Wir sehen uns gelegentlich dem Vorwurf ausgesetzt, dass wir nur deswegen den Spender suchen und den momentanen Umgang mit Samenspende kritisieren, weil wir aus "zerrütteten Familien" kommen. Der Großteil der Spenderkinder habe an dieser Entstehungsweise nicht auszusetzen und würde nicht an die Öffentlichkeit gehen, weil sie das Thema nicht berührt.
Mal abgesehen davon, dass die unerkannten Spenderkinder auch nicht bewiesen sind, ist das natürlich nur eine Schutzbehauptung, um sich nicht näher mit unserer Kritik auseinandersetzen zu müssen. Kein Außenstehender kennt unsere Familien so gut, dass er sich ein Urteil erlauben könnte. Trotzdem, um dieses Argument auch einmal mit Fakten zu entkräften, haben wir eine kleine Umfrage unter uns Spenderkindern gemacht, an der sich 12 Mitglieder beteiligt haben.
Bei 7 von 12, also etwas mehr als die Hälfte, sind die Eltern getrennt oder geschieden. Das ist weit entfernt von 100 %. Als zerrüttet würde aber nur ein Drittel die eigene Familie einordnen und betont, dass dies aber auch an anderen Faktoren als der Samenspende liegen würde. Auch diejenigen, die ihre Familie als zerrüttet einordnen würden, meinen aber, dass dies nichts mit ihrem Wunsch zu tun hat, wissen zu wollen, wer der Spender war. Einhellig alle betonen, dass es hierbei um das Bedürfnis geht, mehr über sich zu erfahren und den Menschen, von dem wir die Hälfte unserer Anlagen geerbt haben, und dass unser Interesse alleine dadurch geweckt wurde, dass eine weitere Person an unserer Zeugung beteiligt war. Dieser Wunsch ist nicht so außergewöhnlich, sondern absolut menschlich. Die vielen Menschen, die sich für Ahnenforschung und ihren Stammbaum interessieren, kommen auch nicht aus zerrütteten Familien.
Von diesen Ergebnissen abgesehen ist der Begriff zerrüttete Familien überhaupt schwierig. Ist das schon der Fall, wenn die Eltern geschieden sind, aber trotzdem gut miteinander auskommen? Und kann nicht auch eine Familie zerrüttet sein, in der die Eltern immer noch zusammen leben? Wie viel muss passieren, damit es sich nicht nur eine Familie handelt, in der einiges hätte besser laufen können, sondern um eine zerrüttete Familie? Und vielleicht sind einige Spenderkinder-Familien gerade deswegen zerrüttet, weil die Samenspende lange Zeit ein Familiengeheimnis war.
Das Problem an diesem Vorwurf ist, wie Antonija sehr schön ausgedrückt hat, dass uns unterstellt wird, uns ohne Selbstreflektion von unterdrückten Gefühlen und Wünschen leiten zu lassen. Im Grunde geht es hierbei (wieder mal) um die Rechtfertigung unseres Bedürfnisses der Kenntnis der eigenen Abstammung. Das nervt! Reicht es nicht anzuerkennen, dass wir dieses Recht, das alle anderen Menschen (auch) haben, auch für uns in Anspruch nehmen wollen? Müsste sich nicht eher die Gegenseite rechtfertigen, die uns dieses Recht abspricht?
Wenn es einen Hintergrund gibt, der uns alle verbindet, dann eher, dass wir alle nachdenkliche Menschen sind.
Stina