samen und Mamas Ei konnte ein Kind in Mamas Bauch heranwachsen. Und das bist Du. Du hast Mama und Papa und einen genetischen Vater. Wenn Du magst, kannst Du ihn auch mal kennenlernen. Wir freuen uns alle sehr, dass Du auf die Welt gekommen bist.“